Donnerstag, 13. August 2020

Phillipp Melanchthon und die Bildung (Teil 1)


„Melanchthon brannte für Wissen und Wissenschaft. Der Humanist und Reformator kämpfte für eine solide Allgemeinbildung aller Menschen. Zeitgenossen nannten ihn deshalb auch respektvoll Praeceptor Germaniae – den Lehrer Deutschlands. So lautet die zentrale These von Marianne Thoms in ihrem Beitrag über Phillip Melanchthon in der Reihe Wissen des SWR 2.

Phillip Melanchthon (1497 - 1560)

Am 16. Februar 1497 wird Melanchthon als Philipp Schwarzerdt in Bretten geboren. Die Stadt gehört damals zur Kurpfalz. Es ist die Zeit machtbewusster Territorialfürsten, früher Bauernaufstände und bürgerlichen Freiheitsstrebens, die Zeit der Entdeckung Amerikas und der Erfindung verbesserter Feuerwaffen. Philipps Vater Georg ist Rüstmeister des pfälzischen Kurfürsten und ein gefragter Waffenschmied. Er sei geachtet gewesen und gütig:

„Oft hat mein Vater von den Käufern nicht so viel genommen, als diese ihm geben wollten. Manchen hat er das Geld gar wieder aufgezwungen, wenn er hörte, dass sie arm wären.“

Philipps Mutter Barbara ist Tochter des wohlhabenden Tuchhändlers und Bürgermeisters von Bretten, Hans Reuter. In dessen geräumigem Haus am Marktplatz wächst Philipp mit vier Geschwistern, den Eltern und Großeltern auf.

Um ihn schon früh mit der lateinischen Sprache vertraut zu machen, ohne die in der Bildung damals kein Weiterkommen ist, stellt der Großvater einen Hauslehrer ein. Der lässt seinen wissbegierigen Schüler auch Gedichte des italienischen Humanisten Baptista Mantuanus übersetzen. So kommt Philipp schon als Kind in Berührung mit der humanistischen Geisteswelt. Sein Großonkel, der Württemberger Sprachgelehrte Johannes Reuchlin, führt ihn später noch tiefer in die Welt des Humanismus ein. Die besondere Nähe zwischen beiden beginnt, als Philipps behütete Kindheit im Herbst 1508 durch den Tod des Vaters und Großvaters jäh endet. Reuchlins Schwester Elisabeth holt ihn zu sich nach Pforzheim.

Johannes Reuchlin (1455 - 1522)
An der dortigen Lateinschule beginnt der Elfjährige zusätzlich zum täglichen Pensum Altgriechisch zu lernen, was seinen Großonkel besonders freut, denn Reuchlin hat Griechisch als Unterrichtsfach erst jüngst in Deutschland durchgesetzt. Er schenkt Philipp ein Buch – mit folgenreicher Widmung:

„Diese griechische Grammatik hat zum Geschenk gemacht Johannes Reuchlin aus Pforzheim, Doktor der Rechte, dem Philipp Melanchthon aus Bretten im Jahr 1509.“

Diese Widmung gilt als der Ursprung von Melanchthons neuem Namen. Sein Onkel Reuchlin war so begeistert vom jungen Philipp, dass er ihm einen Humanistennamen gegeben hat. Er hat den Namen Schwarzerdt einfach ins Griechische übersetzt und aus Schwarzerdt wird Melanchthon. Reuchlin steht auch als prägende Figur für das Interesse Melanchthons für die antiken Sprachen.

Sprachkenntnis heißt auch eine Schule des Denkens. Präzise Sprache heißt präzises Denken. Das prägt Melanchthons Bildungsverständnis tief.

Reuchlin empfiehlt seinen begabten Ziehsohn an die Universität Heidelberg und an die erst vor wenigen Jahrzehnten gegründete Universität Tübingen, wo er Rhetorik, Dialektik, Grammatik und Geometrie, Musik, Astronomie, Rechtswissenschaften, Medizin und Geschichte studiert. Daneben perfektioniert Philipp seine Griechisch- Kenntnisse und lernt Hebräisch. Mit kaum achtzehn Jahren erlangt er die Magisterwürde und darf nun auch an Universitäten unterrichten. Aber schon bald fühlt er sich unterfordert:

„Ich bin hier zwar sehr beschäftigt, tue aber trotzdem nichts. Unter Knaben werde ich wieder zum Knaben.“

Reuchlin bewirkt, dass der sächsische Kurfürst, Friedrich der Weise, Melanchthon 1518 auf den neu geschaffenen Griechisch-Lehrstuhl der Universität Wittenberg beruft. Diese Ehre verheißt Begegnungen mit Martin Luther, der dort Theologie lehrt und von dessen mutigen Thesen gegen den Ablasshandel Melanchthon gehört hat.

Als Melanchthon am 29. August 1518 in der Wittenberger Schlosskirche zu seiner Antrittsvorlesung ans Rednerpult tritt, wird Melanchthons schmächtige Gestalt, seine leise, leicht lispelnde Stimme zunächst belächelt. Doch dann breitet sich Staunen im Kirchenschiff aus. Mitreißend wirbt Melanchthon für eine durchgreifende humanistische Studienreform. Martin Luther, der unter den Zuhörern gesessen hat, greift zur Feder und schreibt an den kurfürstlichen Sekretär Georg Spalatin:

„Melanchthon hat eine so gelehrte Rede gehalten, die einen solchen Beifall fand, dass wir schnell die vorgefasste Meinung aufgegeben haben. Sehet deshalb zu, dass ihr nicht seine Person und seine Jugend geringschätzt. Er ist jeder Auszeichnung würdig.“

Die Schlosskirche von Wittenberg

In die Vorlesungen Melanchthons drängen bald in- und ausländische Studenten. Konsequent treibt er die Reform der Wittenberger Universität voran.

Sein Bildungsideal war der umfassend gebildete Mensch. Er hatte ein Verständnis von Bildung als Allgemeinbildung. Er war erfüllt von pädagogischem Eros. Er war der erste Dozent in Wittenberg, der auch Studenten bei sich zu Hause aufnahm, er wollte sie wirklich bilden, prägen. Also der Alltag war von Bildung erfüllt.

Melanchthon erkennt sehr früh die Defizite des damaligen „Bildungssystems“. Es fehlt überall an Schulen, viele Lehrer sind miserabel ausgebildet, Lehrbücher gibt es kaum. Im Anschluss an seine Reisen durch Kursachsen entwickelt er eine neue Schulstruktur mit Grund-, Mittel und Oberstufe, die für alle zugänglich sein soll. Er verfasst Schulordnungen, Lehrpläne, Lehrbücher und Grammatiken. Mit klugen Gutachten fördert er Reformen der Universitäten Heidelberg, Tübingen, Frankfurt an der Oder, Leipzig und Rostock. Und Melanchthon sorgt für eine neue Generation gutausgebildeter und motivierter Lehrer.

Dabei konnte Melanchthon natürlich auf sein eigenes Netzwerk an Studenten zurückgreifen, denn die, die bei ihm studiert hatten, hatten natürlich die besten Chancen als Lehrer, als Universitätsdozent, als Kantor unterzukommen.

Melanchthons Ruf reicht über die Grenzen von Fürstentümern hinaus. Die von ihm verfassten Lehrbücher sind bald auch in Schweden, Frankreich, England, Italien, Spanien, Ungarn und Polen gefragt. Vergeblich versuchen europäische Universitäten, den „Lehrer Deutschlands“, wie man ihn jetzt respektvoll nennt, aus Wittenberg abzuwerben. Der Bildungsreformer und Vorkämpfer solider Allgemeinbildung bleibt in dem ihm anfangs so fremden Städtchen an der Mittleren Elbe und entwickelt sich hier zu einem der einflussreichsten Reformatoren, gleichberechtigt neben Luther.

Melanchthon kritisiert schon früh die geldgierige Papstkirche mit ihrem Allmachtanspruch und lehnt Ablasshandel, Ämterschacher und die oft verschwenderische Hofhaltung hoher geistlicher Herren ab. Er fordert, zur Heiligen Schrift „als der alleinigen Quelle christlicher Werte“ zurückzukehren. Besonders tief bewegt ihn Luthers reformatorischer Kerngedanke, die sogenannte Rechtfertigungsbotschaft. Sie besagt, dass der sündige Mensch sich vor Gott nicht durch Ablass und andere Werke rechtfertigen müsse, dafür habe sich Christus geopfert. Diese Botschaft greift tief in das Lebensgefühl der Menschen ein, sie nimmt ihnen die quälende Angst vor einem strafenden Gott, vor Tod, Hölle und Fegefeuer.

Sola scriptura - Die Heilige Schrift als einzig gültige Quelle christlicher Werte

Das ist eine Befreiungsbotschaft aus einem verengten Gottesbild. Die Menschen damals bekommen einen strengen Gott gepredigt, einen Richter, der die Taten der Menschen unerbittlich beurteilt. Und Luther befreit die Menschen aus dieser Verengung, indem er ihnen zeigt, dass Gott ist nicht nur der strenge Richter, sondern vor allem der liebende Vater. Damit befreit er die Menschen von ihrer Angst vor der Hölle, eine Botschaft, die Melanchthon teilt.



Zitate aus: Marianne Thoms: Der Reformator Philipp Melanchthon. Klein von Gestalt, groß im Geist, SRW2-Wissen, Sendung vom 19.04.2018

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