Hermann Hesse |
Nachdem Hesse 1914 vehement den Krieg als seelischen
Bewährungsprobe und Mittel einer grundlegenden Erneuerung des deutschen Volkes
verteidigt hatte, veröffentlicht Hesse ab 1917 unter dem Pseudonym „Emil
Sinclair“ eine Reihe von Artikeln, die kritisch zum Krieg Stellung nehmen.
Die
Kämpfe haben sich mittlerweile noch einmal radikalisiert. Beide Seiten setzen
Giftgas und Tanks ein, versuchen mit Offensiven, die Hunderttausende Opfer
kosten, dem Krieg eine entscheidende Wendung zu geben. Je länger der Krieg
dauert, desto nachhaltiger werden Hesses publizistische Appelle, sich für den
Frieden einzusetzen. Der Friede sei aber nicht allein auf Kongressen zu
erzielen, schreibt Hesse in der Neuen Zürcher Zeitung, sondern müsse von jedem
einzelnen gewonnen werden.
„Es ist die Erkenntnis des Lebendigen in uns von
uns, in jedem von uns, in mir und dir, des geheimen Zaubers, der geheimen
Göttlichkeit, die jeder von uns in sich trägt. Es ist die Erkenntnis von der
Möglichkeit, von diesem innersten Punkte aus alle Gegensatzpaare zu jeder
Stunde aufzuheben, alles Weiß in Schwarz, alles Böse in Gut, alle Nacht in Tag
zu verwandeln. Der Inder sagt ›Atman‹, der Chinese sagt ›Tao‹, der Christ sagt
›Gnade‹. Wo jene höchste Erkenntnis da ist (bei Jesus, bei Buddha, bei Plato,
bei Laotse), da wird eine Schwelle überschritten, hinter der die Wunder
beginnen. Da hört Krieg und Feindschaft auf.«
Hesse setzt sich jetzt auch für Kriegsdienstverweigerer ein,
weil er sie für „das allerwertvollste Symptom der Zeit“ hält: „Jetzt ist man
schon so weit, daß eine ernsthafte Motion im Gange ist, man solle denen,
die aus sittlichen Gründen den Dienst verweigern, Gelegenheit schaffen, ihren
Dienst in ziviler Arbeit abzuleisten. Vielleicht wird das nicht durchgehen,
heut noch nicht, aber kommen wird es absolut sicher, und vielleicht kommt dann
auch eine Zeit, wo auf drei Soldaten zehn Zivildiensttuende kommen werden, wo
man ganz natürlich das Kriegshandwerk, soweit es noch existiert, den geborenen
Raufbolden und Sauhunden überläßt.“
Längst schreibt Hesse keine Kriegsgedichte mehr. Aus dem
Patrioten des August 1914 ist im Sommer 1917 ein scharfer Kritiker des Militarismus
geworden: „Dieser scheußliche Krieg, der für Euch Junge ein glänzendes Phänomen
ist, ist für uns Vierzigjährige etwas anderes. Uns frißt er nicht ein paar
Jugendjahre weg, die man ohnehin auf Abenteuer und dergleichen verwendet hätte;
uns stiehlt er die Jahre der Lebenshöhe, und jeder von uns, der den Krieg
loben und rühmen hilft, ist ein Verbrecher. Nicht weil es grade uns
schlechtgeht – das wäre einerlei –, aber weil gerade wir das
Zerstörende, Wertlose, Satanische des Krieges tiefer fühlen müssen.“
Kunst gegen den Krieg: Otto Dix - Abendsonne (1918) |
Hesse schreibt ein Gedicht, das seine Antikriegs-Stimmung wiedergibt:
Den alten Wanderstecken
Werf ich ins feuchte Gras,
Es ist doch zum Verrecken,
Die Augen sind mir naß.
Muß wieder mich bequemen,
Muß wieder Abschied nehmen,
Tun, was mir nicht gefällt –
Und ringsum blaue Lüfte,
Bach, Wiese und Geklüfte
Und aller Klang und Glanz der Welt!
Muß wieder mich bescheiden,
Muß wieder Sehnsucht leiden
Und fremde Dinge tun,
Indes im Herzen innen
Die dunklen Schmerzen spinnen
Und goldne Träume halbverschüttet ruhn,
Ich spucke still in ein Gesträuch:
Ihr, denen ich muß dienen, allzumal,
Minister, Exzellenzen, General,
Der Teufel hole euch.
Das baldige Ende des Krieges ist mittlerweile in Sicht, denn
Deutschland ist nach den letzten großen Offensiven so geschwächt, dass es im
Westen nur noch hinhaltenden Widerstand leisten kann. Am 4. Oktober muss das
Deutsche Reich ein von dem amerikanischen Präsidenten Wilson diktiertes
Waffenstillstandsangebot akzeptieren.
Knapp 2 Jahre später wird Hesses Pseudonym „Emil Sinclair“ enttarnt
und damit auch sein Deckname, unter dem Hesse seit 1917 Antikriegs-Artikel in
verschiedenen Zeitungen veröffentlicht hatte. In einer autobiografischen
Skizze, dem Kurzgefaßten Lebenslauf, schreibt er: „Ich fand allen Krieg
und alle Mordlust der Welt, all ihren Leichtsinn, all ihre rohe Genußsucht, all
ihre Feigheit in mir selber wieder, hatte erst die Achtung vor mir selbst, dann
die Verachtung meiner selbst zu verlieren, hatte nichts andres zu tun als den
Blick ins Chaos zu Ende zu tun,mit der oft aufglühenden, oft erlöschenden
Hoffnung, jenseits des Chaos wieder Natur, wieder Unschuld zu finden.“
In der aufgeheizten Debatte um den Versailler
Friedensvertrag ist Hesse wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Obwohl auch
er das Friedensdiktat der Siegermächte ablehnt, weil die junge deutsche
Demokratie durch die auferlegten Reparationsleistungen schwer belastet würde,
verwirft er jeden Gedanken an Revanchismus.
Demian von "Emil Sinclair" |
Doch der „neue Hesse“ findet nur bei einem Teil der
deutschen Jugend Anklang. Sein Pazifismus und Internationalismus ist vielen
suspekt. Nicht wenige haben den "Demian" als Manifest für Führertum und
nationalen Aufbruch missverstanden, als Abrechnung mit der wilhelminischen
Vätergeneration. Nun sind sie enttäuscht und schreiben Hesse empörte Briefe: „Inzwischen
schreiben mir unentwegt reichsdeutsche Couleurstudenten ihre mannhaften
Haßbriefe, voll Mark und edler Entrüstung.“
Einen dieser „Haßbriefe“, das Schreiben eines
Medizinstudenten aus Halle, veröffentlicht Hesse in „Vivos voco“ (Ich rufe
die Lebenden), eine von Hesse und Richard Woltereck gegründete Monatsschrift, um
zu demonstrieren, welchen Schmähungen er inzwischen ausgesetzt ist: „Ihre Kunst
ist ein neurasthenisch-wollüstiges Wühlen in Schönheit, ist lockende Sirene
über dampfenden deutschen Gräbern, die sich noch nicht geschlossen haben. Wir
hassen diese Dichter, und mögen sie zehnmal reife Kunst bieten, die aus Männern
Weiber machen wollen, die uns verflachen und internationalisieren und
pazifizieren wollen.
Wir sind Deutsche und wollen es ewig bleiben! Wir sind
Jünger eines Schiller und Fichte und Kant und Beethoven und Richard Wagner,
dessen schmetternde Inbrunst wir in alle Ewigkeit lieben werden. Wir haben ein
Recht zu fordern, daß unsre deutschen Dichter (sind sie verwelscht, dann mögen
sie uns gestohlen bleiben!) unser schlummerndes Volk aufrütteln, daß sie es
wieder führen zu den heiligen Gärten des deutschen Idealismus, des deutschen
Glaubens und der deutschen Treue.“
In einer öffentlichen Replik hält Hesse dem Studenten vor,
dass die von ihm reklamierte „deutsche“Gesinnung zu den Kriegen von 1870 und
1914 geführt habe. Sie verkörpere jene Art von Autoritätsgläubigkeit, gegen die
Goethe gekämpft habe, an der Hölderlin zerbrochen und die von Nietzsche
angeprangert worden sei. Er erkenne darin einen Geist, der Angst vor sich
selber habe und „diese innere Feigheit hinter lärmendem Säbelrasseln verbirgt.“
In seinem Zorn lässt Hesse sich zu Äußerungen hinreißen, die
selbst etwas Eiferndes haben. So belehrt er den Studenten, die von ihm
genannten deutschen Geister gehörten eher „zu den dekorativen Größen“. „Ich
gebe für zwei Gedichte von Hölderlin den ganzen Schiller und den Fichte dazu,
und Kant hat, trotz seiner riesigen Leistung, auf den deutschen Geist einen
keineswegs reinen und nur wohltätigen Einfluss gehabt.“
Für Hesse haben diese Briefe allerdings auch etwas
Positives: „Ich brauche nur einen dieser Briefe zu lesen, einen dieser
zwanghaften, krampfigen, bösen Briefe von Hampelmännern, so sehe ich, wie
gesund ich trotz allem bin, wie ich ihnen auf die Nerven gehe, wie ich sie
aufrege und in Not bringe, wie viel Verführung zu Gefahr, zu Denken, zu Geist,
zu Einsicht, zu Spott, zu Phantasie doch aus meinen Worten spürbar sein muß.“
Zitate aus: Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das
Leben eines Glasperlenspielers, München, 2012
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