Donnerstag, 28. Februar 2013

Ludwig von Mises und die Frage der Staatsbetriebe

Ludwig von Mises: Liberalismus
„Wer über Produktionsmittel verfügt, die sein Eigentum sind, oder die ihm von den Eigentümern gegen Entgelt geliehen wurden, muss stets darauf bedacht sein, die Produktionsmittel so zu verwenden, daß der unter den gegebenen Verhältnissen dringendste gesellschaftliche Bedarf durch sie befriedigt wird.

Tut er dies nicht, dann arbeitet er mit Verlust und wird in seiner Eigentümer- und Unternehmerstellung zunächst beschränkt und schließlich aus ihr ganz verdrängt. Er hört auf, Eigentümer und Unternehmer zu sein.“

Mit diesen wenigen Worten beschreibt Ludwig von Mises das gesamte Wesen der freien Marktwirtschaft. Man tut gut daran, sich dieser Worte zu erinnern, nicht zuletzt, weil eine der Ursachen der gegenwärtigen Finanzierungsprobleme vieler Staaten in ihren maßlos aufgeblähten Strukturen zu finden ist. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Strukturen besteht in öffentlichen Unternehmen, Betrieben und Verwaltungen.

Für von Mises ist das charakteristische Merkmal dieser staatlichen Struktur, daß ihr „die Richtschnur der Rentabilitätsrechnung zur Beurteilung des Geschäftserfolges in seinem Verhältnis zum Aufwand fehlt und daß sie daher genötigt ist, zur - wenn auch höchst unvollkommenen Wettmachung dieses Mangels - die Abwicklung der Geschäfte und die Einstellung des Personals an formale Vorschriften zu binden.“

Rentabilitätsrechnung - Der Schlüssel für nachhaltiges Wirtschaften ...

Folgen dieses Grundmangels sind demnach alle Übel, die man mit dem Staatsbetrieb verbindet: Seine Starrheit, seine Erfindungsarmut und seine Hilflosigkeit gegenüber Problemen, die im kaufmännischen Leben leicht gelöst werden.“

Würde die Tätigkeit des Staatsapparates auf jenes enge Gebiet beschränkt bleiben – zum Beispiel weist Adam Smith im 5. Buch seines Werkes „Der Wohlstand der Nationen“ dem Staat die folgenden drei Aufgaben zu: Landesverteidigung, Justizwesen und Öffentliche Anlagen bzw. Einrichtungen – würden sich die Nachteile des öffentlichen Unternehmertums nicht allzu sehr bemerkbar machen.

„Zum großen Problem der gesamten Wirtschaft werden sie erst in dem Augenblick, in dem der Staat - und dasselbe gilt natürlich auch von Gemeinden und Kommunalverbänden - dazu übergeht, Produktionsmittel zu vergesellschaften und sich selbst aktiv in der Produktion oder gar im Handel zu betätigen.“

Von Mises gibt zu, daß, auch mancher öffentliche Betrieb auch unter dem Gesichtspunkt höchster Rentabilität geführt werden könnte, solange ein freier Marktverkehr besteht und Marktpreise gebildet werden.

Dennoch bleibt das Problem, „daß seine Leiter - Organe des Staates - am Erfolg oder Mißerfolg der Geschäfte nicht in der Weise interessiert sind, in der dies bei privaten Unternehmungen der Fall ist. Man kann daher dem Leiter nicht die freie Entscheidung über einschneidende Maßregeln überlassen; da er den Verlust, der sich unter Umständen als Folge seiner Geschäftspolitik ergeben könnte, nicht trägt, könnte seine Geschäftsführung allzu leicht geneigt sein, Wagnisse einzugehen, die ein wahrhaft verantwortlicher - weil am Verlust beteiligter - Leiter nicht auf sich nehmen würde.“

Aus diesem Grund muss die Entscheidungsgewalt des Leiters eines Staatsbetriebes in gewissem Maße beschränkt werden. „Gleichviel nun, ob man ihn an starre Normen oder an die Beschlüsse eines Kontrollkollegiums oder an die Zustimmung einer vorgesetzten Behörde bindet, die Gebarung des Betriebes erhält in jedem Fall jene Schwerfälligkeit und jenen Mangel an Anpassungsfähigkeit, die den öffentlichen Betrieb überall von Mißerfolg zu Mißerfolg geführt haben.“

So wird es in der Praxis selten vorkommen, daß ein öffentlicher Betrieb auf der Grundlage von Rentabilität arbeitet. Im Gegenteil - in der Regel wird vom öffentlichen Betrieb verlangt, daß er auf bestimmte (partei-)politische und „pseudovolkswirtschaftliche“ Gesichtspunkte Rücksicht nehme.

Estado S.A.- Eine aufschlussreiche Serie über öffentliche Unternehmen in Spanien

So würde man beispielsweise fordern, „daß er bei der Beschaffung und beim Verkaufe die inländische Erzeugung gegenüber der ausländischen bevorzuge; von Eisenbahnen wird verlangt, daß sie in der Tariferstellung im Dienste bestimmter handelspolitischer Interessen tätig seien, daß sie Linien bauen und betreiben, die nicht rentabel gestaltet werden können, um die Wirtschaft eines bestimmten Gebietes zur Entwicklung zu bringen, daß sie wieder andere Linien aus strategischen und sonstigen Gründen betreiben.“

In dem Moment, in dem solche Kriterien die Geschäftsführung bestimmen, sei jede Kontrolle durch die Rentabilitätsrechnung ausgeschlossen. „Wenn der Staatsbahndirektor, der einen ungünstigen Jahresabschluss vorlegt, in der Lage ist zu sagen: die mir anvertrauten Bahnstrecken haben freilich, unter dem Gesichtspunkte der privatwirtschaftlichen Rentabilität betrachtet, ungünstig gearbeitet, aber man darf nicht vergessen, daß sie volkswirtschaftlich, nationalpolitisch, militärpolitisch und unter manchen anderen Gesichtspunkten noch vieles geleistet haben, was in die Rentabilitätsrechnung nicht eingeht, so ist es klar, daß unter solchen Umständen die Rentabilitätsrechnung jeglichen Wert für die Beurteilung des Geschäftserfolges verloren hat, so daß der Betrieb - auch abgesehen von anderen in derselben Richtung wirkenden Umständen - notwendigerweise genau so bureaukratisch geführt werden muß wie etwa die Verwaltung eines Gefängnisses oder eines Steueramtes.“

Im Gegensatz dazu kann ein nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführtes Privatunternehmen - auch wenn es noch so groß ist - durch das strenge Festhalten am Rentabilitätsprinzip niemals „bureaukratisch“ werden, denn solange die Unternehmen nur auf den Gewinn sehen, blieben sie von allen Schäden der Bureaukratisierung bewahrt.

„Dagegen besteht für die im interventionistischen Staatswesen agierenden Unternehmen die Notwendigkeit, „sich zur Vermeidung schwerer Nachteile den Wünschen der Staatsgewalt zu fügen.“ Dies hat bewirkt, „daß solche und andere den Rentabilitätszielen der Unternehmungen fremde Gesichtspunkte die Geschäftsführung immer mehr beeinflussen. Damit schwindet die Bedeutung der exakten Kalkulation und Buchführung, und die Unternehmungen beginnen immer mehr die unsachliche, an Formalprinzipien orientierte Gebarungsweise öffentlicher Betriebe anzunehmen.

Die Einflussnahme des Staates auf die Geschäftsführung großer Unternehmen „ist mithin keineswegs das Ergebnis einer in der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft gelegenen Notwendigkeit. Sie ist nichts als eine Folgeerscheinung der interventionistischen Politik. Würden Staat und andere gesellschaftliche Gewalten die Unternehmungen nicht behindern, dann könnten auch die größten Betriebe genau so kaufmännisch arbeiten wie die kleinen.“
 
Zitate aus: Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 (online unter: http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf

Donnerstag, 21. Februar 2013

Jacob Burckhardt und die Geschichte

Jacob Burckhardt ist bis heute vor allem als Verfasser großer kunst- und kulturgeschichtlicher Werke bekannt, darunter die „Kultur der Renaissance in Italien“ (1860) und das aus dem Nachlass herausgegebene vierbändige Werk „Griechische Kulturgeschichte“ (1898-1920).

Jacob Burckhardt
Burckhardt wurde am 25. Mai 1818 in Basel geboren, wo er, nur von Italienreisen unterbrochen, fast sein ganzes Leben verbrachte. Eine der interessantesten Episoden aus der Zeit seiner Professur für Geschichte und Kunstgeschichte (1858 – 1893) war sein intensiver geistiger Austausch mit Friedrich Nietzsche, der Anfang der 70er Jahre als junger Professor in Basel arbeitete.

Seine Bedeutung als Geschichtsphilosoph verdankt Burckhardt seiner kleinen, posthum erschienen Schrift „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ (1905). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist eine Kritik an jeder spekulativen Geschichtsphilosophie: „Was nun die Eigenschaften der bisherigen Geschichtsphilosophie betrifft, so ging sie der Geschichte nach und gab Längendurchschnitte; sie verfuhr chronologisch. Sie suchte auf diese Weise zu einem allgemeinen Programm der Weltentwicklung durchzudringen, meist in höchst optimistischem Sinne.“

Insbesondere wendet sich Burckhardt gegen den von Hegel geprägten Fortschrittsoptimismus: „Er sagt, der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringe, sei der einfache Gedanke der Vernunft, der Gedanke, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei, und das Ergebnis der Weltgeschichte müsse (sic!) sein, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen sei, – was alles doch erst zu beweisen und nicht »mitzubringen« war.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
In diesem Sinne entwickelt Hegel schließlich den Grundgedanken, die Weltgeschichte sei die Darstellung, wie der Geist zu dem Bewußtsein dessen komme, was er an sich bedeute. So sei Hegel zufolge eine Entwicklung zur Freiheit beobachtbar, nach der im Orient lediglich einer, dann bei den klassischen Völkern wenige frei gewesen seien, und die neuere Zeit schließlich alle frei mache.

Das Problem der von Hegel verfochtenen „Lehre von der Perfektibilität, d. h. dem bekannten sogenannten Fortschritt“ ist nach Burckhardt schlicht folgendes: „Wir sind aber nicht eingeweiht in die Zwecke der ewigen Weisheit und kennen sie nicht. Dieses kecke Antizipieren eines Weltplanes führt zu Irrtümern, weil es von irrigen Prämissen ausgeht.“

So liege die Gefahr aller chronologisch angeordneten Geschichtsphilosophien darin, „daß sie im günstigen Fall in Weltkulturgeschichten ausarten (in welchem abusiven Sinne man den Ausdruck Geschichtsphilosophie kann gelten lassen), sonst aber einen Weltplan zu verfolgen prätendieren und dabei, keiner Voraussetzungslosigkeit fähig, von Ideen gefärbt sind, welche die Philosophen seit dem dritten oder vierten Lebensjahr eingesogen haben.“

Der Grundirrtum einer Geschichtsprophetie ist freilich nicht nur bei Philosophen zu beobachten. „Ihr besonderes Recht hat die religiöse Geschichtsübersicht, für die das große Vorbild Augustins Werk de civitate dei ist, das an der Spitze aller Theodiceen steht.“ Aber auch „Weltpotenzen mögen die Geschichte nach ihrer Art ausdeuten und ausbeuten, z. B. die Sozialisten mit ihren Geschichten des Volkes.“

Das Problem ist hier auch ein methodisches, denn jede Methode ist „bestreitbar und keine allgültig. Jedes betrachtende Individuum kommt auf seinen Wegen, die zugleich sein geistiger Lebensweg sein mögen, auf das riesige Thema zu und mag dann diesem Wege gemäß seine Methode bilden.“

Ganz im Stile der späteren Schriften Karl Poppers gegen den Historizismus formuliert auch Burckhardt eine grundsätzliche Kritik an jeder Form der Geschichtsphilosophie. Unmissverständlich macht er klar, dass der einzig mögliche Ausgangspunkt für die Geschichtsphilosophie allein der duldende, strebende und handelnde Mensch sein kann, der Mensch „wie er ist und immer war und sein wird.“

„Die Geschichtsphilosophen betrachten das Vergangene als Gegensatz und Vorstufe zu uns als Entwickelten; – wir betrachten das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und Verständliches.

Jene sind mit Spekulation über die Anfänge behaftet und müßten deshalb eigentlich auch von der Zukunft reden; wir können jene Lehren von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist nicht von uns zu verlangen.“

Zitate aus: Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, Wiesbaden 2009 (Marixverlag)

Donnerstag, 14. Februar 2013

Ludwig von Mises und der Liberalismus

Ludwig von Mises (1881 - 1973)
Ludwig Heinrich Edler von Mises (1881 – 1973) gehört zu den wichtigsten Theoretikern des Liberalismus im 20. Jahrhundert. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaft wurde Mises Leiter der Finanzabteilung der Handels- und Gewerbekammer in Wien. 1918 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Friedrich August von Hayek war von Mises einer der wichtigen Wirtschaftsberater der österreichischen Regierung.

1940 emigrierte von Mises in die USA und wurde sechs Jahre später us-amerikanischer Staatsbürger. Bis 1969 unterrichtete er an der New York University. Er war zudem Mitglied der Mont Pelerin Society, dem Think Tank des Liberalismus.

In den 20er Jahren, in einer Zeit, in viele in Europa den Glauben an Freiheit und Demokratie verloren hatten, gehörte von Mises zu den wenigen Intellektuellen, die das Ideal des Liberalismus entschieden verteidigten. Sein Buch "Liberalismus" aus dem Jahre 1927 ist ein klares Plädoyer für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, das von seiner Aktualität nichts eingebüßt hat.

Von Mises geht davon aus, dass der Liberalismus keine abgeschlossene Lehre, kein starres Dogma ist, vielmehr sei er genau das Gegenteil von all dem – und zwar „die Anwendung der Lehren der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben der Menschen.“

Für von Mises ist der Liberalismus vor allem eine Lehre, die auf „die Förderung der äußeren, der materiellen Wohlfahrt der Menschen“ abzielt. Ganz bewusst kümmere sich der Liberalismus nicht um die inneren, seelischen und metaphysischen Bedürfnisse der Menschen. „Er verspricht den Menschen auch nicht Glück und Zufriedenheit, sondern nichts anderes als möglichst reichliche Befriedigung aller jener Wünsche, die durch Bereitstellung von Dingen der Außenwelt befriedigt werden können.“

Zwar sei dem Liberalismus genau diese scheinbar materialistische Einstellung vielfach zum Vorwurf gemacht worden, von Mises kehrt das Argument um: Es seien gerade diese Kritiker, die vom „Höheren und Edleren“ eine sehr unvollkommene und sehr materialistische Vorstellung haben:

„Mit den Mitteln, die der menschlichen Politik zur Verfügung stehen, kann man wohl die Menschen reich oder arm machen, aber man kann nie dazu gelangen, sie glücklich zu machen und ihr innerstes und tiefstes Sehnen zu befriedigen. Da versagen alle äußeren Hilfsmittel.

Alles, was die Politik machen kann, besteht darin, die äußeren Ursachen von Schmerz und Leid beheben; sie kann ein System fördern, das die Hungernden sättigt, die Nackten kleidet und die Obdachlosen behaust.

Aber Glück und Zufriedenheit hängen nicht an Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern vor allem an dem, was der Mensch in seinem Innern hegt. Nicht aus Geringschätzung der seelischen Güter richtet der Liberalismus sein Augenmerk ausschließlich auf das Materielle, sondern weil er der Überzeugung ist, daß das Höchste und Tiefste im Menschen durch äußere Regelung nicht berührt werden können. Er sucht nur äußeren Wohlstand zu schaffen, weil er weiß, daß der innere, der seelische Reichtum dem Menschen nicht von außen kommen kann, sondern nur aus der eigenen Brust. Er will nichts anderes schaffen als die äußeren Vorbedingungen für die Entfaltung des inneren Lebens.“

Es kommt darauf an, Vernunft in die Politik zu bringen ...
Ein weiterer Vorwurf, mit dem sich der Liberalismus konfrontiert sieht, besagt, daß er rationalistisch sei. Er wolle alles vernünftig regeln und verkenne dabei, daß im menschlichen Dasein die Gefühle und überhaupt das Irrationale - das Unvernünftige - einen großen Spielraum einnehmen und wohl auch einnehmen müssen.

Von Mises setzt dagegen, daß der Liberalismus natürlich nicht verkenne, daß die Menschen auch unvernünftig handeln. „Der Liberalismus sagt nicht: die Menschen handeln immer klug, sondern: sie sollten - in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse - stets klug handeln.“ Nur in der Politik solle es, meinen die Kritiker, anders sein. Hier solle nicht die Vernunft entscheiden, sondern Gefühle und Impulse.

Von Mises erläutert seinen Standpunkt mit einem sehr einfachen Beispiel: „Wenn jemand seinem Arzte, der ihm vernünftige Lebensweise empfiehlt, zur Antwort gibt: `Ich weiß, daß Ihre Ratschläge vernünftig sind; meine Gefühle verbieten es mir aber, sie zu befolgen; ich will eben - mag es auch unvernünftig sein - gerade das tun, was meiner Gesundheit schädlich ist´, dann wird es wohl kaum jemand geben, der dem Lob spenden wird. Was immer mir auch im Leben anfangen, um ein Ziel, das wir uns gesetzt haben, zu erreichen, wir werden trachten, es vernünftig zu tun.“

So besteht das Wesen des Liberalismus gerade darin, daß er die Vernunft in der Politik zu der Geltung bringen will, die man ihr unbestritten auf allen anderen Gebieten menschlichen Handelns einräumt.“

Schließlich sei die Einrichtung der menschlichen Gesellschaft nach einem möglichst zweckmäßigen Schema ist „eine ganz prosaische und nüchterne Sache.“

Die Staats- und Regierungsangelegenheiten seien zwar wichtiger als alle anderen Fragen der menschlichen Betätigung, „weil die gesellschaftliche Ordnung die Grundlage für alles Übrige abgibt und gedeihliches Wirken eines jeden einzelnen nur in einer zweckmäßig gebildeten Gemeinschaft möglich ist“, aber letztlich seien auch sie nur „Menschenwerk und sind daher nach den Regeln der menschlichen Vernunft zu beurteilen.

Wie in allen übrigen Dingen unseres Handelns, so sei auch in Dingen der Politik Mystik nur von Übel. „Unser Fassungsvermögen ist sehr beschränkt; wir dürfen nicht hoffen, jemals die letzten und tiefsten Weltgeheimnisse zu entschleiern.“

Der Neurotiker aber, und dazu zählt von Mises beispielsweise alle Verteidiger der sozialistischen Utopie, „flüchte sich in eine Wahnidee. Die Wahnidee ist, nach Freud, `selbst etwas Erwünschtes, eine Art Tröstung´; sie ist gekennzeichnet durch `ihre Resistenz gegen logische und reale Angriffe´.“

So sei es kein Zufall, dass „die sozialistischen Schriftsteller nicht nur Reichtum für alle versprechen, sondern auch Liebesglück, volle Entwicklung der seelischen und körperlichen Persönlichkeit, Entfaltung großer künstlerischer und wissenschaftlicher Fähigkeiten usf. für alle. Trotzki hat erst vor kurzem in einer Schrift die Behauptung aufgestellt, in der sozialistischen Gesellschaft werde `der menschliche Durchschnitt´ sich `bis zum Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx erheben´. Das sozialistische Paradies wird das Reich der Vollendung sein, bevölkert von lauter restlos glücklichen Übermenschen.“
 
Diese Haltung ist für von Mises blanker Unsinn. Doch auch, wenn wir „über Sinn und Zweck unseres Daseins nie ins Klare kommen können“, dürfe uns dies nicht daran hindern, „die Gesellschaft so zu gestalten, daß die irdischen Ziele, die wir anstreben, am zweckmäßigsten erreicht werden können. Auch Staat und Rechtsordnung, Regierung und Verwaltung sind nicht zu hoch, zu gut, zu vornehm, als daß wir sie nicht in den Kreis unseres vernünftigen Denkens ziehen sollten.“

Die Probleme der Politik sind für von Mises „Probleme der gesellschaftlichen Technik, und ihre Lösung muß auf demselben Wege und mit denselben Mitteln versucht werden, die uns bei der Lösung anderer technischer Aufgaben zur Verfügung stehen: durch vernünftige Überlegung und durch Erforschung der gegebenen Bedingungen.“

„Alles, was der Mensch ist und was ihn über das Tier hinaushebt, dankt er der Vernunft. Warum sollte er gerade in der Politik auf den Gebrauch der Vernunft verzichten und sich dunkeln und unklaren Gefühlen und Impulsen anvertrauen?“

Für von Mises ist die Frage zwischen Liberalismus und Antiliberalismus auch eine psychologische. So habe der Mensch immer die Möglichkeit, auf zweifache Art auf sein Schicksal zu reagieren: „Den einen Weg weist die Lebensweisheit Goethes. `Wähntest du etwa, ich sollte das Leben hassen, in Wüsten fliehen, weil nicht alle Blütenträume reiften?´ ruft sein Prometheus. Und Faust erkennt im `höchsten Augenblick´, daß `der Weisheit letzter Schluß´ sei: `Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß´.

Solchem Willen und Geist kann kein irdisches Mißgeschick etwas anhaben; wer das Leben nimmt, wie es ist, und sich nie von ihm niederwerfen läßt, bedarf nicht des Trostes durch eine Lebenslüge, zu der sein gebrochenes Selbstbewußtsein flüchtet. Wenn der ersehnte Erfolg sich nicht einstellt, wenn Schicksalsschläge das mühsam in langer Arbeit Erreichte im Handumdrehen vernichten, dann vervielfacht er seine Anstrengungen. Er kann dem Unheil ins Auge schauen, ohne zu zagen.“ 

Es mag sein, dass genau in diesem Gedanken bis heute die ungeheure Kraft liberaler Ideen verborgen liegt.

Zitate aus: Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 - Sehr hörenswert auch "Das Philosophische Radio" (WDR 5) vom 02. März 2012 mit Norbert Bolz über die ungeliebte Freiheit. 

Donnerstag, 7. Februar 2013

Condorcet und die Geschichte


Condorcet (1743 - 1795)
Der französische Adlige Condorcet wurde am 17. September 1743 geboren. Nach seinem Studium widmete er sich zunächst der Mathematik und wurde aufgrund einer vielbeachteten Abhandlung über die Integralrechnung im Jahre 1765 in den Kreis der „Enzyklopädisten“ um Diderot aufgenommen. 

Ab 1789 beteiligte er sich aktiv an der französischen Revolution und hatte verschiedene Ämter inne. In ihnen setzte sich Condorcet vor allem für eine Erziehung für alle Volksschichten, für die Gleichberechtigung der Frau und für die Abschaffung der Sklaverei ein. Im Zuge der Verfolgungen durch die radikalen Jakobiner unter Robespierre wurde Condorcet verhaftet und starb auf bis heute ungeklärte Weise am 28. März 1794 im Gefängnis des Pariser Vorortes Clamart.

Condorcet gilt als einer der radikalsten Vertreter des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus. Die Aufgabe der Politik sah er darin, wirtschaftliche und soziale Reformen auf der Basis wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse zu planen und zu steuern. Der erst nach seinem Tod veröffentlichte Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes (1795) ist das bedeutendste geschichtsphilosophische Werk der französischen Aufklärung.

Condorcet geht von der – zweifelsohne optimistischen - Prämisse aus, dass es dem Menschen gelingen mag, aufgrund seiner Erfahrung der Vergangenheit auch die Ereignisse der Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit vorherzusehen zu können.

Daher fragt Condorcet: „Warum sollte man es dann noch für ein phantastisches Unterfangen halten, das Bild der künftigen Geschicke des Menschengeschlechts nach den Ergebnissen seiner bisherigen Geschichte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entwerfen?“ Im Bereich der Naturwissenschaften seien es ja die allgemeinen Naturgesetze, die eine sichere Grundlage für Voraussagen bilden, weil sie letztlich als „notwendig und beständig“ gelten können.

So ist Condorcet der festen Überzeugung, dass die Kriterien des „Notwendigen und Beständigen“ auch für die Entwicklung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen Gültigkeit haben.

Weil also „alle die Ansichten über Gegenstände von der gleichen Ordnung, die aus der Erfahrung der Vergangenheit gewonnen sind, die einzige Verhaltensregel der weisesten Menschen abgeben, warum sollte man es dem Philosophen verbieten, seine Mutmaßungen auf die gleiche Grundlage zu stellen, vorausgesetzt, dass er ihnen keine höhere Gewissheit beimisst, als die, welche auf der Zahl, der Beständigkeit und Genauigkeit der Beobachtungen beruht?“

Condorcet fokussiert nun das Nachdenken über den zukünftigen Zustand auf drei grundsätzliche Bereiche Menschheit: „die Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Nationen; die Fortschritte in der Gleichheit bei einem und demselben Volke; endlich die wirkliche Vervollkommnung des Menschen.“

Die Frage gleichwohl ist, ob die Menschen sich einem Zustand nähern werden, "da sie alle aufgeklärt genug sind, um sich in den allgemeinen Angelegenheiten des Lebens der eigenen Vernunft anzuvertrauen, ein Leben frei von Vorurteilen zu führen, zu wissen, welche Rechte sie haben und wie sie diese nach eigenem Ermessen, eigenem Gewissen gebrauchen sollen; werden die Mensch dahin kommen, dass alle durch die Entwicklung ihrer Fähigkeiten auch sicher die Mittel erhalten, um für ihre Bedürfnisse aufkommen zu können; dass schließlich Verdummung und Elend nunmehr zufällig und nicht länger der gewohnte Zustand eines Teiles der Gesellschaft sind?“

Condorcet begründet seinen Optimismus hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten der Menschheit durch die Entdeckungen in Wissenschaft und Technik, durch privaten Wohlstand und allgemeine Wohlfahrt, aber auch durch Fortschritte in den Grundsätzen des Verhaltens und der praktischen Moral.

Vor dem Hintergrund dieser beobachtbaren Erfahrungen ist sich Condorcet sicher, „dass die Natur unseren Hoffnungen keine Grenzen gesetzt hat.“

Die Sonne wird nur noch auf freie Menschen scheinen ...
Und so schließt Condorcet seine Gedanken mit einem kaum noch zu überbietenden Optimismus: „Sie wird also kommen, die Zeit, da die Sonne hienieden nur noch auf freie Menschen scheint, Menschen, die nichts über sich anerkennen als ihre Vernunft; da es Tyrannen und Sklaven, Priester und ihr stumpfsinnigen oder heuchlerischen Werkzeuge nur noch in den Geschichtsbüchern und auf dem Theater geben wird; da man sich mit ihnen nur noch befassen wird, um ihre Opfer zu beklagen und die, die sich zum Narren machten; um im Gefühl des Schreckens über ihre Untaten sich in heilsamer Wachsamkeit zu erhalten und den Blick zu schärfen für die ersten Keime des Aberglaubens und der Tyrannei, damit diese unter dem Gewicht der Vernunft erstickt werden könne, sobald es ihnen gelingen sollte, wieder hervorzubrechen!“

Natürlich war Condorcet ein überzeugter Aufklärer, ein Liberaler und kultureller Neuerer der Moderne. In seinem am 3. Juli 1790 veröffentlichten Essay Sur l'admission des femmes au droit de cité sprach er sich für die Einführung des Frauenwahlrechts aus. Darüber hinaus trat er für die Gleichberechtigung von Schwarzen verbunden mit der Abschaffung der Sklaverei und für den Freihandel ein.

Dennoch ist es immer wieder sehr heilsam, sich der Mahnung Karl Raimund Poppers zu erinnern, der jeder Form der prophetischen Geschichtsphilosophie mit den folgenden Worten entgegentrat: „Diese irrationale Einstellung, die sich an Träumen von einer schönen Welt berauscht, nenne ich Romantizismus. So mag er einen himmlischen Staat in der Vergangenheit oder in der Zukunft suchen, aber er wendet sich immer an unsere Gefühle, niemals an unsere Vernunft. Sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten, vermag er diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen für ihre Mitmenschen bereiten.“

Zitate aus: Condorcet: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritt des menschlichen Geistes, Frankfurt a.M. 1963 (Europäische Verlagsanstalt), S. 345 ff)  -  Karl Raimund Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Tübingen 1992 (Mohr Siebeck), S. 213ff  -   Empfehlenswert auch "Das philosophische Radio" (WDR 5) zum Thema "Geschichtsphilosophie" mit Alexander Demandt