Donnerstag, 18. Januar 2018

Robert Nef und die Vergottung des Staates

In seinem kurzem Aufsatz „Wider die Staatsvergottung“ geht Robert Nef in gewohnt kritischer Weise dem Glauben an den allmächtigen Staat auf den Grund.

Robert Nef
Man könne im Krieg, wie der Philosoph Heraklit, den „Vater aller Dinge“ sehen. So sind wohl auch die meisten Staaten durch Kriege entstanden. Gegen Heraklit steht die These vom Tausch, d.h. der Ökonomie und des Handels als „Mutter aller Dinge“: „Der Staat ist `kriegsgeboren´, die Ökonomie blüht besser im Frieden, und durch die Förderung des Gegenseitig-aufeinander-angewiesen-Seins von Händlern und Kunden fördert sie auch diesen Frieden.“

Es war Platon, der in seinem Werk „Politeia“ den Glauben an den allmächtigen Staat etablierte und der in der Folge in der Renaissance, im Absolutismus, in der Aufklärung bis in das Zeitalter der Weltkriege eher laufend bestätigt als erschüttert wurde.

Platon zufolge sollte die Politik „vom Stand der Philosophen, d.h. von den Intellektuellen geleitet werden (...) Diese Irrlehre wirkt bis heute in ganz Europa noch nach, und sie ist eine der Wurzeln des Glaubens an den allmächtigen Staat, jenes Glaubens, der aufgrund seiner weiten Verbreitung, den Staat tatsächlich so mächtig werden ließ und immer noch werden lässt.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831)
Das höchste Loblied auf den Staat, insbesondere den Nationalstaat stammt von Hegel, dem Philosophen des Idealismus, der 1821 in seinen Grundlinien einer Philosophie des Rechts schreibt: „Im Staat allein hat der Mensch wirkliche Existenz. Alle Erziehung geht dahin, dass das Individuum nicht ein Subjektives bleibe, sondern sich im Staate objektiv werde. (...) Allen Wert den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit, hat er allein durch den Staat. (...) Die Natur des Staates ist aber die Einheit des objektiven, des allgemeinen Willens, der subjektive Wille ist dahin enthoben, dass er seiner Besonderheit entsagt.“
Gegen Hegel wendet sich bissige Kritik am Staat aus der Feder des französischen Freiheitsdenkers Frédéric Bastiat: „Der Staat ist die große Fiktion mit deren Hilfe jeder auf Kosten des andern leben will“. Man könnte auch sagen: „Der demokratische Staat ist jene Organisation, die von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen holt, beides unter dem Vorwand, die einen vor den andern zu schützen.“ Diese Kritik zeige, warum der vielleicht keine „sittliche Idee“, wohl aber eine relativ robuste Zweckgemeinschaft ist.
Der nicht weiter begründete Glaube an das Primat der Politik und die von Hegel propagierte „Begeisterung für den Nationalstaat als Hort des Rechts und als einzigen Garanten für Kultur, Toleranz und Freiheit wird von Etatisten aller Parteien fast kritiklos übernommen und auf bürokratische Staatenverbünde übertragen.“

Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass Staat und Politik unser Leben heutzutage wesentlich mitbestimmen. Die Politik „gilt als zentrales soziales Problemlösungsverfahren indem sie den Staat als Inhaber des Zwangsmonopols in Verbindung mit einer `demokratischen Legitimation´ zu einer gerechteren und wohlhabenderen Gesellschaft führen soll.“

Diese Vorrangstellung des Staates und das Primat der Politik wurde jedoch von Freiheitsfreunden und Staatsskeptikern als weit verbreiteter aber gefährlicher Mythos entlarvt.

„Politik ist heute von der Ambivalenz gegenüber dem umverteilenden Daseinsvorsorgestaat geprägt. Der Glaube an dessen Garantie für zunehmende gemeinsame Wohlfahrt paart sich heute mit Zweifeln an einer nachhaltigen Finanzierbarkeit in immer größeren und grenzüberschreitenden Gebieten.“

Das Problem sieht Nef vor allem darin, dass die Bürger alle Wohltaten, die ihnen von den gewählten Politikern versprochen werden, auch tatsächlich erwarten, dass aber angesichts der Tatsache, dass in der Politik stets mehr versprochen wird als gehalten werden kann, die Zahl der Frustrierten zu- und die Zahl der Zufriedenen abnimmt. Und: „Immer mehr gemeinsame Probleme werden von der politisch aktiven Generation durch Verschuldung aufkommende Generationen überwälzt.“

Das Problem ist, dass dass in der Politik stets mehr versprochen wird
als gehalten werden kann ...

Die repräsentative Demokratie kann dieses Problem letztlich nicht lösen, „denn Repräsentation heilt diesen Mangel nicht. Die in der Regel `besser ausgebildeten´ Volksvertreter stimmen bei Verteilungsfragen nicht rationaler ab als die bildungsfernere Volksmehrheit. Eine Erhöhung der politischen Rationalität durch Repräsentation sowie durch `politische Aufklärung´ durch ein staatlich dominiertes Bildungswesen ist eine idealisierte Vorstellung von Intellektuellen, die an ein Primat einer von ihnen inspirierten Politik glauben.“

Als einmal dem Sozialisten Ferdinand Lassalle vorgehalten wurde, dass er mit seiner Sozialpolitik dem Staat Unmögliches zumute, soll dieser geantwortet haben: „Was wollen Sie? Der Staat ist Gott!“ So wird der Staat zum Religionsersatz. Natürlich sei der Glaube an die Allmacht des Staates wie jeder andere Glaube auch „stets auch mit Zweifeln und Frustrationen verbunden. Sie äußern sich, wenn dieser allmächtige Staat nicht genau so tickt (und zahlt!), wie man es sich wünscht. Dann wünscht man sich aber nicht weniger Staat, sondern einen anderen, möglicherweise noch allmächtigeren Staat, auf den sämtliche Hoffnungen und Wünsche projiziert werden.“

Letztlich liegt hier das Urproblem jeder sozialistischen Staatsvorstellung: „Der allmächtige umverteilende Sozialstaat sollte nach sozialistischer Vorstellung jene Vorstufe bilden, in deren Rahmen das Absterben des Staates und seine Ablösung durch die klassenlose Gesellschaft gemeinsam einzuüben und einzugewöhnen wären. Darauf beruht der sozialistische Irrglaube: Man kann durch eine Verabsolutierung und Totalisierung einer Institution namens Staat, in dem alle von allen abhängig gemacht werden, durch einen `grossen Sprung´ zu einer `klassenlosen Gesellschaft´ ohne Staat gelangen. Es ist eigentlich erstaunlich, wie viele Gläubige eine solche Lehre weltweit – vor allem auch unter Intellektuellen – gefunden hat.“

Das Problem ist schlicht, dass es auch in der bisherigen politischen Praxis nach Wellen der Verstaatlichung keinerlei Anzeichen zu einem natürlichen Absterben des Staates gegeben hat.

Am Ende des 18. Jahrhunderts brachte die Französische Revolution zwar die Befreiung vom Feudalstaat, „aber mit ihrer Vergötterung der Rationalität und der Verabsolutierung der Volkssouveränität, und des Primats der Politik nährte sie die gefährliche Illusion, Politik und Staat seinen die wahren Garanten und Vermittler von Frieden, Freiheit, Wohlstand und kollektivem Glück.“

Karl Raimund Popper zitiert in diesem Zusammenhang gern den Spruch Hölderlins: „Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“ (Hyperion, I. Band, Erstes Buch, Hyperion an Bellarmin).

Was also tun gegen die real existierende Macht des real existierenden Staates? „Kapitulieren, schrittweise Verbesserungen postulieren, einen `geordneten Rückzug aus Fehlstrukturen´ fordern, `Waren auf den Zusammenbruch´, oder diesen durch aktiven Widerstand beschleunigen? Gibt es gegenüber der Staatsgewalt graduelle `dritte Wege´ zwischen totaler Anpassung und totalem Widerstand?“

Wer entscheidet über oder für wen? Etatismus ist wieder in Mode!

Für Nef gibt es in der Tat eine philosophische und auch eine politische `Bandbreite´ innerhalb der sich liberale Ordnungsstaatsbefürworter, libertäre Staatsskeptiker und zivilrechtsgesellschaftliche Staatsopponenten bei allen Unterschieden durchaus verbünden können, ohne ihre eigenen Idealvorstellungen zu verraten.

„Man kann als Freiheitsfreund wenigstens gegen jeden weiteren Staatsausbau und jede weitere Zentralisierung kämpfen. Politische Macht läßt sich nicht problemlos abschaffen, sie läßt sich aber in kleine territoriale und institutionelle Stücke schneiden, die sich gegenseitig konkurrenzieren, kontrollieren, entgiften und – wenigstens teilweise – Exit-Optionen, alternative wählbare Vernetzungen und Lernprozesse durch Vergleich ermöglichen.

Und, was ganz wichtig ist: Man kann – auch als klassisch Liberaler – nicht genug vor der Gefahr der großen zentralen, korporatistischen Verbrüderung von Big Government, Big Business und Big Data im globalen `crony capitalism´ warnen.“

Natürlich gibt es kein Patentrezept gegen die wachsende Staatsmacht, die auf einem breit abgestützten und oft blinden Glauben an den Staat beruht. Zu propagieren sei deshalb „ein schrittweiser Ausstieg, eine Entziehungskur, die umso wahrscheinlicher ist, je kleiner der politische Verband ist, der das Experiment wagt.

`Man kann stets alle für eine begrenzte Zeit und einige für alle Zeit aber nicht alle für alle Zeit zum Narren halten´, meinte Abraham Lincoln einst treffend. Dafür sorgen alle spontanen Individuen, welche die allgemeine Heuchelei nicht mitmachen. Nach jeder Bloßstellung angemaßter Macht braucht es wieder neue Scharlatane mit neuen, noch nicht entlarvten Versprechungen und Verheißungen. Das ist die Schattenseite der Machtpolitik.“

Für Nef ist der Schlüsselbegriff für den freiheitlichen Um- gang mit der Staatsmacht die „kreative Dissidenz“, die sich mit Phantasie, Unter-nehmergeist und Humor beharrlich für Formen des zivilisierten Zusammenlebens auf der Basis freier Vereinbarungen einsetzt.


Zitate aus: Robert Nef: Wider die Staatsvergottung, Ausschnitte aus einem Vortrag anlässlich des Roland Baader-Treffens 2017 in Kirrlach, Liberales Institut, Zürich 2017

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