„Wenn
man nicht darauf wartet –
das Un-Erwartete wird man nicht finden“
(Heraklit)
Homer |
Seit über dreitausend Jahren ist Troia ein
europäischer Mythos, der seine Bedeutung dem altgriechischen Dichter Homer
verdankt. Im 8. Jahrhundert erschuf Homer das erste Literaturwerk Europas, die
Ilias, die insgesamt 15693 Verse umfasst. Die Ilias erzählt die Geschichte des
Troianischen Krieges, genauer den Konflikt zwischen den beiden herausragenden
Führungspersönlichkeiten der griechischen Angreifer, Agamemnon und Achilleus.
Seit dem Beginn der Ausgrabungen unter
Leitung des deutschen Großkaufmanns und Archäologen Heinrich Schliemann werden
immer wieder zwei Fragen gestellt, die neben anderen Fragen bis heute den Kern der Troia-Homer-Forschung
bilden:
Ist der Hügel an den Dardanellen im (heute
türkischen) Hirsalık, an dem seit 130 Jahren gegraben wird, mit dem Troia aus
Homer Ilias identisch? Wenn ja, wie sah dann das historische Troia
aus, bevor es in Flammen aufging?
Im Jahre 1988 übernahm der Tübinger Professor
für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, Manfred Korfmann (gest. 2005), die
Leitung der Ausgrabungen in Hirsalık – nicht um Homer zu verifizieren, sondern
um die Funktion der uralten Kulturregion rings um Troia zu ergründen. Und es
war dieser Wechsel in der Perspektive, der zu aufsehenerregenden
Forschungsergebnissen geführt hat.
Troia - Ausgrabungsschichten |
Mittlerweile kann als gesichert gelten, dass
Homers Handlungskulisse historisch und Troia also keine Erfindung eines
Dichters ist. In seinem Buch „Troia und Homer“ gibt Joachim Latacz nicht nur
einen hervorragenden Überblick über die inzwischen stark verästelte neue
Troia-Forschung, sondern fasst auch in Form einer Zwischenbilanz den
gegenwärtigen gesicherten Forschungsstand zusammen. Die Ergebnisse sind
faszinierend:
Hirsalık hieß zur Bronzezeit bei den
Hethitern Wilusa und bei den Griechen
Wilios. Die Hethiter kannten im
Bereich des „Landes Wilusa“ ein Gebiet mit Namen Tru(w)isa, das vom griechischen Troia
wohl kaum zu trennen ist. „Die Stadt, um die es in Homers Ilias geht, ist also
in jedem Fall historisch. Und sie lag zur Bronzezeit in eben dem Gebiet Nordwestkleinasiens,
in dem sie in der Ilias Homers erscheint“ (154).
Die Stadt Wilusa, die dem Land seinen Namen
gab, war eine ausgedehnte Siedlung von über 300 000 Quadratmetern ummauerter
Fläche mit wohl über 5 000 Einwohnern.
Die Stadt bestand aus einer ummauerten Burg
und einer dicht bebauten Unterstadt, die sich so stark ausdehnte, dass sogar
ein zweiter Stadtgraben angelegt werden musste.
Wilusa / Wilios war Residenzstadt und
Handelsplatz zugleich, regiert durch eine Burgherrschaft. Als Handelsplatz nahm
die Stadt die Rolle „eines Wirtschaftsmittelpunkts und Organisationszentrums
für die näheren und ferneren Regionen nicht nur in Asien, sondern auch im
gegenüberliegenden Europa in natürlicher Ausnutzung der auf sie zulaufenden
Wirtschaftsstrukturen mit Gewinn für alle Beteiligten an.“
Es war nur allzu klar, dass ein Ort von dieser
Bedeutung und Ausstrahlung auch politisch nicht unbeachtet bleiben konnte. Mittlerweile
gilt als gesichert, dass es eine sehr alte und enge politische Bindung zwischen
der Regierung des Hethiter-Reiches in Ḫattusa und der Burgherrschaft in Wilusa
gab.
Ein kleines Siegel, das im Jahre 1995
innerhalb von Troias Burg nahe der Burgmauer gefunden wurde, aber auch
Schriftfunde in den Dokumenten der hethitischen Reichskorrespondenz lassen
zweifelsfrei diesen Schluss zu.
Die Hethiter und ihre Teilstämme der Luwier
und Palaier waren eine indogermanisches Volk, das im 3. Jahrtausend v. Chr. aus
dem Norden nach Anatolien eingewandert war und sich dort aus kleinen Anfängen durch
Expansion allmählich zu einer Großmacht entwickelte. Auf dem Höhepunkt ihrer
Ausdehnung beherrschten die Hethiter große Teile Kleinasiens.
Das Reich wurde niemals von einem
einheitlichen Volksstamm getragen, sondern in das Gebilde waren zahlreiche
Regionen und Kleinstaaten nichthethitischer Herkunft inkorporiert oder durch
Verträge gebunden - darunter auch Wilusa / Wilios.
Die Hethiter besaßen eine „Hochschrift“ zur
Verwendung im inneren Zirkel der Regierung und Verwaltung sowie im
diplomatischen Verkehr: die Keilschrift des Hethitischen (entschlüsselt 1915
durch Friedrich Hrozný). „Für die Repräsentation dagegen und die
Herrschaftsdemonstration gegenüber den Völkern im Binnenraum des Reiches wurde
vornehmlich die verständlichere, schon rein visuell eindrucksvollere und auch
von den einfachen Leuten wohl als amtlich verstandene Bilderschrift des Luwischen
verwendet“ (117).
Die Auffindung des 1995 in Troia gefundenen Bronzesiegels
war eine Sensation, denn es ist die erste gesicherte Inschrift, die in Troia
gefunden wurde – und sie ist in der Sprache des Luwischen verfasst.
Luwisches Siegel aus Troia VI (ca. 1700-1250 v. Chr.), das Troia
Homers, identisch mit der hethitischen Vasallenstadt "Wilusa"
|
Auch wenn der Text des Siegels noch nicht
vollständig erschlossen wurde (der schlechte Erhaltungszustand trägt dazu bei),
so kann allein durch die Verwendung des Luwischen als reguläre
Diplomatensprache auch in Wilusa / Wilios gefolgert werden, dass Troia mit dem
Hethiter-Reich verbunden war.
Unter den Dokumenten des Reichsarchivs in Ḫattusa
war schon bald nach der Entzifferung des Keilschrifthethitischen ein Vertrag
aufgefallen, der zwischen dem hethitischen König Muwatalli II. und einem
gewissen Alaksandu von Wilusa
abgeschlossen wurde.
Schon 1924 hatte der Indigermanist Paul
Kretschmer den Landesnamen Wilusa mit dem griechischen Ortsnamen Ilios
gleichgesetzt, der in Homers Ilias als zweiter Name neben Troia über
einhundertmal den Schauplatz der Handlung bezeichnet.
„Aufgrund sprachwissenschaftlich aufgedeckter
Gesetzmäßigkeiten war damals längst bekannt und unbestritten, dass die
ursprüngliche Namensform dieses Ortes in einer bereits länger zurückliegenden
Zeit vor Homer „Wilios“, also mit
anlautendem /w/ gelautet hatte“ (126f), das jedoch zur Zeit Homers bereits
allgemein geschwunden war.
So war klar: „Der gleiche Ort, der heute in
türkischer Sprache Hirsalık heißt,
hieß im 2. Jahrtausend in der hethischen Sprache Wilusa und in der griechischen Sprache Wilios.
So ist gesichert, dass Homer – zumindest, was
den Namen seines Handlungsschauplatzes angeht, nicht phantasiert hat. Ilios / Wilios
ist ein realer historischer Ort, der sich eben an der Stelle befand, an der er bei Homer
erscheint.
Natürlich darf man aus der Geschichtlichkeit
eines Ortes nicht zugleich den Schluss ziehen, dass auch die Geschichten, die Homer
an diesem Ort geschehen lässt, geschichtlichen sein müssen. Allerdings wird die
Möglichkeit, dass es so gewesen sein könnte, dadurch nicht kleiner.
Was jetzt beginnen kann, ist die Suche nach
der Art des Zusammenhangs zwischen dem historischen Ilios / Troia und dem Ilios
/ Troia Homers.
Zitate
aus: Joachim Latacz: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels, 6.
Aktualisierte und erweiterte Auflage, Leipzig 2010 (Koehler und Amelang)
Schöner Artikel. Homer und Troja sind immer ein gutes Thema. Die Sache mit Heinrich Schliemann, die auch in diesen Kontext gehört, ist auch eine tolle Geschichte. Als ehemaliger Schüler eines guten altsprachlichen Gymnasiums in Freiburg, dem Friedrich-Gymnasium, bin ich mit der Thematik schon von Kind an ein Stück weit vertraut. Die Antike ist ein oft faszinierendes Thema. Und sie prägt unsere Kultur bis heute. Was wäre Europa ohne den griechischen Gedanken (und teilweise auch die Praxis) der Demokratie und die antike griechische Philosophie? Aber die deutschen Neoliberalen scheißen da drauf. Für sie ist Griechenland nur ein leistungsschwacher europäischer Zwerg, der ihnen Probleme macht.
AntwortenLöschenLieber Herr Gauger,
AntwortenLöschenich stimme Ihnen, was die Bedeutung Griechenlands für die Herausbildung der europäischen Identität betrifft, uneingeschränkt zu. Insbesondere für Liberale ist der Gedanke der Herrschaft des Rechts – im Sinne der antiken Isonomie - sicherlich auch heute noch grundlegend, weil Rechtssicherheit eben allein durch Gleichheit vor dem Gesetz garantiert wird. Wer diesen – griechischen – Gedanken nicht teilt, darf sich auch nicht den Liberalismus auf die Fahnen schreiben.
Isonomie aber enthält auch den Gedanken der Gleichberechtigung in Fragen der politischen Mitgestaltung, in der verfassungsmäßigen Gleichheit jedes Einzelnen in den Angelegenheiten des Staates, in der aktiven Beteiligung an der Rechtsprechung und schließlich in dem gleichen Anteil des einfachen Bürgers an den leitenden Ämtern des Staates. Das kann auch jeder Liberale unterschreiben. Gerade weil die Bürger der Polis die konstitutiven Elemente ihres Gemeinwesens sind, die „erzogen im Ethos der Gesetze“ aktiv im Staat und im öffentlichen Leben mitwirken, müssen sie sich notwendig auch ihrer Verantwortung als Bürger stellen und somit ihre Pflicht erfüllen. Das ist vielleicht ein Gedanke, den die zeitgenössischen Griechen – im Gegensatz zu ihren antiken Verwandten – vergessen, zumindest aber unterschätzt haben.
Herzlichst
Paideia
Lieber Paideia, sicher, die Pflichten sind wichtig. Nur: Was sind denn die Pflichten im neoliberalen Europa? Und wer bestimmt in Europa, was diese neoliberalen Pflichten sind? Ich fürchte, über all das entscheiden in Europa seit dem Ausbruch der Eurokrise (2008) in erster Linie die deutschen Neoliberalen und nicht die Griechen selbst. Da liegt eine Asymmetrie vor, die für den griechischen Zwerg leider nicht sehr günstig ausfällt. Auch die restlichen südeuropäischen Länder haben da nicht viel zu melden. Sie sind jetzt alle Krisenstaaten und von Deutschland abhängig.
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