Donnerstag, 7. Dezember 2017

Niccolò Machiavelli und die Macht - Teil 2




Niccolò Machiavelli, ehemals Staatssekretär und diplomatischer Vertreter der Republik Florenz, des weiteren Schriftsteller, Staatsphilosoph, Humanist, Historienschreiber und Dichter, verheiratet mit Marietta Corsini und Vater von sechs Kindern, begann irgendwann im Jahre 1513 in seinem Landhaus mit der Niederschrift eines Büchleins, das mit großer Wahrscheinlichkeit nie entstanden wäre, wäre nicht Florenz wiederholt in den gegenwärtigen Unruhen und wäre nicht in der Folge auch er, der Politikberater und Diplomat, in den Wirren des Zeitalters politisch gescheitert.


Es war das Zeitalter der italienischen Kriege, und die Republik Florenz lag mit ihren jeweiligen Bündnispartnern mitten darin. „Angesichts dieser Zustände ist der am Ende des Textes beschworene Befreier Italiens, der die Staaten wieder zu einer politischen Einheit zusammenführt, (...) in der Wahl seiner Mittel so frei, wie man sein kann; Hauptsache, er bekommt das Ungemach in den Griff.“

Die politische Landkarte Italiens um 1494

„Erfolg war nach seiner späteren Darstellung eine fruchtbare Mischung aus Fortuna, der wankelmütigen Glücks- und Schicksalsgöttin der Römer, und der in seinem gesamten politiktheoretischen Werk so wesentlichen virtù, die man als politische Energie, bestehend aus Tatkraft und Tüchtigkeit, übersetzen kann und die eine aktionsgerichtete, erfolgsorientierte Tugend bezeichnet.“

„Die virtù Machiavellis ist nie ein nach innen gerichtetes Ideal, sondern wird immer danach bemessen, inwieweit sie für die politische Wirklichkeit taugt. Sowohl tatkräftige Individuen, die die Chancen des Augenblicks und die historisch günstige Stunde nutzen, als auch ganze Völker, die den historischen Wandel bestimmen, da sie sich reif zeigen für die Veränderung, können sie haben, die begehrte virtù.“

Die Antike und ihre geistige Welt war für Machiavelli stets der Referenzrahmen seiner Gedanken. Er bediente sich der umfangreichen Bibliothek seines Vaters und genoss eine grundlegende humanistische Bildung. „Boethius, Cicero, Aristoteles, aber auch die griechischen Historiker Polybios und Thukydides, die er in lateinischen Übersetzungen las, formten sein Weltbild, das nicht nur auf ein zyklisches Bild der Geschichte hinauslief, ein Bild vom gleichsam gesetzmäßigen Aufstieg und Fall der Kulturen und Reiche, sondern das auch ein dauerhaftes Ideal kultivierte, und das war Rom, das römische Weltreich, das nie wieder erstandene Ideal der römischen Republik.“

Dieses Ideal, diese beschworene Größe stand in eklatantem Kontrast zu Machiavellis historischer Wirklichkeit, den kriegsgebeutelten italienischen Staaten einerseits sowie andererseits der dekadenten Spätform der Republik unter den herrschenden Medici. Diese hatten in Florenz die althergebrachte Verfassung durch ihre netzwerkgesteuerte Politik wechselseitiger Abhängigkeiten mit der Zeit unterwandert und damit von innen ausgehöhlt.

In seinen "Discorsi", seinem politiktheoretischen Hauptwerk, setzt er sich intensiv mit den Fragen von Politik und Staatsführung in einer idealen Form auseinander.

„In dieser Idealrepublik, die immer Rom zur Grundlage hat, das versunkene Ideal der römischen Republik, gibt es überhaupt keine Fürsten. Es ist die Vorstellung einer wahren res publica libera, eines freien Staates, der mit einer gesetzten Rechtsprechung, Ämterwahl nach Verdienst und einer gegenseitigen Kontrolle ihrer verschiedenen Instanzen zum Wohle aller und gerecht funktionierte. Dass die Republik Florenz, wie er sie kannte, so weit entfernt war von dieser Vorstellung, war einfach, so schmerzhaft es war, eine Realität seines Zeitalters, und der Autor zollte dieser unerfreulichen Realität in seinem Buch über den Fürsten auf eine, wenn man so will, zynische Weise Tribut.

"Il principe" ist in gewissem Sinne eine kleine Gelegenheitsschrift mit apodiktischem Tenor und einer sehr klaren situationsbezogenen Zielsetzung, während sein weiteres politiktheoretisches Werk, etwa die erwähnten "Discorsi" oder die 1525 vollendete "Istorie Fiorentine", die "Geschichte von Florenz", die Machiavelli im Auftrag der Medici schrieb und in der er auf äußerst geschickte Weise eine subtile Kritik an den gegenwärtigen Machthabern übte, die Form profunder und umfangreicher Analysen besitzt.

Discorsi (1513-1519)
In diesen analytischen Schriften beschrieb Machiavelli sein Ideal – eine freie Republik ohne Fürsten, sorgfältig entwickelt nach römischem Vorbild und mit den Maßgaben der eigenen Zeit. Im "Principe" hingegen beschrieb er die Situation, wie sie war – in Florenz und anderswo in Italien, und was man tun musste, um sich in derart aus den Fugen geratenen Zeiten der Staatsstreiche, Umstürze, der wüsten Eroberungskriege als Staatsführer an der Macht zu erhalten. Alles war besser als ein schwacher Herrscher, der nur der Anarchie Tür und Tore öffnete und der quasi eine Einladung an jeden Eroberer war.

Das Buch vom Fürsten wäre mit großer Wahrscheinlichkeit nie entstanden, wäre nicht Machiavelli, der Politikberater und Diplomat, in den Wirren des Zeitalters politisch gescheitert. Man beschuldigte ihn, an einer Verschwörung gegen die Medici beteiligt gewesen zu sein. Später kam Machiavelli dann im Rahmen einer Gefangenenamnestie wieder frei.

Das war der Hintergrund seiner schriftstellerischen Aktivitäten im beschaulichen Idyll seines toskanischen Landhauses, das lediglich fünfzehn Kilometer entfernt von Florenz lag, aber weit abseits des politischen Geschehens, und das für den einstigen Diplomaten in florentinischen Diensten ein Ort der Verbannung war.

Machiavelli brauchte dringend ein neues Amt, und so versuchte er sich den alten und neuen Machthabern, den Medici, mit einer kleinen politischen Schrift zu empfehlen, die es in sich hatte und die Machiavelli noch heute zum unbestrittenen Skandalautor macht. Titel der Schrift: "Il principe", also: "Der Fürst". Machiavelli erläuterte, er habe über das einzige Thema geschrieben, von dem er wirklich etwas verstehe, und das sei der Staat – anders gesagt: die Mechanismen der Macht, denn nur darum geht es in seinem Buch über den Fürsten.

Lorenzo di Medici, dem Machiavelli
das Buch "Der Fürst" widmete
Zu den Medici, denen er sich als Staatsbediensteter anempfahl, nachdem diese ihn in den Kerker geworfen und ins politische Aus katapultiert hatten, hatte er insgesamt ein ambivalentes Verhältnis, wenngleich er aktuell wohl der Auffassung war, die Medici seien immer noch besser als ein fremder Eroberer, etwa aus dem Haus Habsburg-Spanien. Er würde später in einer sehr gut bezahlten Auftragsarbeit seitens der Medici, der "Istorie Fiorentine", also der "Geschichte von Florenz", die von der Gründung der Stadt bis zum Tode Lorenzos des Prächtigen reicht, das Kunststück vollbringen, eine vordergründige Erfolgsgeschichte dieser legendären Dynastie mit äußerst subtiler Kritik zu verbinden, die sich vor allem auf die Herrschaftspraktiken der Medici bezog als de fakto-Herrscher von Florenz mit Unterbrechungen über etliche Generationen.

„Indirekt machte ihnen Machiavelli den Vorwurf, mit ihrer Politik der flächendeckenden Netzwerke und der wechselseitigen Abhängigkeiten die republikanische Verfassung und damit den bürgerlichen Freiheitsgedanken der Republik von innen auszuhöhlen. In seinem, wie man wohl sagen kann, politiktheoretischen Hauptwerk, den "Discorsi", macht er sich dezidierte Gedanken über eine solche Idealrepublik nach römischem Muster, an die er wohl auch bis zum Ende geglaubt hat, die aber weit entfernt war von den Verhältnissen seiner Gegenwart.“

Im "Principe" allerdings geht es ausschließlich um den Machterhalt, und zwar aus der Perspektive des Herrschers. Es ist eine Auseinandersetzung mit den politischen Realitäten, ein fast zynischer Kommentar zu den politischen Praktiken seiner Zeit – über weite Strecken eine reine Zustandsbeschreibung – , also letztlich auch die relativ emotionslose Schilderung, wie man agieren musste, um als Staatsführer in wilden Zeiten, in denen Recht und Ordnung ohnehin nicht mehr existierten, in denen die Gesetze nicht galten, keine Absprache, keine Verfassung und keine althergebrachten, verbrieften Rechte und in denen die Invasion von Fremdherrschern eine allgegenwärtige reale Bedrohung darstellte, nichts Geringeres als den eigenen Staat zu verteidigen.

Die damit beabsichtigte Werbung in eigener Sache - also sich mit dem Fürstenbuch idealerweise wieder in Amt und Würden zu schreiben – hat übrigens nicht funktioniert. Im Laufe der Jahre unternahm Machiavelli wieder eine Reihe von diplomatischen Reisen im Auftrage der Regierung, erhielt aber keine offizielle Staatsstelle mehr. Er hat noch die Plünderung Roms erlebt am 6. Mai 1527, sowie den erneuten Sturz der Medici in Florenz unmittelbar danach. Er starb kurz danach, am 21. Juni 1527, an einem Magenleiden.




Zitate aus: Sabine Appel: Gierig nach Macht - der Machiavellismus, SWR2 Wissen, Sendungen vom 5. und 12. November 2017

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