„Ein demokratischer Rechtsstaat läßt seinen Bürgern viel
Freiheit.“ Höffe geht davon aus, dass der Staat kein Selbstzweck ist, sondern letztlich
dem dient, der allein zählt, also der selbständigen und selbstverantwortlichen
Person. Daher „weiß der Staat um seine subsidiäre Legitimation.“
Subsidiarität und Eigenverantwortung |
Allerdings, so stellt Höffe fest, neigen Politiker und Politikwissenschaftler
bei ihrer Wertschätzung der Subsidiarität dazu, „diese mit Delegieren und
Dezentralisieren gleichzusetzen. Wer delegiert, gibt aber Kompetenzen ab, die
ihn vielleicht überfordern, die er jedoch im Prinzip besitzt. Das Subsidiaritätsprinzip
schlägt die Gegenrichtung ein und beginnt alle Rechtfertigung von unten.“
Daher habe das Subsidiaritätsprinzip zwei Seiten, es ist ein
„Zuständigkeitsrecht“ und zugleich ein „Wegnahmeverbot“: Was der einzelne aus
eigener Initiative und mit eigenen Kräften leisten kann, darf seiner
Zuständigkeit nicht geraubt und der Gemeinschaft zugewiesen werden.
Das Individuum hat das Recht, als Kehrseite freilich auch
die Pflicht zur Eigenverantwortung und Selbsthilfe. Ein Staat, der dagegen
verstößt, indem er beispielsweise den Sozialstaat zum Fürsorgestaat „ausbaut“,
handelt nicht nur töricht, da er sich finanziell überfordert. „Er handelt vor
allem illegitim, denn er macht sich einer Kompetenzanmaßung schuldig.“
Recht und Pflicht zur Eigenverantwortung |
Wer die Kompetenz als erstes beim Staat vermutet und sie nur
bei dessen Überforderung abgibt, denkt „etatistisch“ und antisubsidiär. Nach
dem Subsidiaritätsgedanken werden nicht etwa untere Sozialeinheiten, also Familien,
Wohlfahrtsverbände oder die Kommunen deshalb in den Dienst der oberen genommen,
weil diese allein nicht mehr zurechtkommen.
Die oberen Einheiten müssen vielmehr ihre Zuständigkeit
nach unten, letztlich vor den betroffenen Individuen, rechtfertigen.
Überschießende Kompetenzen werden nicht delegiert, sondern als angemaßte
Kompetenzen an den rechtmäßigen Inhaber zurückgegeben.
Das Wegnahmeverbot geht gegebenenfalls in ein Rückgabegebot
über. Daß dann die oberen Instanzen ihre verbleibenden Aufgaben umso besser
erfüllen, ist wohltuend, aber nicht der Zweck, sondern die willkommene
Nebenwirkung.
Die Folge für den Sozialstaat liegt auf der Hand: "Der
legitime Sozialstaat ist freiheitsfunktional und überläßt vieles der Freiheit
seiner Bürger, der illegitime, paternalistische, überdies maternalistische
Fürsorgestaat hingegen entmündigt die Bürger."
Zitate aus: Otfried Höffe: Die Macht der Moral im
21. Jahrhundert. Annäherungen an eine zeitgemäße Ethik, München 2014
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