Donnerstag, 17. März 2022

Jason D. Hill und die kulturelle Apartheid


Jason D. Hill (*1965) ist ein jamaikanisch-amerikanischer Philosophieprofessor an der DePaul-Universität in Chicago. In seinem Buch „We Have Overcome: An Immigrant’s Letter to the American People“ verteidigt er gegen den identitäts-bewegten politischen Diskurs den „amerikanischen Traum”. Die USA sei schon lange kein Land mehr, das die Überlegenheit von Weißen propagiere. „Es gibt keine offizielle Ideologie mehr, die die Überlegenheit der weißen Rasse vertritt.“

Jason D. Hill (* 1965)

Hill lebt seit 32 Jahren in den USA. Da er gemischter Abstammung ist, wird er in den USA als Schwarzer wahrgenommen, „und wie jeder in den USA lebende Farbige habe auch ich genug Rassismus erfahren. Aber ich sehe die USA nicht als hochgradig intolerantes Land an. Ich halte die USA vielmehr für ein außerordentlich selbstreflexives Land. In den drei Jahrzehnten, in den ich hier lebe, habe ich ein Amerika erlebt, das seine Beziehungen zwischen den Ethnien beachtlich verbessert hat. 

Darüber hinaus bin ich, auch wenn ich Rassismus erfahren habe, kein Opfer. Ich glaube nicht an diesen Kult, der um die Opferrolle betrieben wird und auf dem so viele herumzureiten scheinen. Wenn man auf Rassismus trifft, setzt man sich mit ihm auseinander, spricht ihn an und macht dann weiter. Die Opferrolle für sich als Identität zu übernehmen ist gefährlich, weil es die eigene Handlungsfähigkeit und das eigene Vermögen einschränkt, seine verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um mit diesem Problem umzugehen.“ 

Die immer noch tradierte Vorstellung „von den hilflosen Schwarzen“ sei fatal, „weil sie in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft den Eindruck hinterlässt, dass Schwarze die Mündel des Staates seien und es ihnen nie gelungen sei, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um sich selbst aus unterdrückerischen Lebenslagen zu befreien.“

Hinter dieser Sicht steht nach Hill ein Verständnis eines identitären Multi-kulturalismus, der das Individuum auf gruppenspezifische Merkmale reduziert und es damit in seiner Selbstbestimmung einschränkt. 

So basiere Identitätspolitik „auf einer Logik der Anti-Assimilation, die, wie ich meine, wiederum auf einer Logik der `Ansteckungsgefahr´ basiert. Die multi-kulturelle Weltsicht basiert auf der essentialistischen Idee, wonach wir eine bestimmte ethnische und kulturelle Identität besitzen, Teil einer monolithischen Gruppe sind und eine Identität mit uns herumtragen, die sich ohne Abstriche auf unsere Herkunft zurückführen lässt.“

Polygenismus, oder: Der unveränderliche
ethnische bzw. kulturelle Wesenskern in uns

Dies entspräche einer Art „Polygenismus, demzufolge wir alle einen unveränderlichen ethnischen oder kulturellen Wesenskern in uns tragen, der sich auf unsere Ursprünge zurückführen lässt. Und die Interaktion mit unseren Mitmenschen, die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitbürgern sozialisiert werden, können demnach in keiner Weise diese Grundstruktur, diesen Ursprungshintergrund verändern.“

Dies sei in den Augen von Hill nicht nur empirisch falsch. Menschen sind vielmehr „ein Gemisch aus verschiedenen Subkulturen und Gruppen. (…) Das macht sie zu heterogenen Individuen und kulturell gesehen weniger authentisch, zum Beispiel weniger karibisch.“

Genau damit aber haben die Anhänger des Multikulturalismus ihre Schwierigkeiten, weil sie die Menschen als „komplett ursprüngliche, klar unterscheidbare Mitglieder einer Gruppe“ begreifen. Selbst jenen, die sich in der Gesellschaft und ihrer Kultur zurechtgefunden haben, rufen sie zu, dass sie sich die ethnischen und kulturellen Vorgaben, die ihr Sein bestimmen, zu halten haben, denn bei einem Abweichen würde man „die eigene Authentizität und die Autonomie als ethnisches Subjekt“ verlieren.

Für Hill ist diese Haltung eine Form der „kulturellen Apartheid“: „Sie ist unhaltbar und geht in die Irre; sie verhindert, dass sich bei den Menschen ein kosmopolitisches Moment einstellt, in dem wir frei sind, einen Teil unserer Sozialisation unseren Mitmenschen in die Hände zu legen und zu etwas anderem werden, als wir ursprünglich waren.“ Die Anhänger aber des identitären Multikulturalismus favorisieren Gruppen und stellen die Vergangenheit über die Zukunft. Sie können eine auch nur partielle Umwandlung der bzw. Abkehr von den eigenen Wurzeln nicht ertragen, „weil sie kulturelle und ethnische Monisten sind.“

Die große Gefahr derartiger kultureller Apartheid liege Hill zufolge darin, dass Menschen Angst vor dem kritischen Austausch mit anderen Menschen haben, weil dadurch vielleicht ihre Geschichte und ihre Lebensweise beeinflusst werden könnten, d.h. „ihre eigene nationale, ethnische und kulturelle Identität in Frage gestellt wird, die sie für den unveränderlichen Wesenskern ihrer Identität halten.“

Kutlurelle Apartheid - Immer schön auf die anderen zeigen ...

Hill dagegen ist der Ansicht, „dass wir Individuen sind und wir für uns selbst eine Vorstellung unseres Lebens erschaffen müssen und darüber hinaus eine Vorstellung für unser Leben, die wir in die Welt hinaustragen wollen.“

Das habe aber mit einem atomistischen Menschenbild wenig zu tun, das dem Liberalismus stets vorgeworfen werde. „Ich kenne nicht einen Liberalen, der beim Individuum an Selbstverwirklichung auf einer einsamen Insel denkt. Wir entwickeln uns zusammen mit anderen, mit Fremden, mit unseren Mitbürgern, Freunden und Angehörigen. In dem Sinne bin ich ein Intersubjektivist. Ich denke, dass dieses waghalsige Unter-nehmen zusammen mit anderen Menschen angegangen werden muss. Manchmal geht man es mit Menschen an, deren Werte man teilt, und manchmal mit Menschen, mit denen man wenig gemein hat. 

Auf unserer Reise aber schreiben wir unser Drehbuch immer wieder selbst. Und das halte ich für das kosmopolitische Moment. Im Laufe dieses Prozesses sind wir gezwungen, eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Vokabular zu finden, das uns auf unserer Reise hilft. Man mag die Reise mit anderen angetreten sein, aber die Verantwortung dafür hat man selbst in der Hand. Man kann diese Verantwortung an keinen anderen abtreten. Ich käme nie auch nur auf die Idee zu sagen, jemand anderes sei für mein Leben verantwortlich. Die Entscheidungen, die ich treffe, sind einzig und allein meine eigenen.“

Damit setzt Hill der identitären Denkweise – seien es nun rechte Ethnopluralisten oder fundamentalistische Islamisten - das Bekenntnis zum Universalismus der Aufklärung entgegen. Die Probleme der Welt lassen sich schon längst nicht mehr auf der Ebene einzelner Nationen lösen. Im Partikularismus aber drohe die Gefahr einer negativen Aufhebung der Aufklärung. 

„Das Projekt eines selbstreflexiven Fortschritts darf nicht aufgegeben werden. Dabei meine ich keine naive Hymne auf den Westen und die technologische Entwicklung. Die Mahnung, die destruktiven Seiten der hochtechnisierten Zivilisation nicht aus den Augen zu verlieren, gilt heute schon aus ökologischer Perspektive mehr denn je. 

Aber die notwendige Kritik von Universalismus und Aufklärung kann nicht heißen, in Stammesstrukturen und magisches Denken zurückzukehren. Es wird kein einfaches „Zurück“ geben, vor allem nicht zu Identitäten, die so ohnehin nie existiert haben.“


Zitate aus: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik, Frankfurt 2018


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen