Im Jahre 1502 erschienen die Quatuor Libri Amorum (Vier Bücher Liebesgedichte), des deutschen Dichters und Humanisten Conradi Celtis. Celtis
Freund, der Künstler Albrecht Dürer schuf verschiedene Holzschnitte für die
Erstausgabe des Werk. Von besonderer Bedeutung ist die zweite Graphik. Dieser
Holzschnitt zeigte die Philosophie, die man als Weltweisheit im allerweitesten
Sinne zu verstehen hat. Sie vereinte Theologie, Metaphysik, Ethik,
Naturwissenschaft, Astrologie und schließlich Hermetismus, Okkultismus und
Magie.
Albrecht Dürer - Philosophia (1502) |
In der Mitte des Buchholzschnittes thront alles beherrschend
die Philosophie. Krone und Zepter weisen sie als Königin aus. Statt des
Reichsapfels hält sie in der wichtigen rechten Hand drei Bücher, was sie
sogleich als Herrscherin im Reich des Geistes definiert, zumal sie vollkommen
ungewöhnlich das Zepter in der linken Hand hält, wo doch gewöhnlich das Zepter
in der rechten und der Reichsapfel in der linken Hand ruhten.
Geht man davon aus, dass Zepter und Reichsapfel ausdrücken,
wer worüber herrscht, dann übernehmen die Bücher die Funktion des Zepters und
das Zepter die des Reichsapfels, der Geist herrscht oder mittels des
Geistes herrscht die Königin Philosophia über alle Herrscher der Welt.
Septem Artes liberales |
Von ihrer Brust – dem Sitz des Herzens und damit der
Seele – entrollt sich eine Schärpe in Form eines keilförmigen,
langgezogenen Dreiecks, auf dem griechische Buchstaben zu erkennen sind. Wenn
man die griechischen Kürzel als Treppe oder als Stufen verstehen will, muss man
unten anfangen, dort, wo der Aufstieg zur Weisheit beginnt. Es geht um den
Aufstieg zu Gott, zur Seligkeit, zur vollkommenen Ataraxie.
Den Anfang macht ein Medaillon, in dem die Büste eines
idealtypischen Römers gezeichnet ist, der für die lateinischen Poeten und
Rhetoriker Vergil und Cicero steht, für den Ausgangspunkt aller Weisheit, der
Propädeutik für ein jedes philosophisches Bemühen.
Absichtsvoll schließt sich zu Füßen der Philosophie das
Dürer-Monogramm an – und das an sehr zentraler Stelle zwischen den
lateinischen Propädeutikern und dem eigentlichen Aufstieg zur Weisheit, der auf
dem Dreieck gewiesen wird. Wie ein Schüler vor seinem Lehrer kauerte Albrecht
Dürer zu Füßen der Philosophia.
Dürer-Monogramm und Cicero / Vergil |
Nicht sieben, sondern neun Anfangsbuchstaben finden sich,
die man mit den neun olympischen Musen in Verbindung bringen könnte, doch damit
beschritte man einen Irrweg. Die Stufen hinauf zur Weisheit bestehen aus den
Septem Artes liberales (Die 7 freien Künste), die von unten nach oben in den
Anfangsbuchstaben für die griechischen Bezeichnungen Grammatik, Logik,
Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik symbolisiert werden.
Die Septem Artes liberales waren die Schulweisheit dieser
Zeit, die man duchlaufen musste, die für jeglichen Aufstieg die Voraussetzung
schuf, doch das Ziel war Theos, Gott oder die Gottesschau, die Geheimnisse der
Schöpfung. Verschlüsselt dargestellt wurde der Weg des Adepten als Geheimbotschaft,
der von jedem Adepten auch verstanden wurde.
Ehren erweise vor allem Gott ! Walte immer gerecht ! |
Nicht die Theologie als Wissenschaft, sondern Theos, Gott,
steht als Ziel, den die Seele zu schauen vermag oder besser, der sich in die
Schau der Seele begibt. „Denn der Schlaf des Körpers war zur Nüchternheit der
Seele geworden“, die Überwindung der Physis führt zu Gott, „und das Schließen
der Augen zum wahren Sehen, und mein Schweigen trug das Gute in sich und das
Zu-Grabe-Tragen des Redens wurde ein Ans-Licht-Bringen des Guten. [...] Von der
göttlichen Wahrheit inspiriert, bin ich hier angekommen.“ Passend fügte Dürer auf
den Wangen des Thrones zwei Halbverse aus dem äußerst populären Lehrgedicht
eines jüdisch-hellenistischen Dichters aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. hinzu: „Ehren
erweise vor allem Gott“ und „Walte immer gerecht.“
Und gerecht zu walten, darf hier nicht Gerechtigkeit im
juristischen Sinne, sondern in der steten Forderung der Rechtfertigung vor Gott
verstanden werden. Walte immer gerecht, hieß als religiöser Imperativ des
Christentums: Handle so, dass dein Handeln vor Gott bestehen kann.
Oben und unten wurden der Graphik Texte beigegeben, die als
Dikta der Philosophia zu verstehen sind. Im Prosatext oben stellt sich die
Philosophia als Sophia oder Sapientia (Weisheit) vor, je nachdem, ob sie von
den Griechen oder Römern benannt wurde, verweist auf ihren ägyptischen und
chaldäischen Ursprung, auf ihre Überlieferung durch die Griechen und ihre
Weitergabe, ihre Translation durch die Römer an die Deutschen.
Diesen Text setzte Dürer bildnerisch um, indem er vier
Medaillons gestaltete, in denen im Uhrzeigersinn zu sehen sind: Ptolemäus für die
Ägypter und Chaldäer, Platon für die Griechen, Vergil und Cicero für die Römer,
Albertus Magnus für die Deutschen.
Platon |
Auch hierin zeigte sich wieder das Programm der translatio
studii, der Vermittlung kultureller und wissenschaftlicher Schätze von
Generation zu Generation. Der Weg der Weisheit beginnt bei den Ägyptern und
führt zu den Deutschen.
Philosophie ist letztlich für Dürer die allumfassende Welt-Weisheit, wie es im unteren Text
übersetzt in zwei Distichen heißt:
„Was das Wesen von Himmel, Erde, Luft
und
Wasser ausmacht
Und was das Menschleben umfasst,
was der feurige Gott im ganzen Weltkreis schafft:
Alles trage ich, Philosophia, in meiner Brust.“
Alles trage ich Philosphia, in meiner Brust |
Dürers Philosophia-Holzschnitt führt ins Zentrum der
Renaissance-Philosophie. Er dokumentiert, wie tief der Maler, auch wenn er die
Vorstellungen eines anderen umsetzte, den er doch zumindest verstanden haben
musste, mit den philosophisch-theologischen Spekulationen seiner Zeit vertraut
war. Das Werk bezeugt schließlich Dürers Zugehörigkeit zum innersten Kreis des
deutschen Humanismus.
Zitate aus: Klaus-Rüdiger Mai: Dürer. Das
Universalgenie der Deutschen, Berlin 2015
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