Für Norbert Hoerster ist eine Gesellschaft dann eine gerechte Gesellschaft, wenn das Zusammenleben der Menschen in den wesentlichen Bereichen durch gerechte Normen geregelt ist. Diese sind gleichwohl keine absoluten, „der Menschheit vorgegebenen Normen
eines sogenannten Natur- oder Vernunftrechtes“, sondern vielmehr „solche
Normen, auf die sich rational eingestellt Menschen insofern einigen können, als
sie bereit sind, sich sowohl mit den Vorteilen dieser Normen für sich selbst
zufriedenzugeben als auch mit den Vorteilen dieser Normen für ihre Mitmenschen
(und damit den möglichen Nachteilen für sich selbst) abzufinden“ (133).
Umsetzung von Gerechtigkeitsnormen - eine Aufgabe des Staates |
Die Aufgabe des Staates besteht nun darin, die begründeten
Gerechtigkeitsnormen erfolgreich umzusetzen. So wird es letztlich im
wohlverstandenen Interesse der einzelnen Bürger liegen, dem Staat gewisse
Befugnisse einzuräumen, die ihm die Sicherung der Grundrechte ermöglichen. Dazu
zählen Hoerster zufolge vier Abwehrrechte
- Recht auf Leben, Recht auf körperliche
Unversehrtheit, Recht auf Freiheit und Recht auf Schutz des Eigentums - und drei
Anspruchsrechte - Recht auf Erfüllung eines geschlossenen Vertrages, Recht der
unfreiwillig Armen auf Leben im Sinne einer gewissen Grundversorgung und das Recht
der Heranwachsenden auf eine gewisse Erziehung und Ausbildung der eigenen
Fähigkeiten.
Steuern müssen legitimiert werden! |
In diesem Zusammenhang taucht unweigerlich die
Frage auf, ob der Staat berechtigt ist, gewisse Projekte zu verfolgen und zu
diesem Zweck von den Bürgern Steuern abzuverlangen. Hoerster zufolge ist es
„ethisch völlig unvertretbar, als selbstverständlich davon auszugehen, dass der
Staat – oder jedenfalls ein demokratischer Staat – ohne Weiteres jedes beliebige Projekt auf Kosten der
Bürger verfolgen darf“ (115).
Vielmehr müssen zwei Bedingungen erfüllt sein,
um ein Projekt, wodurch der Staat in das Leben der Gesellschaft eingreift, zu
legitimieren:
„1. Das Projekt muss entweder im Interesse so
gut wie aller Bürger oder im fundamentalen Interesse jedenfalls einiger Bürger
liegen.
2. Das Ziel des Projektes muss unter den gegebenen
Bedingungen auf privatwirtschaftlichem Wege nicht oder jedenfalls nicht
vergleichbar gut erreichbar sein“ (116).
Neben Projekten, bei den beide Kriterien erfüllt sind
(Ausbau der Infrastruktur des Landes, Verhinderung von Monopolen, Schaffung von
Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes), gibt es jedoch eine Vielzahl von
Projekten, bei denen sich der Staat „vollkommen
beliebigen Projekten“ widmet, die „letztlich vor allem der
Selbstinszenierung und Wählergewinnung der Politiker dienen“ (122).
Dies gilt im besonderen Maße für die Förderung der
sogenannten „Kultur“, also dem Unterhalt und/oder finanzieller Unterstützung
von Theatern, Opernhäusern, Museen, Freizeitparks, Festspielen,
Filmproduktionen und ähnlichen Einrichtungen.
Bedingung 1 ist hier im Regelfall nicht erfüllt. So liegen
beispielsweise die vom Staat geförderten Bayreuther Festspiele weder im
Interesse aller noch im fundamentalen Interesse einiger Bürger. Aber selbst
wenn die Mehrheit überhaupt an der sogenannten „Kultur“ interessiert wäre, ist
vollkommen unklar, worin diese „Kultur“ überhaupt besteht.
Kultur? Was ist überhaupt Kultur? |
Zunächst ist „die Kultur“ eine enorme Vielzahl völlig
unterschiedlicher Bereiche und Produkte. „Und jedes dieser verschiedenen
Produkte können im Prinzip jene Individuen privatwirtschaftlich unterhalten,
veranstalten und fördern, die an speziell diesem Produkt interessiert sind“
(119). Auch die zweite Bedingung ist also mit Sicherheit nicht erfüllt.
Das würde bedeuten, dass ohne die staatliche Unterstützung jeder
wirklich interessierte Bürger mit dem gesparten Steuergeld genau jene und nur
jene „Kultur“ unterstützen würde, an der er selber interessiert ist.
Darüber hinaus würden die rein privaten Kulturinstitutionen nicht
auf unfaire Weise von den staatlich geförderten Institutionen vom Markt
verdrängt werden, mit denen sie aufgrund deren Förderung kaum konkurrieren
können.
So sei es letztlich auf ein Zeichen enormer Angepasstheit
und geringer geistiger Aufgeklärtheit der Bevölkerung, dass zwar einerseits
niemand akzeptieren würde, wenn sein Nachbar ihm die 500 Euro aus einem
Lottogewinn rauben würde, um damit seinen Garten zu verschönern, „dass
gleichzeitig aber offenbar niemand Probleme damit hat, wenn seine Stadtgemeinde
ihm den gleichen Betrag zur Erbauung eines `Museums für moderne Kunst´, das er
nie zu betreten vorhat, in Form von Steuern wegnimmt“ (122).
Die Bayreuther Festspiele: Eine Bühne zur Selbstinszenierung von Politikern - bezahlt aus Steuergeldern |
Es ist schon skurril: „Wieso werden in unserer Gesellschaft
zwar sämtliche unverzichtbaren materiellen Nahrungsmittel privatwirtschaftlich hergestellt
und vermarktet, zahlreiche der nicht annähernd so unverzichtbaren geistigen
Nahrungsmittel aber staatlich?“ (120).
Zitate
aus: Zitate
aus: Norbert Hoerster: Was ist eine gerechte Gesellschaft? Eine philosophische
Grundlegung. München 2013 (C.H. Beck) -
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