Donnerstag, 23. Oktober 2014

Norbert Hoerster und die staatliche Kulturförderung

Für Norbert Hoerster ist eine Gesellschaft dann eine gerechte Gesellschaft, wenn das Zusammenleben der Menschen in den wesentlichen Bereichen durch gerechte Normen geregelt ist. Diese sind gleichwohl keine absoluten, „der Menschheit vorgegebenen Normen eines sogenannten Natur- oder Vernunftrechtes“, sondern vielmehr „solche Normen, auf die sich rational eingestellt Menschen insofern einigen können, als sie bereit sind, sich sowohl mit den Vorteilen dieser Normen für sich selbst zufriedenzugeben als auch mit den Vorteilen dieser Normen für ihre Mitmenschen (und damit den möglichen Nachteilen für sich selbst) abzufinden“ (133).

Umsetzung von Gerechtigkeitsnormen - eine Aufgabe des Staates

Die Aufgabe des Staates besteht nun darin, die begründeten Gerechtigkeitsnormen erfolgreich umzusetzen. So wird es letztlich im wohlverstandenen Interesse der einzelnen Bürger liegen, dem Staat gewisse Befugnisse einzuräumen, die ihm die Sicherung der Grundrechte ermöglichen. Dazu zählen Hoerster zufolge vier Abwehrrechte  - Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Recht auf Freiheit und Recht auf Schutz des Eigentums - und drei Anspruchsrechte - Recht auf Erfüllung eines geschlossenen Vertrages, Recht der unfreiwillig Armen auf Leben im Sinne einer gewissen Grundversorgung und das Recht der Heranwachsenden auf eine gewisse Erziehung und Ausbildung der eigenen Fähigkeiten.

Steuern müssen legitimiert werden!
In diesem Zusammenhang taucht unweigerlich die Frage auf, ob der Staat berechtigt ist, gewisse Projekte zu verfolgen und zu diesem Zweck von den Bürgern Steuern abzuverlangen. Hoerster zufolge ist es „ethisch völlig unvertretbar, als selbstverständlich davon auszugehen, dass der Staat – oder jedenfalls ein demokratischer Staat – ohne Weiteres jedes beliebige Projekt auf Kosten der Bürger verfolgen darf“ (115).

Vielmehr müssen zwei Bedingungen erfüllt sein, um ein Projekt, wodurch der Staat in das Leben der Gesellschaft eingreift, zu legitimieren:

„1. Das Projekt muss entweder im Interesse so gut wie aller Bürger oder im fundamentalen Interesse jedenfalls einiger Bürger liegen.

2. Das Ziel des Projektes muss unter den gegebenen Bedingungen auf privatwirtschaftlichem Wege nicht oder jedenfalls nicht vergleichbar gut erreichbar sein“ (116).

Neben Projekten, bei den beide Kriterien erfüllt sind (Ausbau der Infrastruktur des Landes, Verhinderung von Monopolen, Schaffung von Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes), gibt es jedoch eine Vielzahl von Projekten, bei denen sich der Staat „vollkommen beliebigen Projekten“ widmet, die „letztlich vor allem der Selbstinszenierung und Wählergewinnung der Politiker dienen“ (122).

Dies gilt im besonderen Maße für die Förderung der sogenannten „Kultur“, also dem Unterhalt und/oder finanzieller Unterstützung von Theatern, Opernhäusern, Museen, Freizeitparks, Festspielen, Filmproduktionen und ähnlichen Einrichtungen.

Bedingung 1 ist hier im Regelfall nicht erfüllt. So liegen beispielsweise die vom Staat geförderten Bayreuther Festspiele weder im Interesse aller noch im fundamentalen Interesse einiger Bürger. Aber selbst wenn die Mehrheit überhaupt an der sogenannten „Kultur“ interessiert wäre, ist vollkommen unklar, worin diese „Kultur“ überhaupt besteht.

Kultur? Was ist überhaupt Kultur?

Zunächst ist „die Kultur“ eine enorme Vielzahl völlig unterschiedlicher Bereiche und Produkte. „Und jedes dieser verschiedenen Produkte können im Prinzip jene Individuen privatwirtschaftlich unterhalten, veranstalten und fördern, die an speziell diesem Produkt interessiert sind“ (119). Auch die zweite Bedingung ist also mit Sicherheit nicht erfüllt.

Das würde bedeuten, dass ohne die staatliche Unterstützung jeder wirklich interessierte Bürger mit dem gesparten Steuergeld genau jene und nur jene „Kultur“ unterstützen würde, an der er selber interessiert ist.

Darüber hinaus würden die rein privaten Kulturinstitutionen nicht auf unfaire Weise von den staatlich geförderten Institutionen vom Markt verdrängt werden, mit denen sie aufgrund deren Förderung kaum konkurrieren können.

So sei es letztlich auf ein Zeichen enormer Angepasstheit und geringer geistiger Aufgeklärtheit der Bevölkerung, dass zwar einerseits niemand akzeptieren würde, wenn sein Nachbar ihm die 500 Euro aus einem Lottogewinn rauben würde, um damit seinen Garten zu verschönern, „dass gleichzeitig aber offenbar niemand Probleme damit hat, wenn seine Stadtgemeinde ihm den gleichen Betrag zur Erbauung eines `Museums für moderne Kunst´, das er nie zu betreten vorhat, in Form von Steuern wegnimmt“ (122).

Die Bayreuther Festspiele: Eine Bühne zur Selbstinszenierung
von Politikern - bezahlt aus Steuergeldern

Es ist schon skurril: „Wieso werden in unserer Gesellschaft zwar sämtliche unverzichtbaren materiellen Nahrungsmittel privatwirtschaftlich hergestellt und vermarktet, zahlreiche der nicht annähernd so unverzichtbaren geistigen Nahrungsmittel aber staatlich?“ (120).


Zitate aus:  Zitate aus: Norbert Hoerster: Was ist eine gerechte Gesellschaft? Eine philosophische Grundlegung. München 2013 (C.H. Beck)  -  

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