In dankbarer Erinnerung an Johannes Heldt
(06.05.1936 - 12.03.2004)
Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) ist einer der bedeutendsten deutschen Lyriker der Romantik. Grundlegend für das Verständnis Hölderlins ist seine Sichtweise der altgriechischen Kultur, das sich gleichwohl von dem idealistischen Griechenlandbild vieler seiner Zeitgenossen unterscheidet, da Hölderlin die dem Geschmack der Zeit nicht genehmen Züge der griechischen Kultur nicht klassizistisch glätten wollte.
In seinem frühen Briefroman Hyperion oder Der Eremit in
Griechenland (erschien in zwei Bänden 1797 und 1799) stellte Hölderlin seine
Vorstellung der antiken griechischen Kultur dar.
Die Handlung ist schnell zusammengefasst, geht es doch in
dem Werk vor allem um die inneren Erfahrungen des Protagonisten: Hyperion, der
rückschauend seinem deutschen Freund Bellarmin von seinem Leben berichtet,
wächst in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Südgriechenland im Frieden der
Natur auf. Er ist ein Idealist reinster Prägung, der von seinem Lehrer Adamas in
das Zauberland der griechischen Götter eingeführt wird und sich –
begeistert für die griechische Vergangenheit – aufmacht, einen neuen goldenen
Zustand heraufzuführen, in dem Gott, Natur und Mensch wieder eins sind.
Sein Freund Alabanda, ein Tatmensch, weiht ihn in die Pläne
zur Befreiung Griechenlands von der osmanischen Herrschaft ein. Dieser ist es
auch, der Hyperoin schließlich zu einem übereilten Eingreifen in den
griechischen Aufstand 1770 gegen die Türken verführt. Dort zeigt sich, dass
seine Zeitgenossen noch nicht reif sind für seine hohen Ideale. Unterwegs lernt
Hyperion Diotima kennen, die ihn – vergebens – lehrt, nicht zu schwärmen,
sondern sich ernst zu bilden.
Diotima |
Das Unternehmen endet in einer Katastrophe: Hyperion Er wird
schwer verwundet, Alabanda muss fliehen und Diotima stirbt. Hyperion beginnt
schließlich ein Leben als Eremit in Griechenland, wo er seine Trauer über die
Armut und Starre der Gegenwart vor dem Abbild des antiken Griechenland ausleben
kann.
Verzweifelt an den Menschen, an der Liebe und auch an der
Philosophie, sucht Hyperion sein letztes Heil in resignierter Naturliebe. Die
Natur wird für ihn die alleinige Geisteswirklichkeit: „O du mit deinen Göttern,
Natur! Ich hab ausgeträumt, von Menschendingen den Traum, und sage: Nur du
lebst …“
Aus dieser Perspektive wird auch verständlich, warum
Hölderlin dem menschlichen Verstand und seinen Möglichkeiten eher skeptisch
gegenüber steht. An entscheidender Stelle schreibt er im Hyperion:
„Aber aus bloßem
Verstand ist nie Verständiges, aus bloßer Vernunft ist nie Vernünftiges
gekommen.
Verstand ist ohne
Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus grobem Holze
zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle aneinander
nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will. Des Verstandes ganzes
Geschäft ist Notwerk. Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht schützt er uns, indem er
ordnet; aber sicher zu sein vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die
höchste Stufe menschlicher Vortrefflichkeit.
Vernunft ist ohne
Geistes-, ohne Herzensschönheit, wie ein Treiber, den der Herr des Hauses über
die Knechte gesetzt hat; der weiß, so wenig, als die Knechte, was aus all der
unendlichen Arbeit werden soll, und ruft nur: tummelt euch, und siehet es fast
ungern, wenn es vor sich geht, denn am Ende hätt er ja nichts mehr zu treiben,
und seine Rolle wäre gespielt.
Aus bloßem Verstande
kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn nur die beschränkte
Erkenntnis des Vorhandnen.
Aus bloßer Vernunft
kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn blinde Forderung eines
nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines
möglichen Stoffs.
Leuchtet aber das
göttliche έν διαφερον έαυτω (das Eine in sich selber unterschiedene), das Ideal
der Schönheit der strebenden Vernunft, so fordert sie nicht blind, und weiß,
warum, wozu sie fordert.
Scheint, wie der
Maitag in des Künstlers Werkstatt, dem Verstande die Sonne des Schönen zu
seinem Geschäfte, so schwärmt er zwar nicht hinaus und läßt sein Notwerk stehn,
doch denkt er gerne des Festtags, wo er wandeln wird im verjüngenden
Frühlingslichte.“
Durch mythische Erfahrung, nicht durch Verstand und Vernunft
entsteht ein Gespür für die tiefere Bedeutung der Dinge. Durch die Wut des
Erklärens aber wird solche Bedeutsamkeit zerstört: „Man dringt in die
Wirklichkeit ein, statt sich ihr zu öffnen und sie aufgehen zu lassen. Deshalb
sieht man die Erde nicht mehr, hört nicht mehr den Vogellaut, und die Sprache
zwischen den Menschen ist verdorrt“ (Safranski).
Göttlich können auch – das stellt Hyperion am Ende fest –
Landschaften sein. In Griechenland „leben noch die Götter in den Hainen, im
leichten Wind, der vom Meer her weht:
„Endlich … merkt´ ich
auf, und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt, die auf einmal
süß und still und unerklärlich mit mir spielte.“
Arkadische Landschaft mit Hirten (Claude Lorrain, 1600 - 1682) |
Nicht nur in der ganzen Natur, sondern auch in bestimmten
Landschaften und „Konfigurationen des Menschengeschlechts“ wohnt das Göttliche.
„Das Unendliche im Endlichen, das Ewige im Augenblick.“
Zitate aus: Friedrich Hölderlin: Hyperion oder der Eremit in Griechenland,
in: Ders.: Gesammelte Werke, Gütersloh 1955 (Bertelsmann), hier: S. 391 ff -
Weitere Literatur: Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre,
Frankfurt am Main 20010 (fischer), hier: S. 163ff.