Donnerstag, 14. April 2022

Robert H. Jackson und die Einleitung eines unrechtmäßigen Krieges


Der gelernte Rechtsanwalt Robert H. Jackson aus der Kleinstadt Jamestown konnte so gut reden, dass man irgendwann in New York auf den Provinzanwalt aufmerksam wurde. Seiner Nähe zur Demokratischen Partei war es wohl zu verdanken, dass er 1934 Chefjustiziar der New Yorker Finanzbehörde wurde. „Sein bestechendes Auftreten, sein Selbstbewusstsein – manche sagten: seine Eitelkeit – brachten ihm schnell die Sympathie der Politprominenz ein. Franklin D. Roosevelt und Henry Morgenthau wurden seine Förderer. 1938 war er schon Generalstaatsanwalt und 1940 Justizminister der USA, 1941 Richter am Supreme Court.“ Höher kann man als Jurist in den USA nicht kommen.

Robert H. Jackson (1892 - 1954)

Trotzdem hat Jackson die Welt verändert, denn ihm allein ist es zu verdanken, dass am 1. Oktober 1946 Hermann Göring zusammen mit achtzehn anderen führenden Mitgliedern des Hitlerregimes als Verantwortlicher eines verbrecherischen Staats- und Kriegsapparates verurteilt wurde. 

Mit diesem Prozess wurde die bisher gültige juristische Weltordnung geradezu aus den Angeln gehoben, denn das Nürnberger Urteil bedeutete beschrieb eine radikale Wende „eines jahrhundertealten unmenschlichen Völkerrechts, das den Staaten das Recht garantierte, Kriege zu führen, und das Staatsführer und Kriegsherren freistellte von jeder Verantwortung für das Unheil, das sie über die Menschen gebracht hatten.“

Das Urteil von Nürnberg erschütterte diese alte Staatenordnung, die seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 den staatlichen Souveränen des Recht gab, das eigene Volk straflos zu unterdrücken oder sogar zu vernichten – wie eine deutsche Regierung es mit den Juden tat.

„Die Erklärung der Menschenrechte, das Gewaltverbot der Vereinten Nationen, die weltweite Ächtung des Völkermordes als Verbrechen: Ohne diesen unglaublich ehrgeizigen und eloquenten Provinzanwalt aus Jamestown wäre es so weit nie gekommen.“

„Dreh- und Angelpunkt für Jacksons Neuordnung der Welt war ein Straftatbestand, den das Völkerrecht bislang nicht kannte: `Das Verbrechen, welches alle geringeren Verbrechen einschließt´, sei die `Einleitung eines unrechtmäßigen Krieges´.“ Das war die Grundidee: „`Angriffskriege sind Bürgerkriege gegen die internationale Völkergemeinschaft´, hatte er schon im März 1941 in öffentlichen Reden erklärt. Und diese Idee war geeignet, ein völlig neues Kriegsrecht zu begründen.“

In der bisherigen Rechtstradition war es immer nur um das Recht im Kriege, das `ius in bello´ gegangen – also im Wesentlichen um jene humanitären völker-rechtlichen Verträge, die zwischen zwölf Staaten zuerst 1864 in Genf `betreffend die Linderung des Loses der verwundeten Militärpersonen´ geschlossen worden waren. „Dieses Kriegsrecht, das Disziplinlosigkeiten und Übertreibungen beim Geschäft des organisierten Tötens zur Strafsache machte, sollte dafür sorgen, dass es korrekt zuging im Krieg.“

Jackson als Hauptankläger in Nürnberg

Doch nun sollte Jackson zufolge alles anders werden. Nun wurde das `ius ad bellum´ in Frage gestellt, also das Recht, Kriege überhaupt führen zu dürfen. „Die `seltene Gelegenheit´ für den Umsturz der seit Generationen geltenden völkerrechtlichen Regel, am Ende eines Krieges zwischen Siegern und Besiegten `immerwährendes Vergessen und Amnestie´ zu gewähren, war tatsächlich der Zweite Weltkrieg. 

Noch Hitler hatte am Vorabend des Überfalls auf Polen 1939 tönen können: `Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an.´ Doch was dann geschah, hatte nichts mehr von den Sitten und Gebräuchen des guten alten Krieges nach westfälischem Muster übrig gelassen, die eine Unterscheidung zwischen `Kriegskunst´ und Mord erlaubt hätten. Hitlers Krieg sollte im immerwährenden Gedächtnis der Menschheit bleiben: als mörderisches Verbrechen. `Aggression´ wurde zum Codewort für Jacksons Kriegsrecht: das Verbrechen des Angriffskrieges.“

„`Die Amerikaner´, so resümierte viel später der US-Politologe Samuel Huntington, `neigen dazu, die Ideale ihrer Innenpolitik auf die Außenpolitik zu übertragen´, auf die Außenpolitik der ganzen Welt natürlich. Frieden durch Recht: So gesehen war das eine total amerikanische Idee. Die Weltpolitik sollte zur Rechtssache nach dem Selbstbild des Rechtsstaates Amerika werden, der ja auch in seinem Inneren die Definition von Gut und Böse unabhängigen Gerichten überließ.“

`Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zwischen den Nationen´, hatte Jackson gefordert, „müsse an die Stelle des alten westfälischen Gewaltprinzips der Fortsetzung der Politik mit den Mitteln des Krieges treten – und dazu gehöre auch, dass man die Verantwortlichen des besiegten Gegners vor ein faires Gericht stelle.“

Jacksons Idee bestand darin, persönliche Verantwortlichkeit für staatliches Unrecht statuieren. Das implizierte, die diese Verantwortlichkeit im Einzelfall auch beweisen zu können: `Gerichte sprechen Recht über Fälle, aber Fälle richten auch Gerichte.´ „Doch könnte ein Gericht über die Besiegten glaubwürdig und rechtsstaatlich handeln, das aus den Siegern eines Krieges besteht?"

Gerade um den Vorwurf der `Siegerjustiz´ zu vermeiden, bestand Jackson darauf, dass so ein Gerichtsverfahren keinesfalls zu einem Schauprozess verkommen dürfe: `Man soll keinen Menschen vor einer Institution, die sich Gericht nennt, unter Anklage stellen und das Ganze ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren nennen, sofern man nicht gewillt ist, ihn freizusprechen, wenn seine Schuld nicht erwiesen ist.´

Acht der 24 Hauptangeklagten in Nürnberg: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach, Sauckel (hinten)

Natürlich war sich auch Jackson bewusst, dass einer wie Göring niemals freigesprochen werden könnte. „Doch seine Reden vom Rechtsstaat zeugten von Prinzipienfestigkeit – und sie überzeugten den soeben ins Amt gekommenen Präsidenten Harry S. Truman.

Für Truman war schnell klar, dass Jackson der richtige Mann für die Rolle als Hauptankläger war, um „die Naziführung anzuklagen `wegen der Einleitung eines Angriffskrieges´ und `der kriminellen Verschwörung´. Am 27. April 1945 notiert Robert Jackson in seinem Tagebuch: `Außerordentlich erfreut über das Angebot und herausgefordert von der Schwierigkeit der Aufgabe habe ich die Sache in meine Obhut genommen.´“

Jackson bekam von Truman persönlich freie Hand, sich die besten Juristen Amerikas für die Aufgabe auszusuchen. Die waren auch nötig. Denn nun ging es darum, ein Anklagekonzept zu entwickeln, das völkerrechtlich tragfähig war – und von den drei anderen Alliierten akzeptiert wurde.


Zitate aus: Thomas Darnstädt, Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945, München 2015 (piper)


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