Prämissen
Wilhelm von Humboldt |
In der 1792 verfassten Abhandlung
„Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“
verteidigt
Humboldt das Anliegen, dass jeder Einzelne ein freies und selbstbestimmtes
Leben führen kann gegen den umfassenden Ordnungsanspruch des Staates.
Dabei geht er von der Prämisse aus, dass die
Frage nach dem Zweck des Staates der Frage nach dem Zweck des Menschen
untergeordnet werden müsse: „Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen
die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig unveränderliche Vernunft ihm
vorschreibt, ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu
einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung.“
Neben dieser ersten Prämisse benennt Humboldt noch eine
zweite: „Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen
Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, -
Mannigfaltigkeit der Situationen“, denn „auch der freieste und unabhängigste
Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus."
Ähnlich wie in der Ehe, so sei auch im Staat ein
Zusammenschluss von Menschen notwendig, „die aus dem Innern der Wesen“
entspringt und in der sich „einer den Reichtum des anderen zu eigen macht.“ Bereits Aristoteles hatte festgestellt: „Es ist doch klar, dass ein Staat, der immer mehr eins wird, schließlich gar kein Staat mehr ist. Seiner Natur nach ist er eine Vielheit. Auch wenn man eine Einheit herstellen könnte, so dürfte man es nicht. Denn dann würde man den Staat überhaupt aufheben. Der Staat besteht ja nicht nur aus vielen Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht kein Staat“ (1261 a 20ff)."
Der wahre Zweck des Menschen: Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situation |
Der bildende Nutzen eines solchen Verbindung bestehe Humboldt
zufolge immer aus dem Zusammenspiel von „Selbstständigkeit der Verbundenen“
einerseits und der „Innigkeit der Verbindung“ andererseits, denn ohne diese
Innigkeit wäre das Verständnis des anderen unmöglich, ohne Selbstständigkeit
dagegen wäre es nicht möglich den `Reichtum des anderen´ „gleichsam in das
eigene Wesen zu verwandeln.“
Beides aber mache die Mobilisierung aller vorhandenen Kräfte
der Individuen notwendig, wenngleich die Verschiedenheit „nicht zu groß […]
und auch nicht zu klein“ sein dürfe.
Diese individuellen Lebenskräfte und die mannigfaltige
Verschiedenheit der Menschen vereinigen sich in der „Originalität“ – also in
der Einzigartigkeit – jedes Einzelnen, und das, worauf die Größe des Menschen
letztlich beruht, ist nichts anderes als diese „Eigentümlichkeit der Kraft und
der Bildung.“
Für Humboldt lässt sich insbesondere am klassischen
Zeitalter Griechenlands und Rom ablesen, „wie diese Eigentümlichkeit durch
Freiheit des Handelns und Mannigfaltigkeit des Handelnden gewirkt hat“, denn
hier begegne uns eine im Vergleich zur jetzigen Epoche „größere ursprüngliche
Kraft und Eigentümlichkeit“, die „neue wunderbare Gestalten schuf.“
Der Staat nun habe die Pflicht, diese individuelle Kraft und
Eigentümlichkeit der Individuen „sorgfältigst“ zu bewachen.
So könne der Grundsatz als bewiesen gelten, „dass die wahre
Vernunft dem Menschen keinen anderen Zustand als einen solchen wünschen kann,
in welchem jeder Einzelne die ungebundenste Freiheit genießt“, um sich „aus
sich selbst, in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln.“ In diesem Zustand dürfe
auch die „physische Natur [des Menschen] keine andere Gestalt von
Menschenhänden“ empfangen, als die, die jeder Einzelne sich selbst gibt, „nach
dem Maß seiner Bedürfnisse und seiner Neigungen, allein beschränkt durch die
Grenzen seiner Kraft und des Rechts.“
Dieser Grundsatz müsse daher jeder Politik und vor allem
auch bei der Beantwortung der Frage nach den Grenzen der Wirksamkeit des
Staates zugrunde liegen.“
In einer allgemeinen Formel ausgedrückt, so fährt Humboldt
im dritten Kapitel der Abhandlung fort, „könnte man den wahren Umfang der
Wirksamkeit des Staats alles dasjenige nennen, was er zum Wohl der Gesellschaft
zu tun vermag, ohne jenen oben ausgeführten Grundsatz zu verletzen.“ Daraus
ergebe sich notwendig, „dass jedes Bemühen des Staats verwerflich sei, sich in
die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo dieselben
nicht unmittelbaren Bezug auf die Kränkung der Rechte des einen durch den
anderen haben.“
Zitate
aus: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit
des Staats zu bestimmen, Volltext im Deutschen Textarchiv, hier: Kapitel II und III. - Weitere Literatur: Aristoteles: Politik (München 1976)
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