Die Sonderstellung des Menschen !? |
In der griechischen Antike waren beide Aspekte
in der Vorstellung vom Menschen als Teil der kosmischen Natur gleichwohl eng
verknüpft. Den Griechen galt der Kosmos als nicht geschaffen, ewig und als Inbegriff
einer vernünftigen und göttlichen Ordnung, der Mensch seinerseits galt als das höchste
Naturwesen, das durch seine Vernunft an der vernünftigen Ordnung des Kosmos teilhatte.
Sowohl Platon als auch Aristoteles vertraten
eine Vernunftanthropologie, der zufolge das Wesen des Menschen in der Vernunft bzw.
in seiner Vernunftfähigkeit sieht. Die Rationalität des Menschen dominiert über
seine körperliche, rein tierhafte Verfassung einschließlich der Triebe,
Begierden und Instinkte. Erst durch seine geistigen Fähigkeiten wird der Mensch
in einem vollen Sinne Mensch.
Der Vernunftanthropologie entgegen steht der Ansatz Arnold Gehlens,
der auch die Frage nach der Sonderstellung des Menschen in der Natur zu
beantworten versucht, ausgehend von der Biologie und einem
Mensch-Tier-Vergleich. Gehlens zentrale These lautet, dass der Mensch als natürliches
Lebewesen ein „Mängelwesen“ ist, das nur mit dürftigen Instinkten und begrenzt
leistungsfähigen Organen ausgestattet ist. Daher muss sich der Mensch, wenn er
überleben will, eine „zweite Natur“, eine künstlich-technische Ersatzwelt
erschaffen, die Kultur.
Michael Landmann |
Für Landmann ist evident, das schon die die
Körperlichkeit des Menschen ist eine "spezifisch menschliche Körperlichkeit“
ist. Landmann wendet sich damit deutlich gegen die Vernunftanthropologie mit
ihrer Tendenz, das vitale Substrat des Menschen gewissermaßen tierisch sein zu
lassen. Danach beginne erst mit dem Geistigen, das über dem Tierischen steht, das
eigentliche Menschsein. Landmann hält dagegen: „Vertiefte Einsicht dagegen weiß wieder: Bereits das Biologische an uns
ist durch und durch menschlich. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier von vornherein durch ein ganzheitliches Aufbaugesetz, das auch sein Physisches einbegreift, auch an ihm schon das menschliche ausprägt. Er hat `weder Kern noch Schale´.“
Man kann Landmann zufolge sehr gut beobachten,
dass körperliche und geistige Eigenschaften des Menschen nicht unabhängig
voneinander existieren: „Sie sind nicht zwei getrennte Sphären oder Schichten,
die sich bloß übereinander türmen. Beide sind aufeinander hingeordnet
und bedingen sich gegenseitig. Gerade diese Körperlichkeit bedarf zu ihrer Ergänzung
dieser Geistigkeit und umgekehrt.“
Der entscheidende Unterschied zwischen Mensch
und Tier sieht Landmann in der Art der Steuerung. Weil das Tier in seinem Verhalten
durch Naturinstinkte gesteuert kann, bedarf es auch, nachdem es geboren ist, keiner
langen Jugend: „Die Instinkte brechen von selbst in ihm durch.“
Der Mensch dagegen ist geistgesteuert. Dabei
besitzt „Geist“ eine doppelte Dimension: So wird der Mensch gesteuert "einerseits vom subjektiven Geist seiner eigenen Person wie - was zunächst noch schwerer wiegt - vom objektiven Geist der sozialen
Gruppe, in der er groß wird, von der von Gruppe zu Gruppe variierenden Kultur, die den verfestigten Niederschlag früheren subjektiven Geistes darstellt.“
Ist Geiststeuerung abhängig von der Gehirngröße? |
Kultur ist die „zweite Natur“ des Menschen. Soweit gibt Landmann Gehlen Recht, aber: „In diese Kultur aber muss jeder erst hineinwachsen, er muss sie lernend in sich aufnehmen.“ Kulturelle Gepflogenheiten, Sprache, Sitte, aber auch technische Handhabe liegen nicht als fertige Anlagen bereit, die sich dann wie Instinkte bei Tieren nur auf den auslösenden Reiz warten, um sich entfalten zu können. Vielmehr hat der Mensch nur "eine Anlage: dies alles zu lernen; nur einen Instinkt: den des Nachahmens." So sei das "Nachäffen" nicht nur eine Eigenschaft der Primaten, sondern vor allem auch des Menschen: "Er muss das kulturelle Traditionsgut seiner Gruppe erst in einem eigenen Aneignungsprozess für sich übernehmen und einüben."
So erkläre sich auch die frühe Geburt des eher
„unfertigen“ Menschen: „Sobald es irgend angeht, solange er noch so plastisch wie möglich ist, soll er bereits in Kontakt mit seinen
Sozialgenossen stehen, sollen die kulturellen Normen, die er übernehmen muss, auf ihn einwirken.“ Selbst so grundsätzliche Fähigkeiten wie der aufrechte Gang beruhen
nicht auf erblich angeborener Anlage, sondern hängen ab vom Einfluss und dem
Vorbild der Erwachsenen. Junge Säugetiere beherrschen dagegen Haltung und
Bewegungsweise ihrer Art bereits von Geburt oder fast von Geburt an.
Wachstumsrhythmus und Aneignung von Traditionsgütern beim Menschen |
„Das erste Lebensalter des Menschen ist kein `Schimpansenalter´, er muss nicht erst `den Affen in sich´ überwinden. Von allem Anfang an wächst, reift er und bewegt er sich nach eigenen Gesetzen.“ So lässt sich auch die lange Jugend des Menschen besser verstehen: „Die Aneignung der Kultur ist etwas derart Schwieriges, dass er damit nicht nur früh beginnen muss, sondern auch dann noch außerordentlich lange Zeit dazu benötigt. Es genügt nicht, die kulturellen Einrichtungen und Gewohnheiten rein als solche zu kennen. Man muss sich gleichsam nicht nur mit dem kulturellen Vokabular, sondern auch mit der kulturellen Syntax vertraut machen.“
Jeder weiß, dass es erst nach sehr viel Lernen
und Erfahrung gelingen kann, diesen komplexen Apparat der Kultur zu
durchschauen und richtig zu bedienen, gerade weil es nicht nur darauf ankommt,
die einzelnen Elemente der Kultur („Vokabeln“) isoliert voneinander zu
betrachten, sondern als eine Summe von vielfältig geordneten und komplexen
Zusammenhängen („Sätzen“) zu begreifen.
Zitate
aus: Michael Landmann, Philosophische Anthropologie, Berlin 1982 (Gruyter) - Zum Hören: Marco Weh über "Kopf und Körper" im Philosophischen Radio auf WDR 5
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