Samstag, 4. Mai 2024

ERICH, oder: Wie man ein Unternehmen in den Abgrund führt!

Es ist hinlänglich bekannt, dass ein Unternehmen aufgrund einer Vielzahl externer Gründe scheitern, die sich einer unmittelbaren Kontrolle des Unter-nehmens entziehen. Dazu gehören Schwankungen in der allgemeinen Wirtschaftslage, Neuordnungen in den politischen und rechtlichen Rahmen-bedingungen oder auch Veränderungen in den Markt- und Wettbewerbs-bedingungen, z.B. durch Preisdruck und neue Kundenpräferenzen, die dazu führen, dass Unternehmen ihre bisherige Stellung am Markt verlieren.

Auch wenn einige der externen Faktoren unvorhersehbar sind, so sind sie doch keine Naturgewalten, denen das Unternehmen hilflos ausgeliefert ist. Die meisten Unternehmen sind in der Lage, flexibel und proaktiv auf diese Herausforderungen zu reagieren. Das Scheitern eines Unternehmens ist daher immer auch von den Fähigkeiten bzw. den Defiziten der eigenen Führungskräfte abhängt.

Auch gesunde Unternehmen können von den falschen Leuten in den Abgrund gerissen werden!

Solche „Leitungskräfte“ werden in jüngerer Zeit auch mit dem Begriff „ERICH“ beschrieben. Mit „ERICH“ ist gleichwohl weniger der männliche Vorname gemeint, sondern „ERICH“ ist ein Kompositum aus den Wörtern „ER“ und „ICH“. Das „ER“ steht im Sinne des Illeismus dafür, dass eine Person die eigene Autorität, Macht oder Erhabenheit in übertriebener Weise demonstrieren will. Das „ICH“ steht für „EGO“, den Begriff schlechthin also für eine Persönlichkeits-störung, bei der eine Person ein übermäßiges Interesse an sich selbst hat, sich selbst bewundert und eine übertriebene Wertschätzung für die eigene Person zeigt.

Im Folgenden geht es um eine Reihe von Defiziten bei Führungs- und Leitungs-kräften – den ERICHs –, die  dazu führen, dass ein Unternehmen scheitert, selbst wenn externe Risikofaktoren nicht oder nur geringfügig auf das Unternehmen einwirken. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass auch grundsätzlich gesunde und gut laufende Unternehmen durch mangelnde Fähigkeiten ihrer Leitungs- und Führungspersonen in den Abgrund gerissen werden, weil diese den Herausforderungen einer zeitgemäßen Unternehmens-kultur nicht gerecht werden können (oder wollen!).

Fachliche Unkenntnis

Fachliche Unkenntnis bzw. mangelndes handwerkliches Geschick der Leitungs-kräfte kann sich auf unterschiedliche Weise negativ auf ein Unternehmen auswirken. Führungskräfte, die nicht über ausreichende fachliche Kenntnisse verfügen, sind meist nicht in der Lage, sachlich abgewogene Entscheidungen zu treffen.

Mangelnde Kenntnis für spezifische Vorschriften oder rechtliche Anforderungen wiederum verhindert eine gelingende Compliance. Compliance besteht gleichwohl nicht allein in der formalen Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien, sondern muss sich vor allem im tatsächlichen Handeln und Auftreten der Leitungsakteure widerspiegeln. Werte können nur glaubhaft vermittelt werden, wenn diese auch erkennbar von den Vermittelnden selbst gelebt werden.

Fachliche Unkenntnis ist zuweilen die Konsequenz aus der Wirkung des sog. Peter-Prinzips. Diese Theorie besagt, dass in hierarchischen Organisationen jeder Mitarbeiter so lange befördert wird, bis er eine Position erreicht, in der er nicht mehr effektiv oder überfordert ist. Anders ausgedrückt, in einer Organisation werden Mitarbeiter befördert, wenn sie gute Arbeit leisten, basierend auf ihren aktuellen Aufgaben – solange, bis der Mitarbeiter in eine Position gelangt, in der er nicht mehr erfolgreich ist, weil die Anforderungen der neuen Position seine Kompetenzen übersteigen.

Unwissenheit ... schützt vor Strafe nicht!

Strategische Ahnungslosigkeit

Leitungskräfte  oder Mitarbeiter, die nicht über ausreichende fachliche Kennt-nisse verfügen, können möglicherweise keine fundierten Entscheidungen treffen, auch und gerade in der Strategieentwicklung.

Strategische Ahnungslosigkeit bezieht sich zunächst auf eine bewusste oder unbewusste Ignoranz oder Unwissenheit seitens der Führungskräfte bezüglich wichtiger strategischer Fragen, Herausforderungen oder Entwicklungen in ihrem Unternehmen. Es ist eine Art der Inkompetenz oder Unfähigkeit, die richtigen strategischen Entscheidungen aufgrund eines Mangels an Wissen zu treffen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, an wertvollen Traditionen festzuhalten und dennoch flexibel auf Veränderungen zu reagieren.

Gerade der Mangel an klaren Visionen bzw. langfristigen Strategien für die Zukunft führt unweigerlich dazu, dass man das das Unternehmen in unsichere Gewässer navigiert.

Charakterliche Defizite

Neben mangelnder Expertise sind es häufig charakterliche Defizite der Leitungs-kräfte, die für den Erfolg eines Unternehmens fatale Folgen haben. Dabei verbinden sich zuweilen scheinbar widersprechende Charakterzüge: Insbesondere führungsschwache Leitungskräfte mit mangelnder Expertise neigen zu übermäßiger Kontrolle ihrer Mitarbeiter, was unweigerlich deren Kreativität und Eigenverantwortung einengt.

Solche Führungskräfte übernehmen häufig keine Verantwortung für Fehler oder Probleme im Team und schieben die Schuld gerne auf andere. Wenn Führungskräfte dagegen in der Lage sind, ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Kritik und Selbstkritik gewertschätzt werden, können Mitarbeitermotivation entstehen und exzellente Leistungen erbracht werden.

Besonders dramatische Folgen haben narzisstische Züge bei Führungskräften, also ihr übermäßiges Bedürfnis nach Bewunderung, Macht und Selbst-bestätigung. Solche Menschen neigen dazu, andere zu dominieren und ihre eigenen Interessen über die des Unternehmens zu stellen.  

Narziss - der Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte ... (Gemälde von Caravaggio)

In dem Mangel an Empathie bzw. in dem übersteigerten Selbstbewusstsein offenbaren sich nicht zuletzt fehlende persönliche ethische Standards. Robert I. Sutton bezeichnet solche Wichtigtuer, Tyrannen und Egomanen daher gleichermaßen deftig wie passend schlicht als „Arschlöcher“!

Schlechtes Talentmanagement

Besonders bitter für ein Unternehmen ist es, wenn Führungskräfte nicht in der Lage sind, talentierte und konstruktiv-kritische Mitarbeiter zu identifizieren, zu entwickeln und zu halten und sich stattdessen mit Ja-Sagern und Opportunisten umgeben.

Dahinter steht meist die Unfähigkeit, Mitarbeitern die nötige Anerkennung und Belohnung für ihre Leistungen zukommen zu lassen. Solche Führungskräfte nehmen den größten Anteil am Lob und an der Anerkennung für erfolgreiche Projekte oder Initiativen für sich in Anspruch. Zugleich wälzen sie die Verantwortung für Fehler oder Probleme gerne auf andere ab und sprechen sich selbst von jeglicher Schuld frei.

Die Folge ist eine hohe Fluktuationsrate und geringe Mitarbeiterbindung. Aber auch wenn kompetente Mitarbeiter das Unternehmen nicht gleich verlassen, so bleibt doch ihre Expertise in der Folge sträflich ungenutzt.

Gefährliche Bündnispartner

Der negative Einfluss, den gefährliche Bündnispartner auch und vor allem inner-halb des Unternehmens selbst auf dessen Erfolg haben, wird im Allgemeinen unterschätzt. Insbesondere führungsschwache und strategisch ahnungslose Menschen lassen sich von solchen internen „Partnern“ manipulieren, sofern es nicht etablierte interne Kontrollen bzw. regelmäßige Leistungsüberprüfungen gibt, die Schlimmeres verhindern.

Bündnispartner, die ethisch bedenklich agieren oder ihre Kompetenzen über-schreiten, beeinträchtigen das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des gesamten Unternehmens. Bündnispartner, die gar gegen Gesetze oder juristische Standards verstoßen, können das Unternehmen in rechtliche Probleme verwickeln oder rechtliche Haftung verursachen. Letztlich wirken sich solche „gefährlichen Freundschaften“ gleichermaßen negativ auf Prozess- und Ergebnisqualität und damit auf den Erfolg des gesamten Unternehmens aus.

Mangelnde Selbstreflexion

Führungskräfte mit mangelnder Fähigkeit zur Selbstreflexion, also Menschen, die sich selbst überschätzen und nicht bereit sind, aus Fehlern zu lernen oder sich weiterzuentwickeln, können das gesamte Unternehmen in den Abgrund reißen.

Das sog. Dunning-Kruger-Prinzip besagt, dass Menschen mit geringer Kompetenz oder Fähigkeiten oft dazu neigen, ihr eigenes Wissen oder ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Gleichzeitig neigen sie dazu, die Fähigkeiten anderer zu unterschätzen oder deren Kompetenz nicht angemessen einzuschätzen. Menschen mit geringer Kompetenz oder begrenzten Fähigkeiten sind sich meist nicht bewusst, wie wenig sie eigentlich wirklich wissen oder können, und halten sich trotzdem für kompetenter als sie tatsächlich sind.

Die fatalen Folgen des Dunning-Kruger-Prinzips!

Für ein Unternehmen ist es überlebenswichtig, die Wirkung des Dunning-Kruger-Prinzips zu durchschauen. Daher ist es nötig, die Folgen von Selbstüber-schätzung von Führungskräften nicht herunterzuspielen, sondern darauf zu drängen, dass gerade Leitungskräfte offen sein müssen für konstruktive Kritik bzw. bereit zu sein, von anderen zu lernen, und sich ständig weiterzu-entwickeln.

Es ist mithin kein Zufall, dass das kleine Büchlein "Die Kunst des Krieges", das im 5. Jahrhundert v. Chr. von dem chinesischen General Sunzi verfasst wurde, in vielerlei Hinsicht auf moderne Unternehmenskultur übertragbar ist.

Sunzi legt großen Wert auf die Bedeutung einer klaren Führung: „Die Führung verkörpert Weisheit, Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Tapferkeit und Strenge“ (Kap. I). Hier zeigt sich der rationale Grundton Sunzis, der die Weisheit und Glaubwürdigkeit deutlich über eher martialischen Tugenden stellt. 

Nach Sunzi muss Führung und Leitung daher in erster Linie als eine intellektuelle Herausforderung verstanden werden - eine Herausforderung, der so manche von den selbsternannten Leitungskräften nicht gerecht werden.

 

Literatur: Robert I. Sutton: Der Arschlochfaktor. Vom geschickten Umgang mit Aufschneidern, Intriganten und Despoten im Unternehmen, München 2007 (Carl Hauser) - Sunzi: Die Kunst des Krieges, Frankfurt a.M. 2009 (Insel)