Donnerstag, 4. September 2014

Adam Smith und die unsichtbare Hand

Mit dem 1776 erstmals erscheinenden Werk An Inquiry into the Nature an Causes of the Wealth of Nations gelingt es Adam Smith (1723 – 1790), dem Fach der Politischen Ökonomie nicht nur thematisch, sondern auch methodisch einen bedeutenden Platz in der Runde der Wissenschaften zu erobern.

Kaum eine Metapher ist so bekannt geworden, wie die von der „unsichtbaren Hand“ – und kaum eine ist so gründlich missverstanden worden wie sie. Smith wurde vorgeworfen, er würde die Auffassung vertreten, ein selbstsüchtiges Verhalten der wirtschaftlichen Akteure sei notwendig, denn nur auf diese Weise könne man für die Gesellschaft optimale Resultate erzielen.

Einige Kritiker gingen sogar soweit, Smith und Bernand Mandeville (1670 – 1733) zu ideologischen Verbündeten zu erklären. Mandeville, strenger Verteidiger des Merkantilismus, hatte in seiner berühmten Bienenfabel (1705) behauptet, dass nicht die Tugend, sondern das Laster die eigentliche Quelle des Gemeinwohls sei:

„So klagt denn nicht: für Tugend hat’s
In großen Staaten nicht viel Platz.
Mit möglichstem Komfort zu leben,
Im Krieg zu glänzen und doch zu streben,
Von Lastern frei zu sein, wird nie
Was andres sein als Utopie.
Stolz, Luxus und Betrügerei
Muß sein, damit ein Volk gedeih’.
Quält uns der Hunger auch oft gräßlich,
Zum Leben ist er unerläßlich.
(...)
Ja, will das Volk nach Größe streben,
Muß es im Staat auch Sünde geben,
Mit Tugend bloß kommt man nicht weit;
Wer wünscht, daß eine goldene Zeit
Zurückkehrt, sollte nicht vergessen:
Man mußte damals Eicheln essen.“

Die provokanten ethischen Anschauungen, die Mandeville in der Bienenfabel formuliert, lösten schon unter den Zeitgenossen eine lebhafte Diskussion aus, in der seine Ansichten fast durchweg abgelehnt wurden. Dass persönliche Tugend für Fortschritt und Prosperität der Gesellschaft weniger förderlich seien als Luxus, Verschwendung, Krieg und Ausbeutung, erregte Widerspruch, auch und gerade bei Adam Smith.

Das Bild von der unsichtbaren Hand ist eingebettet in die klassischen Konzepte des freien Marktes und der Konkurrenz, also der Rivalität zwischen Anbietern und Nachfragern einer Sache auf dem gemeinsamen Feld des Marktes. Firmen konkurrieren um Marktanteile, Arbeiter um Arbeitsplätze, Pächter um Grund und Boden. Bei Smith ist freie Konkurrenz das Ideal schlechthin. Sie bezeichnet die Abwesenheit jeglicher Markteintritts- wie Marktaustrittsschranken. So sind Monopole und Privilegien generell Mobilitätshemmnisse für Arbeitskräfte und Kapital – sie gereichen allein zum Vorteil Einzelner und zum Nachteil Vieler. Das ist die Position von Mandeville!

Der Markt - ein komplexes System

Freie Konkurrenz im Dienste der Selbstregulierung des Marktes wirkt also wie eine „unsichtbare Hand“, die sich ohne zu strafen des Eigeninteresses der Menschen bedient. Kommt es auf dem Markt zu Güterknappheit, dann treibt die Konkurrenz der Nachfrager den Marktpreis in die Höhe. Die Aussicht auf hohe Gewinnspannen lockt Kapital und Arbeitskräfte an, es kommt zu einer Steigerung der erzeugten Gütermenge, was wiederum die Senkung des Marktpreises bewirkt.

Bereits im Jahre 1759 hatte Smith seine „Theorie der ethischen Gefühle“ veröffentlicht, in der er der Frage von Ursache und Entwicklung von Ethik und Moral nachgeht. Schon in diesem Werk urteilt Smith grundsätzlich positiv über die Veranlagung des Menschen, seine eigene Lage verbessern zu wollen, denn er ist der Überzeugung, dass sich erst im Zuge dieser ständigen individuellen Anstrengung auch die produktiven Kräfte eines Landes überhaupt erst entwickelt werden können.

Dennoch bekämpft Smith kompromisslos die Auswüchse des Merkantilsystems und seines entfesselten Gewinnstrebens. Als dessen Hauptakteure sieht er geld- und machtgierigen Kaufleute am Werk, die – besessen vom „unseligen Monopologeist“ – the wretched spirit of monopoly – allein das Ziel verfolgen, sich individuell Vorteile zu Lasten der Allgemeinheit zu verschaffen.

Dagegen nun setzt Smith seine Metapher von der unsichtbaren Hand: „Indem der Einzelne sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig – frequently – das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich wirklich vornimmt, es zu fördern.“ Von „häufig“ ist die Rede, nicht von „immer“.

Noch wichtiger aber ist der folgende Hinweis Smiths: Damit die Verfolgung des Eigeninteresses auch das Allgemeininteresse fördert und ihm nicht schadet, müssen gewisse institutionelle Voraussetzungen erfüllt sein. Hierbei handelt es sich um ein System positiver Gesetze, das die Regeln der Gerechtigkeit durch Androhung von Sanktionen erzwingt, wozu es letztlich des Staates und seiner Institutionen bedarf.

„Die Wirkungsweise des Eigeninteresses ist nicht wegen einer natürlichen Übereinstimmung zwischen dem Eigeninteresse eines jeden Einzelnen und dem für alle Guten segensreich, sondern weil menschliche Institutionen idealerweise so eingerichtet sind, dass sie das Eigeninteresse dazu zwingen, in Richtungen zu wirken, in denen es segensreich ist“ (Edwin Cannan, zit. nach Kurz, 32).

Diese Institutionen und Gesetze zu schaffen sei nun die Aufgabe des Staatsmannes. Der „Wohlstand der Nationen“ will dazu eine konkrete wissenschaftliche Hilfestellung bieten. Er ist somit wahrhafte „Politische Ökonomie.“

Ordnungspolitik und Rechtsstaatlichkeit -
das Ziel Politischer Ökonomie

Der Staat hat bei Smith also die klare ordnungspolitische Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es selbst im Interesse schlechter Menschen liegt, für alle Guten zu handeln. Auf einer tieferen Ebene geht es Smith darum, den alten Obrigkeitsstaat in einen modernen Rechts- und Leistungsstaat umzuwandeln.

So müsse es in jedem Gemeinwesen Einrichtungen geben, die die Macht haben, das Leben und das Eigentum nach außen und nach innen zu schützen, Streit und Auseinandersetzungen gerecht zu schlichten und den Menschen im Staat jene Güter und Dienstleistungen anzubieten, die „ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug … sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken“ (Wohlstand, 612). Dies gelte vor allem für die Aufgabe einer vom Staat finanzierten elementaren Schulausbildung.

                                   
Zitate aus:  Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, hg. mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes von Horst Claus Recktenwald, München 2009 (dtv)   -   Bernard Mandeville, Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile. Die deutsche Ausgabe folgt dem Text der dritten Auflage von 1724. Mit einer Einleitung von Walter Euchner. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1980 (Surhkamp)   -   Heinz D. Kurz: Geschichte des ökonomischen Denkens, München 2013 (C.H.Beck)  



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