Jean Grenier |
Jean Grenier, Schriftsteller, Philosoph und Kunstkritiker, wurde
am 6. Februar 1898 in Paris geboren. Er starb am März 1971 in Dreux-Venouillet,
Eure-et-Loir. Obwohl sein Prosaband „Die Inseln“ 1985 im Suhrkamp Verlag
veröffentlicht wurde, ist er in Deutschland weit-gehend unbekannt.
Von 1930 bis 1938 arbeitete Grenier als Philosophielehrer in
Algier. Dort begegnete er einem Schüler, mit dem ihn – trotz unterschied-licher
Lebenshaltungen und Einstellungen – eine lebenslange Freundschaft verbinden
wird. Dieser Schüler war Albert Camus.
1935 trat Camus der Kommunistischen Partei Frankreichs bei,
nicht ohne jedoch seinen Philosophielehrer um Rat gefragt zu haben. Dieser riet
ihm zum Beitritt. Die Frage ist, welche seltsame Logik Jean Grenier dazu
brachten, seinem Zögling zu raten, der Kommunistischen Partei beizutreten? Warum
warnte er Camus nicht?
Für Grenier war der Kommunismus nicht mehr und nicht weniger
als eine Sekte, „in der man der Vernunft abschwören und auf das eigene Ich
verzichten müsse. Stattdessen gelte es zu gehorchen, sich der Orthodoxie zu
unterwerfen, zum Soldaten einer Ideologie zu werden.“
Greniers Gedanken zum Kommunismus bzw. zur Kommunistischen
Partei sind zusammengefasst in seinem „Essai
sur l’esprit de l’orthodoxie“ (dt. Versuch über den Geist der Orthodoxie). Es
erschien zwar erst im Jahre 1938, besteht aber aus mehreren Essays, deren
frühester von 1935 stammt. Drei sind aus dem Jahr 1936, zwei von 1937 und der
Lettre à Malraux (Brief an Malraux) von 1938. Greniers Buch kam also nach
Camus’ Beitritt zur KP im Jahr 1935 in den Buchhandel, aber man kann davon
ausgehen, dass Grenier Camus gegenüber so argumentiert hat, wie es es in seinen
Essays tut.
Die Lektüre des Versuchs über den Geist der Orthodoxie lässt
jedenfalls keinen Zweifel: Jean Grenier war sich der Gefährlichkeit des
Kommunismus bewusst. In seinem Buch steht klar und deutlich: „Sobald man einer
Partei beigetreten ist, muss man den eigenen Geist aufgeben, damit einem die
anderen nicht auf den Geist gehen.“
Greniers Kritik am Engagement in einer Partei entsprachen
auch sein authentisch wirkender Antimarxismus und Antikommunismus. „Er lehnte
den allumfassenden Materialismus ab und trat lieber für die Macht des Geistes
ein, kritisierte die viel zu einfache, von abgedroschenen Ideen und einem
veralteten Millenarismus geprägte Geschichtsphilosophie, verurteilte den
Dogmatismus, wandte sich gegen eine religionsartige Ökonomie, die alles auf
Produktionsbedingungen und Besitzverhältnisse reduzierte. Er schimpfte auf die
hegelianische Dialektik, welche theoretisch alles Negative mit dem Vorwand
rechtfertigt, es sei die notwendige Voraussetzung des künftigen Positiven.“
Es war also gerade das Herzstück der kommunistischen
Ideologie, die Dialektik, die in seinen Augen Militärregimes, polizeilicher
Gewalt, Arbeitslagern oder der Aufhebung der Freiheit einen Sinn verleihe, weil
diese ihrer infernalischen Logik zufolge das Paradies auf Erden vorbereiteten. Grenier
lehnt also die marxistische Teleologie vom Ende der Geschichte ab, denn aus
seiner Sicht war auch ein wahrer, konkreter Garten Eden nicht frei von
Widersprüchen.
Grenier kritisierte zudem den herrschenden
Fortschrittsglauben und zeigte, dass der Marxismus die Vernunft zugunsten des
Glaubens auslöscht. „Er wehrte sich gegen den Gedanken, der Zweck heilige die
Mittel, kritisierte die Logik von Tribunalen, Inquisition, Verfolgungen und Gemetzel. Er wunderte sich über die bereitwilligen Parteibeitritte, über den
Verzicht der Aktivisten auf Vernunft, Intelligenz und kritischen Geist.“
Vor allem aber beklagte Grenier den massenhaften Eintritt der Intellektuellen in die Partei und „verstand die Logik nicht, die einen
Krieg im Hier und Jetzt mit der Abschaffung aller Kriege in Zukunft
rechtfertigte oder Ungerechtigkeiten im Namen späterer Gerechtigkeit zuließ.“
Für Grenier ist der Kommunismus eine religiös anmutende
Ideologie, der Marxismus eine Art Theologie. So verspottete er die
Pseudowissenschaftlichkeit dieser (und jeder anderen) transzendentalen Theorie. Die zeitgenössischen kommunistischen Aktivisten
charakterisierte er als übertrieben ernst und streng. Er kontrastierte deren existentielle
Einsamkeit mit dem Herdenverhalten der Aktivisten. „Er wies auf Marx’
Irrglauben hin, die Geschichte strebe unabänderlich auf die Revolution zu –
schließlich wurde in Wahrheit das Proletariat immer bürgerlicher –, und warf
Marx vor, die Gefahren eines dezidiert nationalen Sozialismus nicht erkannt zu
haben.“
Und dieser so kritische Mann, der sich gegen Marx, den
Marxismus, den dialektischen und historischen Materialismus, den Kommunismus,
die Staaten des Ostens und die Sowjetisierung gewandt hatte, riet seinem
Schüler gleichzeitig zum Eintritt in die KP! Warum ließ es Grenier zu, dass sein Schüler eine Erfahrung
machen würde, die doch in einer Enttäuschung enden musste? Oder wollte er
vielleicht genau dies erreichen, - dass sein Schüler von selbst zu dieser
Einsicht käme?
Zwei Jahre später, 1937, wurde Camus aus der Kommunistischen
Partei ausgeschlossen, weil er den von Stalin vorgegebenen Kurs nicht mittragen
wollte ...
Zitate aus: Michel Onfray: Im Namen
der Freiheit. Leben und Philosophie des Albert Camus, München 2013
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