Donnerstag, 10. Juli 2014

Sommerlektüre: Wilhelm von Humboldt und die Grenzen des Staates - Teil 2


Prämissen

Wilhelm von Humboldt
Als Freiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein daran ging, sein Programm zur Reform des preußischen Staates umzusetzen, hatte er in Wilhelm von Humboldt einen Mitstreiter gefunden, dem es wie Stein darum ging, dem erwachenden Freiheitsbewusstsein der Bürger Raum zu geben, Eigenverantwortung zu fördern und auf diese Weise dem Staat neue Perspektiven zu erschließen.

In der 1792 verfassten Abhandlung „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmenverteidigt Humboldt das Anliegen, dass jeder Einzelne ein freies und selbstbestimmtes Leben führen kann gegen den umfassenden Ordnungsanspruch des Staates.

Dabei geht er von der Prämisse aus, dass die Frage nach dem Zweck des Staates der Frage nach dem Zweck des Menschen untergeordnet werden müsse: „Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt, ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung.“

Neben dieser ersten Prämisse benennt Humboldt noch eine zweite: „Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, - Mannigfaltigkeit der Situationen“, denn „auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus."

Ähnlich wie in der Ehe, so sei auch im Staat ein Zusammenschluss von Menschen notwendig, „die aus dem Innern der Wesen“ entspringt und in der sich „einer den Reichtum des anderen zu eigen macht.“ Bereits Aristoteles hatte festgestellt: „Es ist doch klar, dass ein Staat, der immer mehr eins wird, schließlich gar kein Staat mehr ist. Seiner Natur nach ist er eine Vielheit. Auch wenn man eine Einheit herstellen könnte, so dürfte man es nicht. Denn dann würde man den Staat überhaupt aufheben. Der Staat besteht ja nicht nur aus vielen Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht kein Staat“ (1261 a 20ff)."

Der wahre Zweck des Menschen: Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situation 

Der bildende Nutzen eines solchen Verbindung bestehe Humboldt zufolge immer aus dem Zusammenspiel von „Selbstständigkeit der Verbundenen“ einerseits und der „Innigkeit der Verbindung“ andererseits, denn ohne diese Innigkeit wäre das Verständnis des anderen unmöglich, ohne Selbstständigkeit dagegen wäre es nicht möglich den `Reichtum des anderen´ „gleichsam in das eigene Wesen zu verwandeln.“

Beides aber mache die Mobilisierung aller vorhandenen Kräfte der Individuen notwendig, wenngleich die Verschiedenheit „nicht zu groß […] und auch nicht zu klein“ sein dürfe.

Diese individuellen Lebenskräfte und die mannigfaltige Verschiedenheit der Menschen vereinigen sich in der „Originalität“ – also in der Einzigartigkeit – jedes Einzelnen, und das, worauf die Größe des Menschen letztlich beruht, ist nichts anderes als diese „Eigentümlichkeit der Kraft und der Bildung.“

Für Humboldt lässt sich insbesondere am klassischen Zeitalter Griechenlands und Rom ablesen, „wie diese Eigentümlichkeit durch Freiheit des Handelns und Mannigfaltigkeit des Handelnden gewirkt hat“, denn hier begegne uns eine im Vergleich zur jetzigen Epoche „größere ursprüngliche Kraft und Eigentümlichkeit“, die „neue wunderbare Gestalten schuf.“
 
Perseus befreit Andromeda (Wandmalerei aus Pompeji aus der "Casa Dei Dioscuri")

Der Staat nun habe die Pflicht, diese individuelle Kraft und Eigentümlichkeit der Individuen „sorgfältigst“ zu bewachen.

So könne der Grundsatz als bewiesen gelten, „dass die wahre Vernunft dem Menschen keinen anderen Zustand als einen solchen wünschen kann, in welchem jeder Einzelne die ungebundenste Freiheit genießt“, um sich „aus sich selbst, in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln.“ In diesem Zustand dürfe auch die „physische Natur [des Menschen] keine andere Gestalt von Menschenhänden“ empfangen, als die, die jeder Einzelne sich selbst gibt, „nach dem Maß seiner Bedürfnisse und seiner Neigungen, allein beschränkt durch die Grenzen seiner Kraft und des Rechts.“

Dieser Grundsatz müsse daher jeder Politik und vor allem auch bei der Beantwortung der Frage nach den Grenzen der Wirksamkeit des Staates zugrunde liegen.“

In einer allgemeinen Formel ausgedrückt, so fährt Humboldt im dritten Kapitel der Abhandlung fort, „könnte man den wahren Umfang der Wirksamkeit des Staats alles dasjenige nennen, was er zum Wohl der Gesellschaft zu tun vermag, ohne jenen oben ausgeführten Grundsatz zu verletzen.“ Daraus ergebe sich notwendig, „dass jedes Bemühen des Staats verwerflich sei, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo dieselben nicht unmittelbaren Bezug auf die Kränkung der Rechte des einen durch den anderen haben.“

Zitate aus: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Volltext im Deutschen Textarchiv, hier: Kapitel II und III.   -    Weitere Literatur: Aristoteles: Politik (München 1976)

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