Hesiod (aus dem Monnus-Mosaik, 3./4. Jh) |
Hesiod hat die Frage von Macht und die Gewalt als die zwei
Seiten jeder weltlichen Herrschaft beispielhaft in seiner Schrift "Werke und
Tage" behandelt und sie zugleich unmittelbar an die Lebenserfahrung seiner
Hörer geknüpft.
Das Thema seiner Dichtung ist vordergründig das vorbildliche
Wirt-schaften auf dem Hof und das einträgliche Zusammenleben in dörflicher
Nachbarschaft. Man muss sich jedoch bewusstmachen, dass dieser Text im lokalen
Kontext der frühen griechischen Polis vorgetragen und die Anspielungen auf
soziale Probleme der Zeit von den Hörern unmittelbar verstanden wurden.
Sie bestanden in erster Linie darin, dass sich die
Sozialstruktur und die Verteilung des Grundbesitzes in starkem Wandel befanden.
Die Verarmung einfacher Bauern und die Anhäufung von Besitz bei den Reichen
waren ein Phänomen der Zeit. Hieraus entstanden Ungerechtigkeiten und
wirtschaftliche Nöte wie etwa die Schuldknechtschaft. Zum anderen beruhte das
Rechtssystem der frühen Polis darauf, dass einzelne Adlige die Rechtsprechung
monopolisierten und Bestechungen offenbar an der Tagesordnung waren, die
notwendige Rechtssicherheit also sichtbar verloren ging.
Hesiod selbst thematisiert in seinem Werk einen Streit, den
er mit seinem Bruder um eine Erbschaft auszutragen hatte. In einem längeren
Abschnitt spricht er seinen Kontrahenten unmittelbar an, um ihn von der
Allmacht des Zeus und seinem Eintreten für das Recht zu überzeugen.
Jede Form von Frevel (hybris) gegenüber dem Recht und schlimmste Vergehen, wie Gewaltakte sie darstellen, wurden von Dike,der Göttin des Rechts, vor allem aber von Zeus auf das Härteste bestraft. Jedes
Unglück der Welt sei letztlich göttliche Strafe und auf Missachtung der Rechtsordnung
zurückzuführen. Solche Verstöße würden Zeus sofort bekannt, da er über eine Art
allgegenwärtige Polizei verfüge.
Dike und Nemesis verfolgen das Verbrechen (Pierre Paul Prud'hon, 1808) |
„Weilen doch auf der vielnährenden Erde dreimal zehntausend
unsterbliche Wächter des Zeus über sterbliche Menschen und wachen über
Rechtssprüche und Schandtaten, ganz in Nebel gehüllt und allwärts wandernd auf
Erden“. Es handelte sich gleichwohl nicht um hinterhältige Spitzel, sondern um
„gute Geister auf Erden und Wächter der sterblichen Menschen“, die den Menschen
Wohlergehen brächten und erst zur Bedrohung würden, wenn man gegen das
Rechtsgut, das sie repräsentieren, verstoße.
Hinter den Ausführungen Hesiods steht die Überzeugung, dass
die Rechtsordnung der archaischen Gemeinwesen und die Regelungen physischer
Gewalt ihre Verbindlichkeit nicht aus dem Gewohnheitsrecht beziehen, sondern
göttlichen Willen widerspiegeln. Daher gäbe es auch eine Kollektivhaftung der
Städte, eine Vorstellung, die aus dem Alten Testament, zum Beispiel Babylon,
gut bekannt ist. Die gängige Rechtspraxis, in der „krumme [Richter-]Sprüche“ von „Geschenke fressenden Königen“, also die als ungerecht
empfundenen und oftmals auf Bestechung beruhenden Gerichtsurteile, verstoße
gegen diese Ordnung.
Wir haben mit den Überlegungen Hesiods demnach einen
grundlegenden sozialen und politischen Konflikt der archaischen Zeit vor Augen.
Vor der schriftlichen Fixierung des Rechts, die zwei bis drei Generationen nach
Hesiod den Richterspruch nachvollziehbar und kalkulierbarer machen sollte,
waren der gemeinschaftliche Konsens über Recht und die Kontrolle physischer
Gewalt verloren gegangen. Mit der Rechtssicherheit war auch die
Unverletzlichkeit des Einzelnen dahin, die Hesiod wiederherstellen wollte.
Er versuchte, seine Zeitgenossen mit dem Verweis auf eine
höhere, den menschlichen Interessen und dem soziopolitischen Wandel entzogene
göttliche Instanz zur Gerechtigkeit zu führen und Gewalt einzudämmen. Alles
menschliche Leid, so der Dichter, sei letztlich Strafe für die Missachtung
göttlichen Willens.
Diese Argumentation mutet angesichts der bestehenden
sozialen Missstände etwas hilflos an, dokumentiert aber sinnfällig, dass solche
Verständigungs-prozesse überlebenswichtig waren oder zumindest so empfunden
wurden. In dem Augenblick, in dem die Integrität des Einzelnen in der
Gemeinschaft nicht gewährleistet ist, wird dies als elementarer Angriff auf die
soziale wie wirtschaftliche Existenz wahrgenommen. Es geht dem Menschen dann
wie der Nachtigall in dem Tiergleichnis Hesiods, die, „durchbohrt von gebogenen
Krallen“ des Habichts, schutzlos sterben muss.
Das Ziel der weltlichen Herrschaft: Rechtssicherheit und Gerechtigkeit |
Die Handlungsoptionen des Menschen für eine Wiedererlangung
von Sicherheit, Recht und Gewaltlosigkeit leitet Hesiod aus einem
Geschichtsbild ab, das durch den Wechsel von Weltzeitaltern geprägt ist, die
von der Zeit des Weltenursprungs bis in seine Gegenwart reichen.
In seiner Weltzeitalterlehre sieht Hesiod die zeitgenössische Menschheit selbst verschuldet in einem Zeitalter ohne Recht und
Sicherheit leben. Auf das goldene Zeitalter, in dem die Menschen einst
sorgenfrei lebten und völlig gewaltfrei „starben wie von Schlaf übermannt“,
folgte das silberne, in dem die Menschen nicht „von frevlerischer Gewalt
untereinander lassen können“. Im nächsten, dem eisernen Zeitalter, gab es
gewaltige Menschen mit unbändiger Kraft, die ihnen aber ebenfalls nicht den
„schwarzen Tod“ ersparte.
Sie wurden abgelöst durch die Heroen, denen es bestimmt war,
die großen Kämpfe in Troia auszufechten und bei Gründung der griechischen
Städte beteiligt zu sein. Den Helden folgten Hesiods Zeitgenossen, denen nichts
heilig ist, bei denen das Faustrecht des Stärkeren regiert und die „Aufsicht
der Götter“ missachtet wird.
Die Menschen haben die Möglichkeit, sich zu bessern und dem
Elend von Neid, Verrat und Gewalt zu entsagen. An die Stelle unkontrollierter
Macht und daraus resultierender Rechtsbeugung setzte der Dichter ein
bäuerliches Leben, das von Solidarität, Nachbarschaftshilfe und gegenseitiger
Unterstützung getragen wurde.
Zitate aus: Martin Zimmermann: Gewalt. Die dunkle
Seite der Antike, München 2013
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