In seinem Buch über die Geschichte der ökonomischen Ideen kommt Heinz D. Kurz auf acht Merkmale, die das klassische
ökonomische Denken kennzeichnen:
Pierre Le Pesant de Boisguilbert (1646 – 1714) |
William Petty (1623 - 1687) |
1. Klassisches ökonomisches Denken geht von
der Prämisse aus, dass die Geschichte das Ergebnis menschlicher Handlungen ist,
aber nicht die Ausführung irgendeines menschlichen Plans – oder wie es Adam
Ferguson (1723 – 1830) ausgedrückt hat: „History
ist he result of human action, but not the execution of any human design.“
Übertragen auf die Ökonomie bedeutet dies, dass das menschliche Handeln
gesamtwirtschaftliche Konsequenzen führt, die vom Einzelnen weder beabsichtigt
noch vorhergesehen sind.
Interdependenz wird so zu einem zentralen
analytischen Instrument, indem man begreift, dass verschiedene Akteure und
Wirtschaftszweige wechselseitig voneinander abhängen.
Die Aufgabe der Politischen Ökonomie ist
demnach die Analyse von intendierter und nicht-intendierter Konsequenzen,
letztlich aber auch der Kampf gegen Aberglaube, Begeisterung und Hysterie in
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Dingen.
2. Wirtschaft wird als ein Gebilde begriffen,
das eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, die erforscht, verstanden und genutzt
werden können. Schon Francis Bacon hatte auf den praktischen Nutzen der
Naturwissenschaften für den gesellschaftlichen Fortschritt verwiesen: „Wissen ist Macht!“
In diesem Sinne will auch William Petty nur
eine Perspektive zulassen, die sich nur „in Zahl, Gewicht oder Maß ausdrückt
und nur solche Fälle betrachtet, die sichtbare Grundlagen in der Natur haben.“
All das, was „von schwankenden Gemütern, Meinungen, Geschmäckern und
Leidenschaften besonderer Menschen abhängt“, überlässt er der Betrachtung durch
andere.
François Quesnay (1694 – 1774) |
Anne Robert Jacques Turgot (1727 – 1781) |
Es geht hier um ein quantitatives und
empirisches Vorgehen, um positive Ökonomik sowie darum, die Verhältnisse durch
kluge wirtschaftspolitische Maßnahmen zu verbessern. Quesnay und Smith
bezeichnen die Wirtschaftswissenschaft ausdrücklich als Science of the legislator. – „Wissen
ist Macht!“ eben.
3. Seit Thomas Hobbes galt die Überzeugung,
ein sich selbst überlassenes System versinke notwendig in Bürgerkrieg und Chaos
– bellum omnium contra omnes. Dagegen
wenden die Ökonomen nun ein: Eine auf Gewerbefreiheit und Freihandel ruhende
Wirtschaft ist (unter gewissen Umständen) ein sich selbst regulierendes
homöostatisches System.
Es ist die Idee des Gleichgewichts, das hier
in die Vorstellungswelt der Ökonomie eingeht. Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même – Lasst sie
nur machen, lasst es geschehen, die Welt dreht sich von allein – so lautet die
berühmte Formel des Liberalismus.
4. Der Bezugsrahmen der ökonomischen Klassik
ist eine auf Privateigentum an den natürlichen Ressourcen und produzierten
Produktionsmitteln beruhende Wirtschaft, in der private Akteure in Verfolgung
eigener Ziele auf eigene Rechnung interagieren, ohne zentrale Lenkung.
Dieses privat-dezentrale System kann jedoch
nur funktionieren, wenn die Aktivitäten über Märkte koordiniert werden, wenn es
auf den Märkten zur Herausbildung von Preisen kommt, die alle im Zuge der
Produktion anfallenden Kosten abdecken und natürlich den Akteuren ein
ausreichend hohes Einkommen sichern.
5. Als Hauptquelle steigenden Wohlstands
werden die heimische Arbeit und Produktion und die Entwicklung der
Produktivität der Arbeit angesehen. Wenn die Klassiker in diesem Zusammenhang
von Stromgröße sprechen, dann nehmen
sie den modernen Begriff des Sozialproduktes
vorweg.
Eine Nation ist arm oder reich nach Maßgabe der Größe des von ihr während eines Jahres pro Kopf der Bevölkerung netto erzeugten Stroms an Gütern.
Richard Cantillon (1680 – 1734) |
David Hume (1711 – 1779) |
6. Die Gesellschaft ist unterteilt in
verschiedene Klassen, deren Mitglieder unterschiedliche Rollen im Prozess der
Erzeugung, Verteilung und Verwendung des gesellschaftlichen Reichtums zukommen.
Hier handelt es sich um die Grundbesitzer, die Arbeiter und die Kapitaleigner.
7. Konkurrenz ist für die klassischen
Ökonomen die Rivalität zwischen Anbietern und Nachfragern einer Sache. Firmen
konkurrieren um Marktanteile, Arbeiter um Arbeitsplätze, Pächter um Grund und
Boden. Bei Smith ist freie Konkurrenz
das Ideal schlechthin. Sie bezeichnet die Abwesenheit jeglicher Markteintritts-
wie Marktaustrittsschranken. So sind Monopole und Privilegien generell
Mobilitätshemmnisse für Arbeitskräfte und Kapital – sie gereichen allein zum
Vorteil Einzelner und zum Nachteil Vieler.
Freie Konkurrenz wirkt wie eine „unsichtbare Hand“ (Smith), die sich
ohne zu strafen des Eigeninteresses der Menschen bedient. Kommt es auf dem
Markt zu Güterknappheit, dann treibt die Konkurrenz der Nachfrager den
Marktpreis in die Höhe. Die Aussicht auf hohe Gewinnspannen lockt Kapital und
Arbeitskräfte an, es kommt zu einer Steigerung der erzeugten Gütermenge, was
wiederum die Senkung des Marktpreises bewirkt.
Adam Smith (1723 – 1790) |
David Ricardo (1772 – 1823) |
Diese rastlose Suche der Kapitalseigner nach
möglichst hohen Profiten und der Arbeiter nach möglichst hohen Löhnen führt der
Tendenz nach zur Herausbildung einer allgemeinen, tendenziell einheitlichen
Profitrate.
8. Dem Konzept einer allgemeinen Profitrate
korrespondiert das Konzept der „natürlichen“ Preise oder Produktionspreise.
Während die Produktionspreise die systematisch und dauerhaft wirkenden Kräfte
widerspiegeln, wirken in die Marktpreise eine Vielzahl von zufälligen und
vorübergehenden Faktoren hinein (z.B. das Wetter oder Naturkatastrophen)
Zitate
aus: Heinz D. Kurz: Geschichte des ökonomischen Denkens, München 2013
(C.H.Beck)
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