Donnerstag, 20. August 2020

Phillipp Melanchthon und die Bildung (Teil 2)



„Melanchthon brannte für Wissen und Wissenschaft. Der Humanist und Reformator kämpfte für eine solide Allgemeinbildung aller Menschen. Zeitgenossen nannten ihn deshalb auch respektvoll Praeceptor Germaniae – den Lehrer Deutschlands. So lautet die zentrale These von Marianne Thoms in ihrem Beitrag über Phillip Melanchthon in der Reihe Wissen des SWR 2.

Als junger Reformator ist Melanchthon als Augenzeuge dabei, als Luther dem katholischen Theologen Johannes Eck gegenüber bestreitet, dass der Papst die höchste Autorität der Christen sei. Nach dieser unerhörten Kritik droht der Papst, Luther aus der Kirche zu verstoßen. Melanchthon ruft empört alle reformatorisch Gesinnten der Wittenberger Universität für den 20. Dezember 1520 zum Protest auf:

„Alle, die sich zur evangelischen Wahrheit bekennen, werden hiermit aufgefordert, sich um 9 Uhr an der Heilig Kreuz Kapelle außerhalb der Stadtmauer einzufinden.“

Im Beisein Luthers verbrennen die Protestierenden die päpstliche Banndrohung. Sogar das römisch-katholische Kirchengesetzbuch werfen sie in die Flammen. Schließlich eskaliert der Glaubenskonflikt: Papst Leo X. verstößt Luther tatsächlich aus der Römisch-Katholischen Kirche. Er erwartet vom Kaiser Karl V., dass nun auch der weltliche Arm den Ketzer bestrafe. Melanchthon bestärkt Luther, sich während seiner Anhörung auf dem Reichstag zu Worms 1521, auf die Heilige Schrift zu berufen, als „unwiderlegbarer Quelle religiöser Wahrheit“.

Martin Luther verbrennt am 10. Dezember 1520 die Bannandrohungsbulle

Das berühmte reformatorische Schriftprinzip, also die Auffassung, dass allein die Heilige Schrift verbindliche Geltung für den christlichen Glauben hat, das ist ein Prinzip, das Melanchthon in das reformatorische Denken eingebracht hat. Luther nimmt es sofort begeistert auf, nutzt es als argumentative Grundlage bei seinem großen Auftritt 1521 auf dem Reichstag in Worms.

Der unbeugsame Reformator wird vom Kaiser unter Reichsacht gestellt und darf straflos getötet werden. Erst als Melanchthon durch eine Geheimbotschaft erfährt, dass Luther mit Unterstützung des sächsischen Kurfürsten auf der Wartburg bei Eisenach untergetaucht ist, atmet er auf.

Melanchthon ist es auch, der Luther davon überzeugt, die die Bibel aus ihren griechischen und hebräischen Quellen ins Deutsche zu übersetzen. Dabei erweist sich Melanchthons Sprachgenie als unverzichtbare Hilfe für Luther. Im Herbst 1522 ist das Neue Testament druckreif, 1534 folgt das Alte Testament. Auch einfache Menschen können die Bibel von nun an in kraftvoller deutscher Sprache lesen, und ohne Vermittlung von Geistlichen verstehen.

Während Luther die Bibel übersetzt, bringt Melanchthon Luthers in bis dahin 81 Einzelschriften verstreute Lehre in eine übersichtliche, allgemein verständliche Form. Als erster Reformator legt er damit ein Lehrbuch der neuen Theologie vor – die Loci communes, die erste systematische Theologie des Luthertums. Luther selbst sagte einmal, er wisse außer der Heiligen Schrift kein besseres Buch als die Loci communes.

Die Loci in der Ausgabe von 1521

Als Melanchthon erfährt, dass übereifrige Lutheraner Kursachsens Katholiken mit Steinen bewerfen, Kirchen plündern und Priester aus Gottesdiensten vertreiben, dass radikale Professorenkollegen wie Andreas Karlstadt sich darüber beklagen, dass die reformatorischen Veränderungen zu langsam vorankämen, ist er bestürzt:

„Die Unruhen der Unsrigen haben mir viel Arbeit gemacht. Mir ist bange um das Licht der Reformation, das der Welt vor kurzem aufgegangen ist.“

Aber es kommt schlimmer: Mit der ins Deutsche übersetzten Bibel in der Hand durchziehen Heere aufgebrachter Bauern Süd- und Mitteldeutschland. Sie fordern soziale Gerechtigkeit und Befreiung vom Elend ihrer Leibeigenschaft. Sie deuten Luthers Lehre politisch und stellen sich ebenso entschlossen wie schlecht bewaffnet gepanzerten Fürstenheeren.

Melanchthon sieht durch die Aufständischen alles bedroht: Die weltliche Ordnung, die Kirche und nicht zuletzt sich selbst. Im - aus heutiger Sicht gerechten - Krieg der Bauern stellt er sich, wie Luther, auf die Seite der Obrigkeit. Als er hört, dass fürstliche Landsknechte im Mai 1525 Tausende thüringische Bauern bei Frankenhausen niedermetzeln, dass der Kopf des evangelischen Pfarrers Thomas Müntzer zur Abschreckung aufgespießt wird, lautet sein Urteil:

„Es ist eine Lektion darüber, wie hart Gott Ungehorsam und Aufruhr gegen die Obrigkeit bestraft. Die Fürsten sollen gegen alle, die weiter den Aufstand üben, alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um diese als Mörder zu bestrafen und dabei wissen, dass sie Gott damit dienen.“

So wird nach dem Ende der Bauernkriege die Reformation schließlich von einer Volksbewegung zum machtpolitischen Werkzeug von Landesfürsten. Territorial-herren wie dem Landgrafen Philipp von Hessen erscheint der neue Glaube als Chance, dem streng katholischen Kaiser die Stirn zu bieten. Auf dem 1529 einberufenen Reichstag zu Speyer, wo Melanchthon als Verhandlungsführer der evangelischen Seite agiert, protestieren bereits sechs Fürsten und 14 Freie Reichsstädte gegen das kaiserliche Verbot reformatorischer Bestrebungen. Die Bezeichnung „Protestanten“ hat beim Reichstag zu Speyer ihren Ursprung.

Die protestierenden Fürsten auf dem Reichtag zu Speyer (1529)

Obwohl streng verboten, sucht Melanchthon Wege, die Reformation durch gut ausgebildete Pfarrer in den Gemeinden zu verankern. Melanchthon ist derjenige, der kämpft, dass die Reformation zu einer Bildungsbewegung wird, indem er die Pfarrer ausbildet. Melanchthon zeigt dabei großes Geschick als Pädagoge der Reformation und als Bildungsreformer.

Melanchthon ist zugleich der Außenpolitiker der Reformation. Während der geächtete Luther an der Grenze Kursachsens zurückbleiben muss, reitet er weiter zu Reichstagen und Religionsgesprächen, um für Reformen der römisch-katholischen Kirche zu werben und so ihre Spaltung zu verhindern. Anders als andere Reformatoren verhandelt Melanchthon mit der katholischen Seite stets friedfertig, diplomatisch und geduldig. Er setzt auf Argumente. Luther sagt über ihn:

„Ich bin der grobe Waldrechter, der die Bahn brechen und zurichten muss. Aber Magister Philippus fährt säuberlich und stille daher, bauet und pflanzet und säet, nachdem Gott ihm hat gegeben seine Gaben reichlich.“

Beim Augsburger Reichstag 1530 wird eine Schrift Melanchthons verlesen, in der er den neuen evangelischen Glauben umfassend darlegt. Diese sogenannte „Confessio Augustana“ wird zum wichtigsten Bekenntnis des Luthertums. Während des Reichstages aber prallt das Ringen um seine Anerkennung auf eisige Ablehnung des Kaisers und der katholischen Stände. Deprimiert erkennt Melanchthon, dass der Glaubensstreit in Gewalt umzuschlagen droht. Kaiser Karl V. lässt bereits Truppen zusammenziehen. Zur Verteidigung gründen acht evangelische Reichsfürsten und elf Freie Reichsstädte 1531 den Schmalkaldischen Bund. Melanchthon begrüßt dieses militärische Bündnis und so siegt schließlich die Sorge um die Reformation über seinen Obrigkeitsgehorsam.

Melanchthon argumentiert, dass die Obrigkeit ihr Recht hat, solange sie für die öffentliche Ordnung sorgt, aber sie verwirkt ihr Recht, wenn sie den Glauben angreift, wenn sie die Menschen daran hindert, das Evangelium zu verkünden und das Evangelium zu leben, also ihre Religion auszuüben.

Der sächsische Kurfürst beschenkt Melanchthon 1537 mit einem repräsentativen Wohnhaus gleich neben der Universität. Damit ist der in ganz Europa geachtete Wissenschaftler nun standesgemäß untergebracht. Nach heutigen Maßstäben ist Melanchthon ein workaholic. Schon morgens um vier Uhr saß er am Schreibtisch und hat geschrieben. Melanchthon hat alles selbst geschrieben. Luther beschäftigte einen Sekretär, Melanchthon wohl nicht. Melanchthon war gerne Gastgeber. Einmal sagte er, er wäre stolz darauf, dass 11 verschiedene Sprachen an seinem Abendbrottisch gesprochen worden sind. Regelmäßig ließ sich ein Fässchen Wein aus heimatlichen süddeutschen Landen schicken.

Am 18. Februar 1546 stirbt Martin Luther. Als Vormund kümmert sich Melanchthon fürsorglich um Luthers Kinder und die finanziellen Belange seiner Witwe.

Kaiser Karl V. nach der Schlacht bei Mühlberg
(Tizian, 1548)
Der lange befürchtete Religions-krieg beginnt im Februar 1546. In Süddeutschland und Sachsen bekämpfen 60.000 kaiserliche Soldaten die Truppen des Schmalkaldischen Bundes. Sie erobern auch Wittenberg, und die Universität, der verhasste Ausgangsort der Reformation, wird sofort geschlossen. In Lebensgefahr flieht Melanchthon mit seiner Familie nach Magdeburg. Im Frühjahr 1547 bezwingt das katholische Lager den Schmalkaldischen Bund. 

Darauf folgt das sogenannte Interim, in dem nahezu alle evangelischen Neuerungen zugunsten katholischer Praktiken verboten werden. In einem Schreiben des Kaisers an den neuen sächsischen Kurfürsten Moritz heißt es:

„Dieser Mann ist einer der vornehmsten Lärmbläser, welche Empörung und Aufruhr mit ihren giftigen, aufrührerischen Reden und Schriften erheblich gegen uns erregen und stärken!“

Melanchthon aber ignoriert Angebote der Universitäten Heidelberg und Kopenhagen und kehrt nach Wittenberg zurück. Er will wieder unterrichten – und vor allem will er die Reformation nicht verloren geben. Er ist gezwungen zu taktieren, schafft es aber dafür zu sorgen, dass an der Wittenberger Universität erneut evangelische Theologie gelehrt wird.

1555 wird der Augsburger Religionsfrieden geschlossen – ein Sieg der Reformation: Auf der Grundlage von Melanchthons Confessio Augustana, wird der evangelische Glaube anerkannt: Die deutschen Territorialfürsten erhalten das Recht, sich frei für die eine oder andere Religion zu entscheiden - cuius regio, eius religio, die Untertanen haben dem Bekenntnis ihrer Fürsten zu folgen und kein Reichsstand darf wegen seiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche oder zur Confessio Augustana bekriegt werden. Dankbar notiert Melanchthon:

Es ist ganz sicher, dass die evangelische Lehre auch unter äußerlichen Wirren in all den Jahren gnädig bewahrt wurde und der Konflikt auf so erfreuliche Weise geendet ist.

Bis eine Woche vor seinem Tod unterrichtet der leidenschaftliche Lehrer seine Studenten. Am 19. April 1560 stirbt Melanchthon mit 63 Jahren im Studierzimmer seines Hauses an einer fiebrigen Erkältung. In der Wittenberger Schlosskirche wird sein Leichnam neben Luther bestattet.
 
Confessio Augustana (1530)

Während Luther für den Anstoß der Reformation entscheidend war, und auch die wichtigen inhaltlichen Impulse gesetzt hat, ist Melanchthon unschätzbar wichtig für den endgültigen Erfolg der Reformation gewesen. Ohne Melanchthons diplomatisches Geschick, ohne sein unermüdliches Bemühen, auch ohne seine systematischen Gedanken und Veröffentlichungen für ein protestantisches Lehrgebäude, ohne seine Bildungsreform wäre die Reformation stecken-geblieben. 

Zitate aus: Marianne Thoms: Der Reformator Philipp Melanchthon. Klein von Gestalt, groß im Geist, SRW2-Wissen, Sendung vom 19.04.2018

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