Donnerstag, 6. September 2012

Herodot und die Geschichte


„Herodot aus Halikarnassos gibt hier Bericht von allem, was er erkundet hat, damit der Menschen Taten nicht in Vergessenheit geraten und auch die großen und wunderbaren Werke nicht, die von den Hellenen und Barbaren vollbracht wurden. Vor allem aber soll man erfahren, um welcher Ursache willen sie gegeneinander in Krieg geraten sind.“

Herodot (Parlamentsgebäude, Wien)
Mit diesen Worten beginnt das neun Bücher umfassende Geschichtswerk Herodots. Die Historien schildern nicht nur den Aufstieg des Perserreiches im 6. Jahrhundert v. Chr. sondern vor allem auch die Kriege zwischen Persern und  Griechen im 5. Jahrhundert.

Herodot, geboren ca. 490 v. Chr. in Halikarnassos in Kleinasien, führte ein bewegtes Leben. Weil er sich am Sturz des Tyrannen seiner Heimatstadt beteiligt hatte, musste er ins Exil nach Samos fliehen. Nach eigener Aussage unternahm Herodot ausgedehnte Reisen nach Ägypten, ins Schwarzmeergebiet, nach Thrakien und Makedonien bis ins Land der Skythen (Südrussland und Ukraine) sowie in den Vorderen Orient bis nach Babylon.

Später kam Herodot auf Umwegen für kurze Zeit nach Athen und pflegte dort einen engen Kontakt zu den großen Persönlichkeiten jener Zeit, darunter Sophokles und Perikles. In Athen hielt er auch Vorträge aus seinen Historien, für die er von der Stadt bezahlt wurde. Herodot starb 424 v. Chr. kurz nach der Veröffentlichung seines Werks.

Herodot war neben Thukydides (ca. 454 - 398 v. Chr.) der wichtigste antike Historiker. Schon Cicero bezeichnete ihn als „Vater der Geschichtsschreibung“ (pater historiae) und „Erzähler zahlloser Geschichten.“

Auch wenn die Meinungen der modernen Geschichtswissenschaft über ihn in Einzelfragen auseinandergehen mögen, so unbestritten gilt dagegen sein Verdienst, den ersten systematischen Entwurf einer zusammenhängenden, kritischen Weltgeschichte einschließlich Geographie und Kultur der damals bekannten Welt, soweit das Gedächtnis der Überlieferungen zurückreichte, in seinen neun Büchern niedergelegt zu haben.

Herodot selbst bezeichnete sein Werk als „Aufzeichnungen seiner Forschung“. Zwar rekuriert Herodot immer wieder auf mythologische Traditionen, aber er ist sich bewusst, dass der Mythos nicht alles erklärt. Er glaubte zwar noch an das wunderbare Eingreifen göttlicher Mächte, aber er übernahm nicht kritiklos jede Überlieferung.

Herodot bemüht sich um eine vom Verstand gefilterte Beobachtung der Welt, d.h. er will selbst sehen und prüfen. Sein Interesse galt vor allem dem mächtigen Zusammenprall zwischen dem Perserreich und der Welt der Griechen, der das damalige Zeitalter beherrschte und erschütterte. Herodot fragt daher nach den Gründen und Ursachen für diesen Konflikt.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Verfassungsdebatte (III, 80ff), ein Gespräch zwischen drei adligen Persern über die beste Verfassung ihres Landes. Während sich Otanes und Megabyzos I. für das Prinzip der Rechtsgleichheit bzw. für die Herrschaft der Besten aussprechen, plädiert Dareios für eine Monarchie - also die Staatsform, die sich in Persien letztlich durchsetzte. 

Den Sieg der Griechen über die Perser betrachtete Herodot somit nicht zuletzt auch als Sieg des Geistes über die Masse, als Sieg der Freien, die nur das Gesetz als Herrn über sich haben, über die Geknechteten, die nur die Peitsche des willkürlich befehlenden Despoten vorwärts treibt.

Die Rolle von Athen in der Auseinandersetzung ist für Herodot entscheidend: „Ich will offen meine Meinung sagen, auch wenn sie den meisten Menschen missfallen wird. Aber ich kann nicht ungesagt lassen, was ich für wahr halte, nämlich dass man die Athener die Retter von Griechenland nennt. Sie blieben standhaft und erwarteten voll Mut diejenigen, die in ihr Land eingefallen waren“ (VII, 139).

Die Welt nach Herodot

Schließlich enthält sein Werk, zeitgenössischer Tradition entsprechend, eine Fülle von Anekdoten, Volkserzählungen und pointierter Geschichten, die es zu einer anschaulich und spannend zu lesenden Mischung aus gelehrter Wissenschaftlichkeit und unerschöpflicher Fabulierkunst machen.

So beschreibt beispielsweise Herodot den Prozess, nach dem bei den Persern wichtige Entscheidungen getroffen wurden: Diese hätten wichtige Angelegenheiten gewöhnlich im Rausch besprochen, um sie dann am nächsten Tag noch einmal nüchtern zu beurteilen. Umgekehrt wurden Entscheidungen, die nüchtern zustande gekommen waren, noch einmal in trunkenem Zustand beraten (I, 133).

Trotz seiner Bedeutung erhält Herodot heutzutage nicht von allen Forschern die gleiche Wertschätzung. Den einen gilt er als erster kritischer und ernstzunehmender Geschichtsschreiber der Antike, andere sehen in ihm kaum mehr als einen historischen Märchenerzähler.

Später wird Aristoteles den Unterschied zwischen Geschichtsschreiber und Dichter dahingehend beschreiben, dass „der eine berichtet, was geschehen ist, der andere, was geschehen könnte“ (Poetik, 9).  

Zitate aus: Herodot: Neun Bücher der Geschichte, Essen 2006 (Magnus)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen