Donnerstag, 27. August 2020

Carl Schmitt und das Politische (Teil 1)


Carl Schmitt
Carl Schmitt (1888 – 1985) gilt gemeinhin als „Kritiker des Parlamentarismus“, als „Theoretiker des Ausnahmezustands“, schlicht als „Kronjurist des Dritten Reiches“, so Michael Reitz in seinem Beitrag für die Sendereihe SWR-Wissen.
   
Ende Juni, Anfang Juli 1934 lässt Adolf Hitler die gesamte Führungsspitze der sogenannten Sturmabteilungen inklusive ihrem Befehlshaber Ernst Röhm ermorden, um seine Machtposition abzusichern. Am 1. August 1934 erscheint in der „Deutschen Juristen-Zeitung“unter dem Titel „Der Führer schützt das Recht“ die rechtliche Legitimierung eines Massakers:

„Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick kraft seines Führertums als Oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. (...) Der wahre Führer ist immer auch der Richter (...) Die Tat des Führers (...) war echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz.“

Autor dieser Huldigung des Führerprinzips ist der Staatsrechtsprofessor Carl Schmitt. Er gilt heute als „Kronjurist des Dritten Reiches“. Aber Schmitt ist zugleich auch einer der faszinierendsten politischen Denker des 20. Jahrhunderts.

Der ebenso hochbegabte wie ehrgeizige Schmitt studiert in Berlin, München und Straßburg Rechtswissenschaft und macht bereits im Alter von 22 Jahren seinen Doktor. Doch er liest nicht nur juristische Fachbücher, sondern auch Unmengen klassischer Literatur und Texte der politischen Philosophie. Ihn interessieren vor allem ihre normativen Fragen: „Was kann, muss und darf ein Staat tun, wenn er sich bedroht fühlt? Wie wägt man Meinungsfreiheit, den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen gegen das Sicherheitsbedürfnis des Gemeinwesens ab? Wie definiert man einen Staatsfeind, was ist das überhaupt – das Politische?“

1922 wird er ordentlicher Jura-Professor in Bonn. Im gleichen Jahr erscheint sein Buch „Politische Theologie“. Dessen erster Satz ist bis heute berühmt-berüchtigt:

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“

Politische Theologie (1922)
Berüchtigt ist dieser Satz vor allem deshalb, weil der Ausnahmezustand ein Zustand ist, in dem das Recht nichts mehr zu sagen hat. Souverän ist also, wer über einen rechtlosen Zustand entscheidet. Man könnte dies in der Weise übersetzen, dass derjenige souverän ist, der sich durchsetzt. Dann wäre dieser Satz letztlich der Ausgangspunkt einer Theorie der gelungenen Revolution oder des gelungenen Staatsstreichs.

Seit der Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts waren mit Souverän das Volk und seine Interessenvertretungen in den Parlamenten gemeint. Carl Schmitt bricht also mit dieser Tradition des demokratischen Machtverständnisses und behauptet, dass auch Demokratien die Möglichkeit haben müssen, ohne Zustimmung der Volksvertretungen Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen einleiten zu dürfen, mit dem Ziel Chaos zu beseitigen und Recht und Ordnung wiederherzustellen -– eine reichlich paradoxe Argumentation.

Hinter Carl Schmitts Konzeption des Ausnahmezustands steckt zu allererst eine tiefe Abneigung gegen den Parlamentarismus. Carl Schmitts Ansatz und seine Führsprache für das Instrument des Ausnahmestandes ist also für sich genommen politisch „neutral“ – was sich daran ablesen lässt, dass in der COVID19-Krise nahezu alle Regierungen – unabhängig von ihrem politischen Bekenntnis – auf das Ausnahmezustand als Mittel zurückgegriffen haben.

Wenn in einem Staat das absolute Chaos herrscht, muss jemand da sein, der dieses Durcheinander und den rechtsfreien Zustand wieder in den Griff bekommt. In seiner Arbeit „Der Begriff des Politischen“ (1927) schreibt Carl Schmitt:

„Die Leistung eines normalen Staates besteht aber vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, `Ruhe, Sicherheit und Ordnung´ herzustellen und dadurch die normale Situation zu schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnormen überhaupt gelten können.“

Carl Schmitts Denken ist ursprünglich rechtsstaatlich und demokratisch geprägt. Öffentliche Diskurse und intensive Kommunikation zu staatlichen Problemstellungen lehnt er allerdings kategorisch ab und spricht mit Verachtung von der „kompromissbereiten, diskutierenden Klasse“. In seinem Buch „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ heißt es 1923:

„Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein government by discussion, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muss voneinander getrennt werden, damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht.“

Der Bundestag - Wirkungsstätte des Parlamentarismus

Vernünftiges Regieren und Diskutieren sind für Carl Schmitt also wie Feuer und Wasser. Um seine Gedankengänge zu verstehen, muss man den Enstehungskontext und die konkreten Bedingungen der Weimarer Republik berücksichtigen. Das Weimarer System funktionierte über weite Strecken mehr schlecht als recht. Radikale Gruppen stellten ein großes Problem dar, zeitweise waren im Parlament mehr als dreißig Parteien vertreten, was eine funktionierende Regierungsarbeit schwierig machte. Zwischen März 1920 und November 1923 gaben sich insgesamt sieben Reichskanzler die Klinke in die Hand. Hinzu kamen die Bestimmungen des Versailler Vertrages, der dem Deutschen Reich enorme Entschädigungszahlungen an die Sieger des Ersten Weltkrieges aufbrummte.

In diesem Gemenge sieht Carl Schmitt die Notwendigkeit, überhaupt erst einmal zu definieren, was das Politische ausmacht und wie sich ein Staat am Leben erhalten kann. Was Carl Schmitt für die unterschiedlichsten politischen Lager bis heute attraktiv macht, ist eine Definition, die in die Ideengeschichte einging. Carl Schmitt schreibt in seiner 1927 veröffentlichten Arbeit „Der Begriff des Politischen“:

„Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. (...) Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird.“

Mit der Freund-Feind-Theorie hatte Carl Schmitt die hauptsächliche Funktion und das Überlebensrezept des modernen Staates formuliert. Denn nur, wenn er bereit und willens ist sich zu wehren, kann er existieren:

„Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen existiert, muss es, wenn auch nur für den extremsten Fall (...) die Unterscheidung von Freund und Feind selber bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politischen Existenz.“

Carl Schmitts Schrift „Der Begriff des Politischen“ ist eine Kampfschrift. Er hat darin zwar auch sehr starke nationalistische Töne gegen Versailles angeschlagen, aber als Jurist zugleich immer betont, dass die Weimarer Republik ein legitimes und legales Verfassungssystem war.

Freund-Feind - Kategorien des Politischen

Mit „Feind“ ist bei Carl Schmitt nicht nur eine fremde Macht gemeint, die die Existenz des Staates und seines Territoriums bedroht. Es geht dabei auch um den inneren Feind, den Umstürzler und Putschisten. Dieser Gedanke wurde ab 1948, bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wieder aktuell.

(Fortsetzung folgt)


Zitate aus: Michael Reitz: Carl Schmitt. Ein umstrittener Denker, SWR-Wissen, Sendung vom 29. März 2019

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