Hermann Hesse (ungefähr ein Jahr vor Ausbruch des 1. Weltkrieges) |
Hermann Hesse ist wie viele andere Dichter seiner
Generation ein Verfechter der sogenannten „Ideen von 1914“, wie sie bei
Kriegsausbruch von einer Reihe deutscher Publizisten vertreten werden.
Besonders die Thesen Werner Sombarts, der der „Krämerseele
der angelsächsischen „Händler“ den „Opfermut deutscher Helden“ entgegensetzt,
leuchten Hesse ein, aber auch Max Schelers Buch „Der Genius des Krieges
und der deutsche Krieg“, in dem der Göttinger Phänomenologe den Krieg enthusiastisch
begrüßt und das „geistige Deutschland“ aufruft, sich gegenüber englischem „Materialismus“
und „Imperialismus“ zu behaupten, findet seine Zustimmung. Auch der von Hesse
geschätzte protestantische Theologe Ernst Troeltsch sieht in der Kriegseuphorie
des August 1914 die Geburtsstunde eines „Glaubens an den Geist“, der über die
Dekadenz der materialistischen Epoche triumphiere.
Sie alle stellen die „Ideen von 1914“ bewusst gegen die
»Ideen von 1789«, also gegen die seit der Französischen Revolution für gültig
erachteten Werte wie individuelle Freiheit, rechtliche Gleichheit und Solidarität
der Völker.
Zu den »Ideen von 1914« gehört die Vorstellung des Krieges
als einer seelischen Bewährungsprobe und einer grundlegenden Erneuerung.
Statt durch Askese sollen die Völker jetzt durch Kampf und
Schmerz aus ihrem „satten Frieden“ herausgerissen werden. So schreibt Hesse im
Brief an seinen Vater auch von der „moralischen Aufrüttelung“, die die Opfer
bewirkten. Hesse steht ganz auf der Linie Thomas Manns, der während des Ersten
Weltkriegs geschrieben hatte, im Krieg erfülle Deutschland eine historische
Mission, es stehe für den Sieg der „Kultur“ über die „Zivilisation“, für „Gemeinschaft“
statt „Gesellschaft“, für Gefühl, Haltung und Stil gegenüber Vernunft, Skepsis
und Auflösung.
Auch Hesse erwartet vom Krieg die große Läuterung, eine
innere Umkehr, die der wilhelminischen Saturiertheit und vor allem dem
verhassten, eigentlich ganz „undeutschen“ Kapitalismus ein Ende setzen soll. An
einen Zürcher Bekannten schreibt er im Dezember 1914: „Die moralischen Werte
des Krieges schätze ich im ganzen sehr hoch ein. Aus dem blöden
Kapitalistenfrieden herausgerissen zu werden, tat vielen gut, grade auch in
Deutschland, und für einen Künstler, scheint mir, wird ein Volk von Männern
wertvoller, das dem Tod gegenübergestanden hat und die Unmittelbarkeit und
Frische des Lagerlebens kennt …
Wenn auch nur bei einem Teil der
mitkämpfenden Jugend wirklich das Lebensgefühl vertieft wird, der Sinn fürs
Unzerstörbare gestärkt wird, die Freude am Läppischen abnimmt, so ist damit
mehr gewonnen als mit einigen Städten und Domen verloren gehen kann (...) Das
gefällt mir eigentlich an diesem phantastischen Krieg, dass er gar keinen
`Sinn´ zu haben scheint, dass es nicht um irgendeine Wurst geht, sondern dass
er die Erschütterung ist, von der ein Wechsel der Atmosphäre begleitet wird. Da
unsre Atmosphäre einigermaßen faul war, kann der Wechsel immerhin Gutes
bringen. Ob es teuer und etwas allzu teuer erkauft sei, dürfen nicht wir
entscheiden. Die Natur verschwendet immer, ihr ist das einzelne Leben nichts
wert.“
Kriegsbegeisterung 1914 |
Hesse ist sich auch nicht zu schade, ein Huldigungsgedicht
mit dem Titel „An den Kaiser“ zu verfassen, in dem er Kaiser Wilhelms bekannten
Satz bei Kriegsausbruch, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch
Deutsche, lyrisch besingt:
Rings stehen deine tapfern Heere
Ums deutsche Reich auf treuer Wacht
Und tragen unsre deutsche Ehre
Auf blankem Schild von Schlacht zu Schlacht.
Und alle Schranken sind gefallen,
Es gilt nicht Name noch Partei,
Daß ein erneutes Reich uns allen
Als edles Gut gemeinsam sei.
Auf solchen Boden laßt uns bauen
Die Burg der Zukunft hoch und zier,
Ihr fester Grund sei das Vertrauen
Von dir zu uns, von uns zu dir.
Dann wird der deutsche Geist aufs neue
Durch die verklärte Heimat wehn
Und wieder in bescheidner Treue
An stille Friedenswerke gehen.
Und aus der Schlachten wildem Wüten
Sei jeder willig und bereit
Die Frucht zu retten und zu hüten:
Des deutschen Volkes Einigkeit!
Dennoch wird im November 1914 in deutschen Zeitungen eine
Pressekampagne gegen Hesse losgetreten. Anlass ist sein Artikel „O Freunde,
nicht diese Töne“, der am 3. November in der Neuen Zürcher Zeitung erscheint
und Hermann Hesse in Deutschland gleichsam über Nacht zur Persona non grata
macht.
Hesse zieht darin einen scharfen Trennstrich zwischen der
patriotischen Parteinahme für Deutschland und seiner Liebe zur europäischen
Kultur, also auch zu der der Kriegsgegner, der er nicht abzuschwören bereit
ist. Wer am Schreibtisch „blutige Schlachtgesänge“ verfasse oder Artikel
publiziere, in denen der Hass zwischen den Völkern genährt und die kulturellen
Leistungen des Gegners heruntergemacht würden, verrate den Geist, schreibt
Hesse und zielt damit auf Journalisten und Literaten beider Seiten. Europa
gewinne nichts, wenn Deutsche und Franzosen sich weigerten, die Bücher des
jeweils anderen zu lesen, es dürfe nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehöre,
ein gutes englisches Buch besser zu finden als ein schlechtes deutsches.
Deutsche Kriegspropaganda |
Das Echo auf diesen gewagten und mutigen Aufruf ist
gewaltig. Hesse wird in zwei Dutzend Blättern als Vaterlandsverräter
diffamiert. Alte Freunde sagen sich von ihm los, aus Deutschland wird er mit
Hassbriefen überschüttet, deutschnationale Buchhändler boykottieren ihn, der
Verkauf seiner Bücher stürzt dramatisch ab.
Dafür gewinnt Hesse in dem französischen Schriftsteller
Romain Rolland, der 1915 den Literaturnobelpreis erhält, einen Freund, der seine
versöhnliche Haltung überschwänglich lobt. Dem Konstanzer Komponisten Alfred
Schlenker gegenüber räumt Hesse seine verfahrene Situation ein, die ihn
zwischen Patriotismus und Internationalismus schwanken lässt:
„Dem Kriege
gegenüber bin ich in einer fast peinlichen Lage. Ich fühle ganz für Deutschland
und begreife den dort jetzt herrschenden, alles andere überwältigenden Geist
von Nationalismus durchaus, kann ihn aber nicht so völlig teilen, wie es für
ein vollkommenes Mitleben sein müßte. Ich ... bin durch Herkunft wie durch
Gewohnheit so stark international eingestellt, daß ich jetzt in den Augen eines
reinen Patrioten gar nicht ganz einwandfrei wäre. Mein Vater war Deutschrusse,
Balte, meine Großmutter aus Neuchâtel, mir selber ist von Kind auf
die Schweiz die zweite Heimat, freilich nur die deutsche. Dazu kommt mein
Bedürfnis am Reisen und am Mitleben mit fremden Literaturen.“
Hermann Hesses Haltung zum Krieg bleibt zwiespältig. Seine
Kriegsgedichte werden noch immer in Anthologien aufgenommen, er gehört
also keineswegs der Antikriegsbewegung an wie Leonhard Frank, Hugo Ball oder
Stefan Zweig, die als Exilanten von der Schweiz aus tätig sind. In einem
Vorwort zur Broschüre „Zum Sieg“, die den Soldaten an der Front den
geistigen Überbau für ihren Dienst an der Waffe liefern soll, bekräftigt Hesse
noch einmal, dass es in diesem Krieg um nichts weniger als die „Weltherrschaft“
gehe, die Deutschland zufallen müsse. Der Soldat habe eine schwere, aber
eindeutige Aufgabe: Er habe zu gehorchen und zu siegen.
Doch auch diese nationalistischen Auslassungen machen Hesse
nicht unangreifbar, denn im Oktober 1915 ergießt sich erneut eine Flut von
Beschimpfungen über Hesse. Weil er in einigen kurzen Bemerkungen in einem
Artikel die Vorrangigkeit des Friedens vor dem Krieg behauptet hat und seine
Erleichterung darüber ausdrückte, nicht einberufen worden zu sein, schmäht man
ihn als „vaterlandslosen Gesellen“, „grinsenden Drückeberger“ und „schlauen
Feigling“.
Trotz dieser bösen Erfahrungen mit den Patrioten seiner
Heimat legt sich Hesse auch mit den Pazifisten an, die glauben, der in
Deutschland Verfemte müsse notwendigerweise nun ihre Partei ergreifen. Hesse
weist im November 1915 das Angebot, in pazifistischen Blättern und
Organisationen mitzuarbeiten, zurück und provoziert mit der Aussage, der Krieg
gehöre zum Leben und könne nicht einfach per Dekret abgeschafft werden. Die
Pazifisten seien von der Verwirklichung des Friedens genauso weit entfernt wie
ein Wissenschaftlerkongress von der Entdeckung des Steins der Weisen. Damit hat
Hesse sich zwischen alle Stühle gesetzt, eine Position, die ganz gut zu seinem
Außenseitertum passt.
Zitate aus: Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das
Leben eines Glasperlenspielers, München, 2012
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