Donnerstag, 30. Mai 2019

Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus - Teil 2



In Ayn Rands zweitem Roman „Atlas Shrugged“ finden sich wie in einem Brennglas alle Versatzstücke des neoliberalen Denkens. „Atlas wirft die Welt ab“ erscheint 1957. Das über tausend Seiten umfassende Buch ist in den USA zur Bibel der so genannten „Libertarians“ geworden. Eine Weltanschauung, deren Namen man mit dem Etikett „Libertarismus“ nur annähernd ins Deutsche übersetzen kann. Sie beruft sich auf eine lange amerikanische Tradition.

Atlas shrugged (Originalcover)
„Atlas Shrugged“ führt in ein düsteres Amerika. Überall sind Zeichen des wirtschaftlichen Verfalls sichtbar: verlassene Industrieanlagen, verwilderte Farmen. Eine geheimnisvolle Passivität hat die Menschen ergriffen. Sie wirken wie Zombies, unfähig, Entscheidungen zu treffen. Ein monströs korruptes politisches System in Washington treibt das Land mit unsinnigen Gesetzen immer tiefer in die ökonomische Katastrophe:

„Sie sah die Skelette der Fabriken mit zerbröckelnden Schornsteinen, die Kadaver von Geschäften mit zerbrochenen Fensterscheiben, die schiefen Pfosten mit zerfetztem Draht.“ (Atlas Shrugged)

Die weibliche Protagonistin des Romans ist Erbin eines der großen Eisenbahnkonzerne der Vereinigten Staaten. Als rund um die Uhr arbeitende Managerin kämpft sie ebenso heroisch wie vergeblich gegen den allgemeinen Verfall.

Die Katastrophe, in die Ayn Rands fiktives Amerika schlittert, wird verursacht durch die Institutionen des New Deal. Europa ist in „Atlas Shrugged“ schon lange zu einer Ansammlung hungerleidender Volksrepubliken verkommen. Im Sozialstaat sieht Ayn Rand die Wurzel aller Übel. Dass dieses Bild im direkten Widerspruch zum allgemeinen Wohlstand der 50er Jahre steht, schert sie wenig. Sie verlegt die finstere Szenerie in eine unbestimmte Zukunft, denn die Krise des Sozialstaats bildet die unverzichtbare Kontrastfolie für ihre produktive Elite des Kapitalismus.

John Galt ist die mythische Figur des Romans, der die Welt tragende Atlas, dessen Namen durch den Text geistert, und der erst gegen Ende der über 1.000 Seiten leibhaftig als Erlöserfigur auftaucht. Seine Biografie weist ihn als Kapitalisten des neuen Typs aus. Sowohl genialer Erfinder als auch erfolgreicher Unternehmer verdankt die Welt ihm einen Motor, der eine Art Perpetuum mobile darstellt. Aber er ist auch der Zerstörer, der der Gesellschaft seine Erfindung verweigert, weil sie ihn mit der sozialstaatlichen Umverteilung um die gerechten Früchte seiner Innovation bringt:

„Ein Gesicht, das kein Zeichen des Leidens, der Furcht oder der Schuld trug. Die Form seines Mundes drückte Stolz aus, ja mehr noch, es wirkte, als sei er stolz, stolz zu sein. Der Ausdruck gelassener Entschlossenheit und Sicherheit, ein Blick, der weder um Vergebung bitten noch je sie gewähren würde. Seine Augen hatten den dunkelgrünen Schimmer von Licht auf Metall.

John Galt ist der Prometheus, der sich anders entschieden hat. Nach dem er jahrhundertelang von den Geiern zerfressen wurde als Lohn dafür, dass er den Menschen das göttliche Feuer brachte, hat er seine Ketten zerrissen und sein Feuer zurückgeholt – bis zu dem Tag, da die Menschen ihre Geier zurückrufen werden.“ (Atlas Shrugged)

Straßenschild in Chicago (2015)
John Galt ist der Prototyp des „Homo oeconomicus“, des aus-schließlich an seinem Eigeninteresse orientierten Subjekts, das sich die klassische Wirtschaftstheorie als Akteur auf den Märkten vorstellt. Fast hat man den Eindruck, als habe sich die Theorie ihre eigene Wirklichkeit geschaffen. John Galt repräsentiert zugleich die „kreative Klasse“, er ist das schöpferische Genie, das sich von allen Emotionen befreit, aus allen sozialen Beziehungen heraus-katapultiert hat, die ihn hätten behindern können. Ein Workaholic, gestählt im permanenten Überlebenskampf. Steigerung der Produktivität als ausschließliches Ziel allen Handelns.

„Ich produziere Zeit. Ich arbeite an der Verbesserung meiner Verfahren. Jede Stunde, die ich einsparen kann, ist eine Stunde Lebenszeit zusätzlich. Früher brauchte ich fünf Stunden, jetzt schaffe ich es in drei. Zwei Stunden weniger für eine Aufgabe, die ich in eine andere Aufgabe investieren kann. Zwei Stunden mehr, in denen ich arbeiten kann, um weiter zu wachsen, um vorwärts zu kommen.“ (Atlas Shrugged)

Geschickt verkehrt Ayn Rand das Klassenkampf-Motiv des Streiks in sein Gegenteil. In „Atlas Shrugged“ sind es die Milliardäre, die streiken. Sie sehen sich als Opfer einer Gesellschaft, die ihren Höhenflug auf Normalmaß zurückstutzen will. Also ziehen sie sich zurück, lassen ihre Fabrikanlagen verfallen und verbarrikadieren sich in einem geheimen Eldorado in den Bergen Colorados. In „Galt’s Gulch“ leben sie in einer Art kapitalistischer Kommune, peinlichst darauf bedacht, dass niemandem etwas geschenkt wird.

Die Welt draußen fällt in Chaos und Bürgerkrieg, weil ihr die Vitalität der kapitalistischen Elite fehlt. Schließlich führt die Erpressung durch die Reichen zum Ziel. Am Ende muss der amerikanische Kongress einen Verfassungszusatz verabschieden, der für alle Zeiten einen Eingriff in die Freiheit von Produktion und Handel verbietet.

Ayn Rand erlebte es nicht mehr, aber Ende der 70er Jahre begann schrittweise der Abbau des sozialstaatlichen Erbes Franklin D. Roosevelts.

Rand warnte ihre Anhänger zwar vor dem Republikaner Ronald Reagan, denn er war ihr zu religiös, zu kompromissbereit, aber mit Reagan begann der radikale Rückbau staatlicher Regulierung und die drastische Kürzung der Sozialausgaben. Das neoliberale Denken wurde zur alles dominierenden amerikanischen Ideologie, ihr zentrales Element die sogenannte „Trickle-Down Economy“, die Vorstellung, dass es den Reichen gut gehen muss, damit es allen gut geht.

Aber nicht nur die Republikaner und Protestbewegungen wie die „Tea Party“, sondern auch die Demokraten sind inzwischen dem Charme der „Creative Class“ erlegen. Für viele ist die Demokratische Partei mittlerweile zur Interessenvertretung einer vermögenden und gut ausgebildeten 10 %-Elite geworden, einer nach eigenem Empfinden hart arbeitenden und deshalb produktiven Elite, die einer passiven Mehrheit gegenübersteht, die durch Steuern und soziale Transferleistungen die Produktiven um die Früchte ihrer Arbeit bringt.

Dass auch die Demokraten nicht länger die Partei der Mittelklasse sein wollte, sondern die Partei der wohlhabenden Freiberufler, der Manager, Ingenieure, Architekten, Ärzte, Rechtsanwälte, Finanzstrategen, begann in den 70er Jahren und erreichte einen ersten Höhepunkt unter der Präsidentschaft Bill Clintons.

Parteistrategen sprachen nun von der „natürlichen Allianz“ zwischen den Demokraten und Wallstreet. Wallstreet, das war für sie der Ort, wo die „kreative Klasse“ aufblühte, wo in Harvard ausgebildete Top-Experten wahre Wunder vollbrachten, wo Reichtum aus dem Nichts erschaffen wurde. Die Clintons, Obama, alle waren sie daran beteiligt.

Republikaner und Demokraten - Alle erliegen sie dem Charme der „Creative Class“!

Das ist die Hauptursache, warum die wirtschaftliche Ungleichheit in den USA heute so völlig außer Kontrolle geraten ist. Es gibt in den USA keine Partei, die sich wirklich für die arbeitende Klasse einsetzt.

Der Erfolg des Donald Trump erklärt sich durch dieses Gefühl vieler Amerikaner, dass sie im geschlossenen politischen System Washingtons keine Stimme haben.

Natürlich liegt es nahe, Trump als Clown, als vergoldeten Clown zu bezeichnen, aber er stellt eine Reaktion auf die enorme wirtschaftliche Ungleichheit dar.

Das ist die Konsequenz der Deindustrialisierung. Die Demokraten laufen herum und feiern die Innovationsmaschine der Internet-Industrie, aber die Mittelklasse schrumpft und die Löhne stagnieren. Der Anteil, den die Mittelklasse heute am Bruttosozialprodukt hat, ist der geringste seit dem Zweiten Weltkrieg. Für viele wurde das Versprechen des „American Life“ endgültig gebrochen.

Ayn Rand würde sich nicht darüber wundern …


Quelle und Zitate aus: Stefan Fuchs, Idol rechter US-Republikaner: Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus, swr 2 Wissen, Sendung vom 8. November 2016

Donnerstag, 23. Mai 2019

Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus - Teil 1


An Selbstbewusstsein mangelte es Ayn Rand nie. Als sie 1959 dem Fernsehjournalisten Mike Wallace gegenübersitzt, weiß sie, dass ihre Aussagen die Mehrheit der Amerikaner schockieren werden.

Mike Wallace interviewt Ayn Rand (1959)
„Hier ist Mike Wallace mit einer neuen Ausgabe des Fernsehporträts aus unserer Reihe: Interessante Persönlichkeiten. Im Verlauf der Geschichte sind viele politische und philosophische Bewegungen entstanden. Die meisten sind wieder verschwunden. Einige allerdings, wie Demokratie oder Kommunismus, haben sich behauptet. Sie entfalten ihre Wirkung überall in der Welt.

Die vielleicht provokativste und ungewöhnlichste neue Philosophie wurde hier in den Vereinigten Staaten durch eine Romanautorin entwickelt: Ayn Rand. Miss Rands Ansichten sind noch vergleichsweise unbekannt, aber wenn sie sich jemals etablieren sollten, würden sie unser Leben revolutionieren.

Ich möchte mit einem Zitat aus einer Kritik Ihres Romans „Atlas wirft die Welt ab“ beginnen. Danach sind Sie dabei, praktisch alle Institutionen des „American Way of Life“ zu zerstören: unsere jüdisch-christliche Religion, unsere soziale Marktwirtschaft, unser politisches System der Mehrheitsentscheidungen. Trifft diese Kritik zu?"

Auf diese Frage antwortet Ayn Rand mit folgenden Worten: „Ich stimme dieser Beschreibung zu. Ich kritisiere die Moral der Nächstenliebe. Vor allem aber bin ich die Schöpferin einer neuen Ethik, die man bisher nicht für möglich gehalten hat. Eine Moral, die nicht auf Glauben, nicht auf zufälligen Launen, nicht auf Emotionen, nicht auf willkürlichen Geboten, sondern ausschließlich auf der Vernunft beruht: Eine Moral, die logisch bewiesen werden kann.“

Mit atemberaubender Arroganz wischt sie 2000 Jahre Philosophiegeschichte beiseite. „Schauen Sie sich die Resultate an“, erklärt sie dem um Fassung bemühten Journalisten, „jetzt ist der Augenblick gekommen für eine Befreiung der Welt“.

Rand war überzeugt davon, dass ihre Philosophie diese Befreiung möglich machen werde. Sie sei nichts anderes als die vollendete Aufklärung. Ayn Rand hat einen Begriff dafür: „Objektivismus“. Die Wirklichkeit bestehe aus unveränderlichen Fakten. Eherne Naturgesetze bestimmten Natur und Gesellschaft. Die menschliche Vernunft könne und müsse diese unveränderliche Realität erkennen, wenn sie im Überlebenskampf bestehen wolle. „Objektivismus“ reduziert die Wirtschaft zu einem quasi physikalischen System, in dem politische Gestaltung kategorisch ausgeschlossen bleibt:

In dem Interview mit Mike Wallace hört sich dieser Gedanke so an: „Ich bin für ein absolut freies Wirtschaftssystem ohne Regulierungen. Ich bin für die Trennung von Staat und Wirtschaft. Genauso wie die Trennung von Kirche und Staat das friedliche Zusammenleben der Religionen ermöglicht, wird die Verbannung der Politik aus der Wirtschaft, der Verzicht auf Regulierung von Produktion und Handel zur friedlichen Zusammenarbeit, zu Harmonie und Gerechtigkeit zwischen den Menschen führen.“

Etwas historischer Kontext: Das Amerika, zu dem Ayn Rand 1959 spricht, wird von den sozialen Reformen des New Deal bestimmt. Um die katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu lindern, hatte der demokratische Präsident Franklin Delano Roosevelt in vier Amtszeiten die USA fast in einen Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung verwandelt. Gewerkschaften sind per Gesetz legitimiert, die Banken reguliert. 

Franklin Delano Roosevelt (1882 - 1945)
In den 50er-Jahren erfreut sich die Mittelklasse zunehmenden Wohl-standes. Man versammelt sich vor dem Fernseher und träumt von Glück und grenzenlosem Konsum in einer intakten Familie. Wer in einem der großen US-Konzerne arbeitet, darf auf lebenslange Beschäftigung und Fürsorge durch das Unternehmen hoffen. Ein Lebensgefühl, als gäbe es keine sozialen Klassen. Konformistisch, vielleicht spießbürgerlich – aber Lichtjahre entfernt von den atemberaubenden sozialen Ungleichgewichten der Gegenwart.

Die Lebensgeschichte von Ayn Rand war jedenfalls alles andere als konformistisch: Rand wird 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Im Zuge der Russischen Revolution erlebt sie als Dreizehnjährige die abrupte Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenz. Soldaten der Roten Armee enteignen die Apotheke ihres Vaters. Die Familie flieht im Chaos des russischen Bürgerkriegs auf die Krim und kehrt schließlich resigniert ins hungernde Petersburg zurück. Mit 21 Jahren wandert Ayn Rand schließlich allein in die USA aus. Das Exil zerschneidet alle Bande mit der zurückgebliebenen Familie.

Der „Amerikanische Traum“: Alles scheint möglich. Heute Sekretärin, morgen Filmstar. Ayn Rand versucht, im Umkreis der Filmstudios Fuß zu fassen. Mit eiserner Disziplin eignet sie sich die englische Sprache an.

Sie muss sich mit Jobs in der Verwaltung über Wasser halten. Im Hexenkessel der kalifornischen Filmindustrie mit ihren abrupten Karrieresprüngen entwickelt sich allmählich die Radikalität ihres Denkens:

„Die Bourgeoisie hat kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat den heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.“

Ayn Rand gehört zu denen, die die verborgenen Voraussetzungen der herrschenden Ideologie in klarer und hemmungsloser Weise zum Ausdruck bringen. Dabei ist es vor allem Ayn Rands kompromissloser Atheismus, der die christlich geprägte Gesellschaft in den USA verstört. Staunend, fast ungläubig und doch irgendwie fasziniert beobachten sie ihren Versuch einer moralphilosophischen Rechtfertigung des „gottlosen“ Kapitalismus. 

Das Dollarzeichen wird zum blasphemischen Symbol dieses „nackten Kapitalismus“, der Schluss machen will mit dem schlechten Gewissen seiner Vertreter. Ayn Rand ist sich ihrer Rolle durchaus bewusst. Wie die Priesterin eines heidnischen Kultes trägt sie das vom Doppelstrich gekreuzte S als Schmuck auf ihren langen schwarzen Roben. In ihren Romanen wird es zum geheimen Erkennungszeichen einer verschworenen Gemeinschaft: Anhänger der neuen, grenzenlose Vitalität verheißenden Religion des Kapitalismus.

Ayn Rand und das Dollarzeichen

Dieses Verabsolutieren des Ökonomischen kommt in diesem Dollarzeichen massiv zum Ausdruck. Als Symbol für das Geld als Quelle alles Guten, als Tauschmittel, als Innovation. Dass Menschen grundsätzlich als Händler auftreten, Werte tauschen, ob es ökonomische Werte sind, finanzielle Werte sind, ob es emotionale Werte sind in einer Liebesbeziehung.

Dieses Dollarzeichen ist Symbol für mehr als nur diesen reinen ökonomischen Kontext. Für Ayn Rand als Atheistin, ist dieses Dollarzeichen das Ersatzsymbol für das Kreuz, das auch ihre Anhänger getragen haben und nach wie vor tragen.“

In Ayn Rands zweitem Roman „Atlas Shrugged“ finden sich wie in einem Brennglas alle Versatzstücke des neoliberalen Denkens. „Atlas wirft die Welt ab“ erscheint 1957. Das über tausend Seiten umfassende Buch ist in den USA zur Bibel der so genannten „Libertarians“ geworden. Eine Weltanschauung, deren Namen man mit dem Etikett „Libertarismus“ nur annähernd ins Deutsche übersetzen kann. Sie beruft sich auf eine lange amerikanische Tradition.

Insgesamt ist die zentrale Vorstellung der „Libertarians“ die des Eigeninteresses. Das geht zurück bis ins 18. Jahrhundert. Die Leute kommen nach Amerika, um ihr Eigeninteresse zu verfolgen. „Eigeninteresse in dem Sinne, dass man nicht zum Nutzen eines anderen arbeitet. Nicht zum Nutzen des Staates oder Monarchie, Steuern, Abgaben und nicht zum Nutzen der Kirche.

Und dann wird weiter formuliert, und das ist bei Ayn Rand haargenau so, der Mensch ist von Natur aus eigensüchtig, und das muss bedacht werden, wenn man Gesellschaft organisiert. Es ist zunächst einfach diese Befreiung von einem feudalistischen Gesellschaftsmodell.“

Das Streben nach Glückseligkeit ...
Die Unabhängigkeitserklä-rung der Vereinigten Staaten garantiert jedem Bürger das unveräußerliche Recht auf ein Streben nach individuellem Glück: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht: Dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.“ Das Konzept der individuellen Glückssuchewird im 20. und 21. Jahrhundert zum Kern des radikal individualistischen Glaubensbekenntnisses der „Libertarians“.

(Fortsetzung folgt)


Quelle und Zitate aus: Stefan Fuchs, Idol rechter US-Republikaner: Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus, swr 2 Wissen, Sendung vom 8. November 2016


Donnerstag, 16. Mai 2019

Philosophische Lebenshilfen und die Suche nach dem Glück - Teil 2


(Fortsetzung vom 09.05.2019)


Glück ... und Unglück
Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen fragen, warum sie nicht glücklich sind. Diese Menschen suchen Rat auf Internetplattformen oder Seminaren. 

Und das Angebot ist reichhaltig: Da gibt es einen „Lebensfreude-Kongress“, die „Praxis für positive Lebensgestaltung“ oder eine „Navigation in Lebensfragen“. Auch ein ganzheitliches Coaching auf einer Engelsfarm kann gebucht werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Welt der Glücks-Ratgeber könnte so schön sein, gäbe es da nicht Autorinnen wie Rebecca Niazi Shahabi, die mit ihren nicht ganz ernst gemeinten Antioptimierungsratgebern wie „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“, „Ich bleib so scheiße, wie ich bin: Lockerlassen und mehr vom Leben haben“ den grassierenden Selbstoptimierungstrend durch den Kakao zieht.

Rebecca Niazi Shahabi sieht die Lebenshilfe-Veranstaltungen beispielsweise der School of Life eher kritisch: „Die Leute gehen nicht offen dorthin, sondern sie erwarten wirklich etwas, was sie einen Schritt nach vorne bringt. Und irgendwie ein Geheimnis, dass sie noch nicht kennen, das kann es nicht geben. Aber so sind diese Kurse angelegt.“

So sei es auch kein Zufall, dass die „School of Life“ ausgerechnet in in Berlin Prenzlauer Berg aufgeschlagen hat. „Hier lebt die kreative Selbstverwirklichung in bunten Farben: Kreativprojekte, Agenturen, Schreibbüros, Lebensberatung und Coachs gibt es an jeder Straßenecke. Dahinter verbergen sich oft Biografien, die möglicherweise in eine Optimierungsfalle geraten sind. 

Dank digitaler Medien sitzen junge Mütter oder Väter mit dem Kind auf dem Arm im Café und checken nebenbei e-Mails oder schreiben ein Konzept für ein Stadtteilprojekt. Die große Freiheit, das selbstbestimmte, meist Einzelkämpferleben fordert seinen Tribut: Mit dem Genuss individueller Freiheit geht ein subversiver Leistungsdruck einher, der in alle Lebensbereiche vordringt: Noch kreativer zu werden, wirklich vegan zu kochen, ein Stadtteilprojekt zu unterstützen und dabei immer schön individuell bleiben.“

Ich bleib´ so scheiße wie ich bin ...
Rebecca Niazi Shahabi kritisiert diesen Optimierungszwang, die verkürzten Gedankengänge und schlichten Analogien, und sieht darin ein allgemeines gesell-schaftliches Phänomen. Wer sich optimieren will, so ihre These, wird zwangsläufig auch normiert:

„Das ist ein gesellschaftlicher Druck, der sich auch immer wieder in verschiedenen Masken zeigt. Für mich ist dieses Beispiel der Dicken, die jetzt auch schön sind und Models werden oder irgendwie andere beim Abnehmen beraten oder so etwas oder irgendwie sich wohlfühlen. Für mich ist so ein gutes Beispiel: Ich wurde angerufen von einer Frauenzeitschrift und die sagt: Ja wir wollen ja zu unseren Schwächen stehen und grad unsere Schwächen. Wir würden Sie gerne einladen, wie man aus seinen Schwächen irgendwie etwas Positives macht.

Man hat keinen Raum mehr, in dem man so ist, wie man einfach ist oder indem man an sich etwas zur Kenntnis nehmen kann: Eine Schwäche oder etwas, was einen selbst unglücklich macht, und man in Ruhe herausfinden kann, wie man dazu steht. Eine Schwäche, die mich unglücklich macht. Das ist auch nicht verboten.

Ganz anders funktioniert der Human Trust, der nicht philosophische Inhalte, sondern ein ganzheitliches Motivations-Paket anbietet. Eine Online-Plattform, die ein gelingendes Leben im Dunstkreis von Positivem Denken und Selbstoptimierung verspricht. Star der Community, die über Videobotschaften, Onlinekurse, und Live-Seminare operiert, ist der Motivations-Coach Veit Lindau.

Ich streife durch deine Träume. 
Ich beobachte dich durch die Augen 
jedes deiner Mitmenschen. 
(Veit Landau)

Veit Lindau
Veit Lindau ist ein Animateur für die Seele, ein smarter Unternehmer in Erfolgs- und Glücksfragen. Sein Rezept ist: Keine Rezeptur zu haben. Es zählt das „Machen“ und die Aussicht auf das sinnstiftende Gemeinschaftsgefühl, verpackt als in einzelne Lektionen unterteiltes Arbeitsprogramm. Die Palette ist bunt und deckt praktisch alle Lebensfragen ab. Veit Lindau hat etwas von einem zupackenden Leader, der online, auf Hör-CD, DVD und leibhaftig in Seminaren mit einfühlsamer Stimme Liebe predigt und Hingabe fordert.

Ich klopfe auf tausend verschiedene Weisen 
an deine Tür laut wie der Schrei eines wütenden Kindes 
und still wie die Ewigkeit des Alls. 
Ich werde nichts unversucht lassen, 
bis Du mir öffnest weit und bedingungslos 
bis du mir alles schenkst. 
Was du hast und was du bist. 
Wo bist du. 
Ich brauche dich, dein Leben. 
(Veit Lindau)

Die Coaching- und „Selbstfindungs“-Plattform Human Trust ist mit knapp zehntausend Mitgliedern ein Big Player im Reigen der „Lebensschulen“. Begleitend zu seinen Online-Kursen und Seminaren hat Lindau viele Bücher verfasst, in denen er seine Ideen von Erfolg und Glück in knackig-provokante Botschaften verpackt.

Opfer erkennst du daran, 
dass sie über das Warum reden. 
Menschen, die Lust auf Leben haben, 
beschäftigen sich mit der Frage: 
"Wie bekomme ich, was ich wirklich will?” 
(Veit Lindau)

Die Mitgliedschaft im Abo kostet derzeit 280 Euro im ersten Jahr, wenn das Erfolgspaket noch dabei sein soll, immerhin 600 Euro. Man kann die Kurse auch einzeln buchen, hat dann aber keinen Zugang zur Human Trust-Online-Community.

Ein Auszug aus der Definition des Begriffes Coaching, wie ihn der Deutsche Bundesverband Coaching vorschlägt: „Als ergebnis- und lösungsorientierte Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit. Der Klient lernt im Idealfall, seine Probleme eigenständig zu lösen, sein Verhalten, seine Einstellungen weiterzuentwickeln und effektive Ergebnisse zu erreichen.“


Ein Coach ist der Optimierer per se, ein rational vorgehender Mensch, der zum Beispiel eine Fußball-Mannschaft zu Höchstleistungen anspornt und Unternehmen nach Fehlstellen abklopft. Im Zentrum steht die Verbesserung des Klienten und nicht sein persönliches Glücksgefühl.

Kritiker des Coaching-Wesens, wie der Politologe Gerg Steinmeyer, weisen darauf hin, dass Coaching-Techniken gerade nicht die Freiheit des Menschen im Auge haben, sondern das genaue Gegenteil, schreibt er in seinem Buch „`Die Gedanken sind nicht frei´ Coaching – eine Kritik“:

„Coachings, wie sie sich heute darstellen, sind entgegen ihrem Anspruch meist kein Instrument von Selbstbestimmung und Emanzipation, sondern forcieren im Gegenteil die Aufgabe selbständigen Denkens. Der „flexible“ und widerstandlose Mensch, der sich und seine Überzeugungen stets nach Maßgabe ökonomischer Verwertbarkeit anpasst und einer Gesellschaft oder eines Staates nicht mehr Bedarf, ist das offensichtliche Ziel gängiger Coaching-Verfahren.“

Coaching ist mehr als schnelle Glücksversprechungen ...

Zahlreiche der von Steinmeyer untersuchten Coaching-Techniken haben also im Kern einen ideologischen Charakter, formen eher ein der Ökonomie angepasstes Menschenbild, als dass sie die individuelle Freiheit des Klienten zum Maßstab nehmen.

Viele Coachings, so Steinmeyer weiter, „leisten diese Stärkung des Rückgrats gerade nicht, sondern leiten Menschen dazu an, bei Konflikten mit Mehrheiten über die Homogenisierung der eigenen Überzeugungen selbst Teil der Mehrheit zu werden. `Mit den Wölfen heulen´ nannte man das früher.“

Blickt man auch nur ausschnittsweise in den Dschungel der Glücksschulen, Bestseller, Erfolgs- und Motivationsseminare, bleibt eines gewiss: Die Beschäftigung mit dem verunsicherten „Ich“ in unübersichtlichen Zeiten ist ein lukratives Lifestyle-Phänomen geworden, das scheinbar unschuldig zwischen Lebensangst und Alltagsdefiziten hin und herschwingt und den gesellschaftlich gesteuerten Optimierungsdruck gegen Bares bedient.

Wer will, findet in den Angeboten sein persönliches Glück oder wenigstens doch den Impuls, das Thema „Ich“ neu zu vermessen. Oder man bleibt skeptisch und greift Senecas Vorstellung vom glückseligen Leben auf und macht erst einmal Pause vom Projekt „Lebensglück“.

„Glücklich zu leben wünscht jedermann; 
aber die Grundlagen erkennt fast niemand.“ 
(Seneca: Vom glückseligen Leben)



Quelle und Zitate: Sven Ahnert, Glücksversprechen – Philosophische Lebenshilfen, swr 2 Wissen, Sendung vom 6. Juli 2018