Sonntag, 11. März 2012

Thukydides und die Geschichte


Thukydides (ca. 454  - 398 v. Chr.) war neben Herodot der wichtigste antike Historiker. Seine acht Bücher über den Peloponnesischen Krieg gelten als das bedeutendste Geschichtswerk der antiken Literatur.

Thukydides (Royal Ontario Museum)
„Thukydides von Athen hat den Krieg der Peleponnesier und Athener, den sie gegeneinander führten, aufgezeichnet. Er begann damit gleich beim Ausbruch, in der Erwartung, der Krieg werde bedeutend werden und denkwürdiger als alle früheren; das erschloss er daraus, dass beide auf der vollen Höhe ihrer Machtmittel in den Kampf eintraten und dass er das ganze Hellenentum Partei ergreifen sah, teils sofort, teils nach einigem Zögern. Er war bei weitem die gewaltigste Erschütterung für die Hellenen und einen Teil der Barbaren, ja sozusagen unter den Menschen überhaupt.“ (I,1)

Auch wenn das Werk unvollendet blieb, so begründete Thukydides damit in methodischer Hinsicht eine gänzlich neue, auf Sachlichkeit gründende Geschichtsschreibung.

Der Anspruch neutraler Wahrheitssuche war, wie er selbst zugibt, nicht immer einfach zu erfüllen. Es hat ihn zum Teil viel Mühe gekostet, die historischen Abläufe richtig zu rekonstruieren. Eigene Beobachtungen und ihm vorliegende Augenzeugenberichte dienten Thukydides als Material, das er kritisch auf mögliche Fehlerquellen untersuchte:

„Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht nach meinem eigenen Gutdünken, sondern bin Selbsterlebten und Nachrichten von anderen mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis.“ (I,22)

Nachdrücklich weist er seine Leser darauf hin, dass seine Darstellung vielleicht wenig effektvoll sei, dafür aber zuverlässig und von dauerhaftem Nutzen: „Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie für so nützlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfasst.“ (I,22)

Ein wichtiges Gestaltungsmittel des Werkes sind die Reden, die etwa ein Viertel des Gesamtwerkes ausmachen. In Ihnen schildert Thukydides nicht nur die jeweilige historische Situation, sondern lässt die politischen oder militärischen Persönlichkeiten des Krieges ihre jeweiligen Auffassungen vortragen. Dadurch wird der Leser in die Situation des direkten Hörers versetzt, der sich ein eigenes Urteil über die von den Parteien vorgetragenen verschiedenen Standpunkte bilden muss.

Eine wortgetreue Wiedergabe des Redetextes beansprucht Thukydides allerdings nicht: „Was nun in Reden hüben und drüben vorgebracht wurde, während sie sich zum Kriege anschickten, und als sie schon drin waren, davon die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts; nur wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen musste, so stehen die Reden da, in möglichst engem Anschluss an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten. (I,22)

Thukydides Darstellung des Krieges enthält keine moralische Entrüstung über das Geschehen. Ihm geht es um nüchterne Analyse der Motive, nach denen die Akteure des Krieges gehandelt haben. In der Geschichte walten weder ein Gott noch blanke Willkür, sondern konkrete Menschen.

Mit unbestechlichem Blick erkennt Thukydides die Stärken und Schwächen der Verantwortlichen für diesen Krieg sowie die zweifelhaften Mechanismen der Politik. Schonungslos deckt der die Probleme der Macht und ihrer Gesetze: Wie verhalten sich Adelsstaat und Volksstaat im Krieg? Wie hält man an Verbündeten fest? Wie straft man Verräter? Kann eine Demokratie die Untertanen beherrschen? Handeln die Menschen nach Recht oder nach Eigennutz? Ist Geist und Rede wichtiger als die Tat? Welche Rolle spielt, neben Tatkraft und Klugheit, das Glück im Krieg?

Thukydides sucht Antworten auf diese Fragen, aber er will wahre Antworten. Ihm geht es darum, Unwissenheit und Irrtum, aber auch den schönen Schein zu bekämpfen. Nur die Wahrheit kann lehren und heilen.

Die Fragen des Thukydides stellen sich dem politisch denkenden und handelnden Menschen immer wieder, heute wie damals, und dies macht sein Werk zum zeitlosen Lehrbuch der Politik und Thukydides zum Lehrer eines Wissens, das zum richtigen Handeln anleiten soll.

Zitate aus: Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Düsseldorf 2006 (Artemis und Winkler)
Weitere Literatur: Blog des Department of Classics & Ancient History at the University of Bristol, vgl. Uwe Walter in seinem F.A.Z.-Blog "Antike und Abendland" 



2 Kommentare:

  1. Der Antike-und-Abendland Blog von Uwe Walter in der FAZ macht z.Z. auf den Bristol-Blog aufmerksam, wo vor allem Einträge zu Thukydides zu finden sind:

    http://bristolclassics.wordpress.com/

    Und Uwe Walter im FAZ-Blog:

    http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/03/08/zur-nachahmung-empfohlen-der-bristol-classics-blog.aspx

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    1. Danke für den Hinweis! Der Blog von Uwe Walter ist übrigens sehr empfehlenswert.

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