Donnerstag, 25. September 2014

Camus und die metaphysische Revolte Epikurs

Albert Camus (1913 – 1960) 
Albert Camus ist einer der bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts und herausragender Vertreter des philosophischen Existentialismus.

Neben dem „Mythos von Sisypos“ (1942) ist es vor allem das zweite philosophische Hauptwerk „Der Mensch in der Revolte“ (1951), das Camus berühmt machte.

Ausgangspunkt von Camus Denken ist das Absurde. Damit beschreibt Camus die unüberbrückbare Zerrissenheit, Ambivalenz und Sinnlosigkeit als unvermeidbare Grundgegebenheit des menschlichen Daseins, die der Mensch im Verlauf seines Lebens immer wieder erlebt und von der er erschüttert wird.

Menschliche Würde verwirklicht sich angesichts des Absurden nur durch das bewusste Standhalten und die permanente Auflehnung gegen das Absurde. Der Selbstmord kann hier kein Ausweg sein, denn sich selbst zu töten, würde dem Menschen ja gerade die Möglichkeit nehmen, sein wahres Menschsein zu verwirklichen. 

So schreibt Camus: „Es gibt für den Menschen keine Freiheit, solange er seine Angst vor dem Tod nicht überwunden hat. Aber nicht durch Selbstmord. Um zu überwinden, darf man sich nicht aufgeben.“

"Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz ausfüllen.
Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." (Camus)

Diese ständige Auflehnung gegen das Absurde ist die Revolte, eine ihrer Spielarten ist die metaphysische Revolte.  Sie besteht zunächst darin, „dass der Mensch an der transzendenten Sinngebung seiner Existenz zu zweifeln beginnt und gegen die transzendente Rechtfertigung des Leidens und des Sterbens revoltiert.“ 

Man darf die metaphysische Revolte jedoch nicht mit Atheismus gleichsetzen: „Der Revoltierende fordert eher heraus, als dass er leugnet. Am Anfang wenigstens beseitigt er Gott nicht, er spricht einzig als Ebenbürtiger mit ihm.“ Wer metaphysisch revoltiert, sei also nicht notwendig ein Gottesleugner, aber er ist unweigerlich ein Gotteslästerer.

„In den letzten Augenblicken des antiken Denkens“ nun findet die metaphysische Revolte ihre Sprache in der Philosophie Epikurs:

Epikur (341 - 270 v. Chr.)
„Die erschütternde Trauer Epikurs … ist zweifellos von einer Angst vor dem Tod eingegeben, welche dem griechischen Geist nicht fremd ist. Aber der pathetische Akzent dieser Angst ist aufschlussreich. `Man kann sich gegen alles sichern, doch was den Tod betrifft, bleiben wir wie die Bewohner einer geschleiften Festung.´ Weshalb also den Genuss auf später verschieben?

`Mit Warten´, sagt Epikur, `zehren wir unser Leben auf, und wir arbeiten uns alle zu Tode.´ Also muss man sich dem Genuss ergeben. Doch welch befremdlicher Genuss! Er besteht darin, die Fenster der Festung zuzumauern, sich des Brotes und des Wassers im stillen Schatten zu versichern. Da der Tod uns bedroht, muss man beweisen, dass der Tod nichts ist. (…)

`Der Tod ist nichts in Bezug auf uns, denn was aufgelöst ist, ist unfähig zu empfinden, und was nicht empfindet, ist nichts für uns.´ Ist es das Nichts? Nein, denn alles ist Materie in dieser Welt, und Sterben heißt nur, zum Urstoff zurückzukehren. Das Sein ist der Stein. Die einzigartige Wollust, von der Epikur spricht, besteht vor allem in der Abwesenheit von Schmerz; das ist das Glück der Steine.

Um dem Schicksal zu entgehen, tötet Epikur, mit einer herrlichen Bewegung, die wir bei unseren Klassikern wiederfinden, die Sensibilität und zuvörderst den ersten Schritt der Sensibilität: die Hoffnung.

Was der griechische Philosoph von den Göttern sagt, heißt nichts anderes. Alles Unglück der Menschen stammt von der Hoffnung, die sie dem Schweigen der Festung entreißt und sie auf die Wälle treibt in Erwartung des Heils. Diese unvernünftige Bewegung hat keine andere Wirkung, als sorgfältig verbundene Wunden neu zu öffnen.

Der wahre Genuss liegt im Verzicht:
"... sich des Brotes und des Wassers im stillen Schatten zu versichern ..."

Deshalb leugnet Epikur die Götter nicht, er entfernt sie so schwindelnd weit, dass die Seele keinen anderen Ausweg hat, als sich aufs Neue einzumauern. `Das glückselige und unsterbliche Wesen hat nichts zu tun und gibt niemandem etwas zu tun.´ (…) Vergessen wir also die Götter, denken wir nie an sie, und `weder eure Gedanken bei Tag noch eure Träume bei Nacht werden euch Unruhe verursachen.´ (…)

[So] urteilt Epikur, dass, da man sterben muss, das Schweigen des Menschen dieses Geschick besser vorbereitet als die Worte der Götter. Die lange Bemühung dieses seltsamen Geistes erschöpft sich darin, um den Menschen eine Mauer zu errichten, die Festung neu zu panzern und ohne Gnade den ununterdrückbaren Schrei der menschlichen Hoffnung zu ersticken.

Ist dieser strategische Rückzug einmal abgeschlossen, dann erst wird Epikur, gleich einem Gott inmitten der Menschen, das Siegeslied anstimmen, das den defensiven Charakter seiner Revolte gut ausdrückt:

`Ich habe deine Schlichte durchkreuzt, o Schicksal, ich habe alle Wege verrammelt, auf denen du mich erreichen konntest. Wir lassen uns weder von dir noch einer anderen bösen Macht besiegen. Und wenn die Stunde des unvermeidlichen Aufbruchs geschlagen hat, wird unsere Verachtung für die, welche sich vergeblich ans Dasein klammern, in die schönen Worte ausbrechen: Ah, wie würdig haben wir gelebt!´“

Zitate aus: Albert Camus: Der Mensch in der Revolte, Reinbek 2013 (Rowohlt)


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