Die Sorgfalt des Staates für die Sicherheit der Bürger
Wilhelm von Humboldt |
Im Hinblick auf den Zweck des
Staates wendet sich Humboldt gegen die Ansicht, der Sinn des Staates bestünde
darin, das„Glück zu befördern“, also alle übrigen Zwecke zu verfolgen, die „unter dem Namen des positiven Wohlstandes vereint“ werden können.
Stattdessen verteidigt Humboldt
den Grundsatz, dass allein „die Erhaltung der Sicherheit sowohl gegen
auswärtige Feinde, als innerliche Zwistigkeiten den Zweck des Staates
ausmachen, und seine Wirksamkeit beschäftigen muss.“
Humboldt konkretisiert diesen
Grundsatz in den Kapiteln 11 bis 14 seiner Abhandlung und macht dabei deutlich, dass die Sorgfalt des Staates für die Sicherheit der Bürger allein
auf der Grundlage von Recht und Gesetz entschieden werden darf.
Zu Beginn des 11. Kapitels
definiert Humboldt zunächst die Begriffe „sicher“ und „Sicherheit“:
„Sicher nenne ich die Bürger in einem Staat, wenn sie in der
Ausübung der ihnen zustehenden Rechte, dieselben mögen nun ihre Person, oder
ihr Eigentum betreffen, nicht durch fremde Eingriffe gestört werden.“
„Sicherheit ist folglich — wenn der Ausdruck nicht zu kurz, und
vielleicht dadurch undeutlich scheint –, Gewissheit der gesetzmäßigen Freiheit“
Nun gibt Humboldt zu, dass diese
Sicherheit „nun nicht durch alle diejenigen Handlungen gestört [wird], welche
den Menschen an irgend einer Tätigkeit seiner Kräfte, oder irgend einem Genuss
seines Vermögens hindern, sondern nur durch solche, welche dies widerrechtlich tun.“ Daher bedürfen auch
nur „wirkliche Verletzungen des Rechts … einer anderen Macht, als die ist,
welches jedes Individuum besitzt.“
Wichtig ist hier vor allem der
Hinweis Humboldts, dass die „die Staatsvereinigung ist bloß ein untergeordnetes
Mittel, welchem der wahre Zweck, der Mensch, nicht aufgeopfert werden darf.“
Recht und Gesetz - Die Grundlagen des modernen Staates |
Aber schon dann müsse der Staat
„zurücktreten und sich begnügen, die mit vorsätzlicher oder schuldbarer
Kränkung der Rechte vorgefallenen Beschädigungen zu bestrafen. Denn dies
allein, die Hemmung der Uneinigkeiten der Bürger untereinander, ist das wahre
und eigentliche Interesse des Staats, an dessen Beförderung ihn nie der Wille
einzelner Bürger, wären es auch die Beleidigten selbst, hindern darf.“
Daher dürfe der Staat auch nicht
gegen Meinungen vorgehen, die gegebenenfalls verletzend sein können. Die
Meinungsfreiheit ist und bleibt für Humboldt eine der Grundkonstanten einer
liberalen Gesellschaft: „Wer Dinge äußert, oder Handlungen vornimmt, welche das
Gewissen und die Sittlichkeit des anderen beleidigen, mag allerdings unmoralisch
handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu Schulden kommen
lässt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem anderen unbenommen, sich von ihm zu
entfernen, oder macht die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche
Unbequemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren, und darf nicht
vergessen, dass vielleicht auch jener durch den Anblick von Seiten gestört
wird, die ihm eigentümlich sind, da, auf wessen Seite sich das Recht befinde?“
Vielmehr müsse das „wahre
Bestreben des Staats muss daher dahin gerichtet sein, die Menschen durch
Freiheit dahin zu führen, dass leichter Handlungen entstehen, deren Wirksamkeit
in diesen und vielfältigen ähnlichen Fällen an die Stelle des Staats treten
könne.“ Grundsätzlich sei zu beobachten, dass die Menschen zu gegenseitiger
Hilfeleistung bereitwilliger werden, „je weniger sich ihre Eigenliebe und ihr Freiheitssinn
durch ein eigentliches Zwangsrecht des anderen gekränkt fühlt.“ Denn: Wie gut
auch die Gesetze im Einzelnen sein mögen, es besteht immer „die Leichtigkeit
des möglichen Missbrauchs.“
Zivilgesetzgebung |
Der Staat muss also im Falle
einer „Kränkung“ des Gesetzes „den Beleidiger zwingen, den angerichteten
Schaden zu ersetzen, aber den Beleidigten verhindern, unter diesem Vorwand,
oder außerdem eine Privatrache an demselben zu üben.“
Dieser Gedanke führt Humboldt nun
zur Pflicht des Staates, bei Streitigkeiten der Bürger eine rechtliche
Entscheidung zu treffen, so dass das Recht beider Parteien geschützt wird.
Denn „dasjenige, worauf die
Sicherheit der Bürger in der Gesellschaft beruht, ist die Übertragung
aller eigenmächtigen Verfolgung des Rechts an den Staat. Aus dieser Übertragung
entspringt aber auch für diesen die Pflicht, den Bürgern nunmehr zu leisten,
was sie selbst sich nicht mehr verschaffen dürfen, und folglich das Recht, wenn
es unter ihnen streitig ist, zu entscheiden, …. Hierbei tritt der Staat allein,
und ohne alles eigne Interesse in die Stelle der Bürger.“
Strafrecht |
Grundsätzlich gilt aber auch hier, das der „der wichtigste Gesichtspunkt des Staats immer die Entwickelung der Kräfte der einzelnen Bürger in ihrer Individualität sein muss, dass er daher nie etwas andres zu einem Gegenstand seiner Wirksamkeit machen darf, als das, was sie allein nicht selbst sich zu verschaffen vermögen, die Beförderung der Sicherheit.“
Allein diese Funktion des Staates ist das „einzige wahre und untrügliche Mittel“, die beiden scheinbar sich widersprechenden Seiten, d.h. den Zweck des Staats im Ganzen einerseits und die Summe aller Zwecke der einzelnen Bürger andererseits, „durch ein festes und dauerndes Band freundlich mit einander zu verknüpfen.“
Zitate
aus: Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit
des Staats zu bestimmen, Volltext
im Deutschen Textarchiv, hier: Kapitel XI bis XIV
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen