Donnerstag, 1. Juni 2017

Hermann Hesse und der Krieg (Teil 1) - "Die Ideen von 1914"

Hermann Hesse
(ungefähr ein Jahr
vor Ausbruch des 1. Weltkrieges)
Hermann Hesse ist wie viele andere Dichter seiner Generation ein Verfechter der sogenannten „Ideen von 1914“, wie sie bei Kriegsausbruch von einer Reihe deutscher Publizisten vertreten werden.

Besonders die Thesen Werner Sombarts, der der „Krämerseele der angelsächsischen „Händler“ den „Opfermut deutscher Helden“ entgegensetzt, leuchten Hesse ein, aber auch Max Schelers Buch „Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg“, in dem der Göttinger Phänomenologe den Krieg enthusiastisch begrüßt und das „geistige Deutschland“ aufruft, sich gegenüber englischem „Materialismus“ und „Imperialismus“ zu behaupten, findet seine Zustimmung. Auch der von Hesse geschätzte protestantische Theologe Ernst Troeltsch sieht in der Kriegseuphorie des August 1914 die Geburtsstunde eines „Glaubens an den Geist“, der über die Dekadenz der materialistischen Epoche triumphiere.

Sie alle stellen die „Ideen von 1914“ bewusst gegen die »Ideen von 1789«, also gegen die seit der Französischen Revolution für gültig erachteten Werte wie individuelle Freiheit, rechtliche Gleichheit und Solidarität der Völker.

Zu den »Ideen von 1914« gehört die Vorstellung des Krieges als einer seelischen Bewährungsprobe und einer grundlegenden Erneuerung.

Statt durch Askese sollen die Völker jetzt durch Kampf und Schmerz aus ihrem „satten Frieden“ herausgerissen werden. So schreibt Hesse im Brief an seinen Vater auch von der „moralischen Aufrüttelung“, die die Opfer bewirkten. Hesse steht ganz auf der Linie Thomas Manns, der während des Ersten Weltkriegs geschrieben hatte, im Krieg erfülle Deutschland eine historische Mission, es stehe für den Sieg der „Kultur“ über die „Zivilisation“, für „Gemeinschaft“ statt „Gesellschaft“, für Gefühl, Haltung und Stil gegenüber Vernunft, Skepsis und Auflösung.

Auch Hesse erwartet vom Krieg die große Läuterung, eine innere Umkehr, die der wilhelminischen Saturiertheit und vor allem dem verhassten, eigentlich ganz „undeutschen“ Kapitalismus ein Ende setzen soll. An einen Zürcher Bekannten schreibt er im Dezember 1914: „Die moralischen Werte des Krieges schätze ich im ganzen sehr hoch ein. Aus dem blöden Kapitalistenfrieden herausgerissen zu werden, tat vielen gut, grade auch in Deutschland, und für einen Künstler, scheint mir, wird ein Volk von Männern wertvoller, das dem Tod gegenübergestanden hat und die Unmittelbarkeit und Frische des Lagerlebens kennt … 

Wenn auch nur bei einem Teil der mitkämpfenden Jugend wirklich das Lebensgefühl vertieft wird, der Sinn fürs Unzerstörbare gestärkt wird, die Freude am Läppischen abnimmt, so ist damit mehr gewonnen als mit einigen Städten und Domen verloren gehen kann (...) Das gefällt mir eigentlich an diesem phantastischen Krieg, dass er gar keinen `Sinn´ zu haben scheint, dass es nicht um irgendeine Wurst geht, sondern dass er die Erschütterung ist, von der ein Wechsel der Atmosphäre begleitet wird. Da unsre Atmosphäre einigermaßen faul war, kann der Wechsel immerhin Gutes bringen. Ob es teuer und etwas allzu teuer erkauft sei, dürfen nicht wir entscheiden. Die Natur verschwendet immer, ihr ist das einzelne Leben nichts wert.“

Kriegsbegeisterung 1914

Hesse ist sich auch nicht zu schade, ein Huldigungsgedicht mit dem Titel „An den Kaiser“ zu verfassen, in dem er Kaiser Wilhelms bekannten Satz bei Kriegsausbruch, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, lyrisch besingt:

Rings stehen deine tapfern Heere
Ums deutsche Reich auf treuer Wacht
Und tragen unsre deutsche Ehre
Auf blankem Schild von Schlacht zu Schlacht.

Und alle Schranken sind gefallen,
Es gilt nicht Name noch Partei,
Daß ein erneutes Reich uns allen
Als edles Gut gemeinsam sei.

Auf solchen Boden laßt uns bauen
Die Burg der Zukunft hoch und zier,
Ihr fester Grund sei das Vertrauen
Von dir zu uns, von uns zu dir.

Dann wird der deutsche Geist aufs neue
Durch die verklärte Heimat wehn
Und wieder in bescheidner Treue
An stille Friedenswerke gehen.

Und aus der Schlachten wildem Wüten
Sei jeder willig und bereit
Die Frucht zu retten und zu hüten:
Des deutschen Volkes Einigkeit!

Dennoch wird im November 1914 in deutschen Zeitungen eine Pressekampagne gegen Hesse losgetreten. Anlass ist sein Artikel „O Freunde, nicht diese Töne“, der am 3. November in der Neuen Zürcher Zeitung erscheint und Hermann Hesse in Deutschland gleichsam über Nacht zur Persona non grata macht.

Hesse zieht darin einen scharfen Trennstrich zwischen der patriotischen Parteinahme für Deutschland und seiner Liebe zur europäischen Kultur, also auch zu der der Kriegsgegner, der er nicht abzuschwören bereit ist. Wer am Schreibtisch „blutige Schlachtgesänge“ verfasse oder Artikel publiziere, in denen der Hass zwischen den Völkern genährt und die kulturellen Leistungen des Gegners heruntergemacht würden, verrate den Geist, schreibt Hesse und zielt damit auf Journalisten und Literaten beider Seiten. Europa gewinne nichts, wenn Deutsche und Franzosen sich weigerten, die Bücher des jeweils anderen zu lesen, es dürfe nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehöre, ein gutes englisches Buch besser zu finden als ein schlechtes deutsches.

Deutsche Kriegspropaganda

Das Echo auf diesen gewagten und mutigen Aufruf ist gewaltig. Hesse wird in zwei Dutzend Blättern als Vaterlandsverräter diffamiert. Alte Freunde sagen sich von ihm los, aus Deutschland wird er mit Hassbriefen überschüttet, deutschnationale Buchhändler boykottieren ihn, der Verkauf seiner Bücher stürzt dramatisch ab.

Dafür gewinnt Hesse in dem französischen Schriftsteller Romain Rolland, der 1915 den Literaturnobelpreis erhält, einen Freund, der seine versöhnliche Haltung überschwänglich lobt. Dem Konstanzer Komponisten Alfred Schlenker gegenüber räumt Hesse seine verfahrene Situation ein, die ihn zwischen Patriotismus und Internationalismus schwanken lässt: 

„Dem Kriege gegenüber bin ich in einer fast peinlichen Lage. Ich fühle ganz für Deutschland und begreife den dort jetzt herrschenden, alles andere überwältigenden Geist von Nationalismus durchaus, kann ihn aber nicht so völlig teilen, wie es für ein vollkommenes Mitleben sein müßte. Ich ... bin durch Herkunft wie durch Gewohnheit so stark international eingestellt, daß ich jetzt in den Augen eines reinen Patrioten gar nicht ganz einwandfrei wäre. Mein Vater war Deutschrusse, Balte, meine Großmutter aus Neuchâtel, mir selber ist von Kind auf die Schweiz die zweite Heimat, freilich nur die deutsche. Dazu kommt mein Bedürfnis am Reisen und am Mitleben mit fremden Literaturen.“

Hermann Hesses Haltung zum Krieg bleibt zwiespältig. Seine Kriegsgedichte werden noch immer in Anthologien aufgenommen, er gehört also keineswegs der Antikriegsbewegung an wie Leonhard Frank, Hugo Ball oder Stefan Zweig, die als Exilanten von der Schweiz aus tätig sind. In einem Vorwort zur Broschüre „Zum Sieg“, die den Soldaten an der Front den geistigen Überbau für ihren Dienst an der Waffe liefern soll, bekräftigt Hesse noch einmal, dass es in diesem Krieg um nichts weniger als die „Weltherrschaft“ gehe, die Deutschland zufallen müsse. Der Soldat habe eine schwere, aber eindeutige Aufgabe: Er habe zu gehorchen und zu siegen.

Doch auch diese nationalistischen Auslassungen machen Hesse nicht unangreifbar, denn im Oktober 1915 ergießt sich erneut eine Flut von Beschimpfungen über Hesse. Weil er in einigen kurzen Bemerkungen in einem Artikel die Vorrangigkeit des Friedens vor dem Krieg behauptet hat und seine Erleichterung darüber ausdrückte, nicht einberufen worden zu sein, schmäht man ihn als „vaterlandslosen Gesellen“, „grinsenden Drückeberger“ und „schlauen Feigling“.

Trotz dieser bösen Erfahrungen mit den Patrioten seiner Heimat legt sich Hesse auch mit den Pazifisten an, die glauben, der in Deutschland Verfemte müsse notwendigerweise nun ihre Partei ergreifen. Hesse weist im November 1915 das Angebot, in pazifistischen Blättern und Organisationen mitzuarbeiten, zurück und provoziert mit der Aussage, der Krieg gehöre zum Leben und könne nicht einfach per Dekret abgeschafft werden. Die Pazifisten seien von der Verwirklichung des Friedens genauso weit entfernt wie ein Wissenschaftlerkongress von der Entdeckung des Steins der Weisen. Damit hat Hesse sich zwischen alle Stühle gesetzt, eine Position, die ganz gut zu seinem Außenseitertum passt.


Zitate aus: Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben eines Glasperlenspielers, München, 2012


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