Niccolò Machiavelli, ehemals Staatssekretär und
diplomatischer Vertreter der Republik Florenz, des weiteren Schriftsteller,
Staatsphilosoph, Humanist, Historienschreiber und Dichter, verheiratet mit
Marietta Corsini und Vater von sechs Kindern, begann irgendwann im Jahre 1513
in seinem Landhaus mit der Niederschrift
eines Büchleins, das mit großer Wahrscheinlichkeit nie entstanden wäre, wäre nicht
Florenz wiederholt in den gegenwärtigen Unruhen und wäre nicht in der Folge
auch er, der Politikberater und Diplomat, in den Wirren des Zeitalters
politisch gescheitert.
Es war das Zeitalter der italienischen Kriege,
und die Republik Florenz lag mit ihren jeweiligen Bündnispartnern mitten darin. „Angesichts dieser Zustände ist der am Ende des
Textes beschworene Befreier Italiens, der die Staaten wieder zu einer
politischen Einheit zusammenführt, (...) in der Wahl seiner Mittel so frei, wie man sein kann; Hauptsache,
er bekommt das Ungemach in den Griff.“
Die politische Landkarte Italiens um 1494 |
„Erfolg war nach seiner späteren Darstellung
eine fruchtbare Mischung aus Fortuna,
der wankelmütigen Glücks- und Schicksalsgöttin der Römer, und der in seinem
gesamten politiktheoretischen Werk so wesentlichen virtù, die man als politische Energie, bestehend aus Tatkraft und
Tüchtigkeit, übersetzen kann und die eine aktionsgerichtete, erfolgsorientierte
Tugend bezeichnet.“
„Die virtù Machiavellis ist nie ein nach innen
gerichtetes Ideal, sondern wird immer danach bemessen, inwieweit sie für die
politische Wirklichkeit taugt. Sowohl tatkräftige Individuen, die die Chancen
des Augenblicks und die historisch günstige Stunde nutzen, als auch ganze
Völker, die den historischen Wandel bestimmen, da sie sich reif zeigen für die
Veränderung, können sie haben, die begehrte virtù.“
Die Antike und ihre geistige Welt war für Machiavelli
stets der Referenzrahmen seiner Gedanken. Er bediente sich der umfangreichen
Bibliothek seines Vaters und genoss eine grundlegende humanistische Bildung. „Boethius,
Cicero, Aristoteles, aber auch die griechischen Historiker Polybios und
Thukydides, die er in lateinischen Übersetzungen las, formten sein Weltbild,
das nicht nur auf ein zyklisches Bild der Geschichte hinauslief, ein Bild vom gleichsam
gesetzmäßigen Aufstieg und Fall der Kulturen und Reiche, sondern das auch ein
dauerhaftes Ideal kultivierte, und das war Rom, das römische Weltreich, das nie
wieder erstandene Ideal der römischen Republik.“
Dieses Ideal, diese beschworene Größe stand in
eklatantem Kontrast zu Machiavellis historischer Wirklichkeit, den
kriegsgebeutelten italienischen Staaten einerseits sowie andererseits der
dekadenten Spätform der Republik unter den herrschenden Medici. Diese hatten in
Florenz die althergebrachte Verfassung durch ihre netzwerkgesteuerte Politik
wechselseitiger Abhängigkeiten mit der Zeit unterwandert und damit von innen
ausgehöhlt.
In seinen "Discorsi", seinem
politiktheoretischen Hauptwerk, setzt er sich intensiv mit den Fragen von
Politik und Staatsführung in einer idealen Form auseinander.
„In dieser Idealrepublik, die immer Rom zur
Grundlage hat, das versunkene Ideal der römischen Republik, gibt es überhaupt
keine Fürsten. Es ist die Vorstellung einer wahren res publica libera, eines
freien Staates, der mit einer gesetzten Rechtsprechung, Ämterwahl nach
Verdienst und einer gegenseitigen Kontrolle ihrer verschiedenen Instanzen zum
Wohle aller und gerecht funktionierte. Dass die Republik Florenz, wie er sie
kannte, so weit entfernt war von dieser Vorstellung, war einfach, so
schmerzhaft es war, eine Realität seines Zeitalters, und der Autor zollte
dieser unerfreulichen Realität in seinem Buch über den Fürsten auf eine, wenn
man so will, zynische Weise Tribut.
"Il principe" ist in gewissem Sinne
eine kleine Gelegenheitsschrift mit apodiktischem Tenor und einer sehr klaren
situationsbezogenen Zielsetzung, während sein weiteres politiktheoretisches
Werk, etwa die erwähnten "Discorsi" oder die 1525 vollendete
"Istorie Fiorentine", die "Geschichte von Florenz", die
Machiavelli im Auftrag der Medici schrieb und in der er auf äußerst geschickte
Weise eine subtile Kritik an den gegenwärtigen Machthabern übte, die Form
profunder und umfangreicher Analysen besitzt.
Discorsi (1513-1519) |
In diesen analytischen Schriften beschrieb
Machiavelli sein Ideal – eine freie Republik ohne Fürsten, sorgfältig
entwickelt nach römischem Vorbild und mit den Maßgaben der eigenen Zeit. Im
"Principe" hingegen beschrieb er die Situation, wie sie war – in
Florenz und anderswo in Italien, und was man tun musste, um sich in derart aus den
Fugen geratenen Zeiten der Staatsstreiche, Umstürze, der wüsten
Eroberungskriege als Staatsführer an der Macht zu erhalten. Alles war besser
als ein schwacher Herrscher, der nur der Anarchie Tür und Tore öffnete und der
quasi eine Einladung an jeden Eroberer war.
Das Buch vom Fürsten wäre mit großer
Wahrscheinlichkeit nie entstanden, wäre nicht Machiavelli, der Politikberater
und Diplomat, in den Wirren des Zeitalters politisch gescheitert. Man
beschuldigte ihn, an einer Verschwörung gegen die Medici beteiligt gewesen zu
sein. Später kam Machiavelli dann im Rahmen einer Gefangenenamnestie wieder
frei.
Das war der Hintergrund seiner
schriftstellerischen Aktivitäten im beschaulichen Idyll seines toskanischen
Landhauses, das lediglich fünfzehn Kilometer entfernt von Florenz lag, aber
weit abseits des politischen Geschehens, und das für den einstigen Diplomaten
in florentinischen Diensten ein Ort der Verbannung war.
Machiavelli brauchte dringend ein neues Amt,
und so versuchte er sich den alten und neuen Machthabern, den Medici, mit einer
kleinen politischen Schrift zu empfehlen, die es in sich hatte und die
Machiavelli noch heute zum unbestrittenen Skandalautor macht. Titel der
Schrift: "Il principe", also: "Der Fürst". Machiavelli
erläuterte, er habe über das einzige Thema geschrieben, von dem er wirklich
etwas verstehe, und das sei der Staat – anders gesagt: die Mechanismen der
Macht, denn nur darum geht es in seinem Buch über den Fürsten.
Lorenzo di Medici, dem Machiavelli das Buch "Der Fürst" widmete |
Zu den Medici, denen er sich als
Staatsbediensteter anempfahl, nachdem diese ihn in den Kerker geworfen und ins
politische Aus katapultiert hatten, hatte er insgesamt ein ambivalentes
Verhältnis, wenngleich er aktuell wohl der Auffassung war, die Medici seien
immer noch besser als ein fremder Eroberer, etwa aus dem Haus Habsburg-Spanien.
Er würde später in einer sehr gut bezahlten Auftragsarbeit seitens der Medici,
der "Istorie Fiorentine", also der "Geschichte von
Florenz", die von der Gründung der Stadt bis zum Tode Lorenzos des
Prächtigen reicht, das Kunststück vollbringen, eine vordergründige
Erfolgsgeschichte dieser legendären Dynastie mit äußerst subtiler Kritik zu
verbinden, die sich vor allem auf die Herrschaftspraktiken der Medici bezog als
de fakto-Herrscher von Florenz mit Unterbrechungen über etliche Generationen.
„Indirekt machte ihnen Machiavelli den Vorwurf,
mit ihrer Politik der flächendeckenden Netzwerke und der wechselseitigen
Abhängigkeiten die republikanische Verfassung und damit den bürgerlichen
Freiheitsgedanken der Republik von innen auszuhöhlen. In seinem, wie man wohl
sagen kann, politiktheoretischen Hauptwerk, den "Discorsi", macht er
sich dezidierte Gedanken über eine solche Idealrepublik nach römischem Muster,
an die er wohl auch bis zum Ende geglaubt hat, die aber weit entfernt war von
den Verhältnissen seiner Gegenwart.“
Im "Principe" allerdings geht es
ausschließlich um den Machterhalt, und zwar aus der Perspektive des Herrschers.
Es ist eine Auseinandersetzung mit den politischen Realitäten, ein fast
zynischer Kommentar zu den politischen Praktiken seiner Zeit – über weite
Strecken eine reine Zustandsbeschreibung – , also letztlich auch die relativ
emotionslose Schilderung, wie man agieren musste, um als Staatsführer in wilden
Zeiten, in denen Recht und Ordnung ohnehin nicht mehr existierten, in denen die
Gesetze nicht galten, keine Absprache, keine Verfassung und keine
althergebrachten, verbrieften Rechte und in denen die Invasion von
Fremdherrschern eine allgegenwärtige reale Bedrohung darstellte, nichts
Geringeres als den eigenen Staat zu verteidigen.
Die damit beabsichtigte Werbung in eigener Sache
- also sich mit dem Fürstenbuch idealerweise wieder in Amt und Würden zu
schreiben – hat übrigens nicht funktioniert. Im Laufe der Jahre unternahm
Machiavelli wieder eine Reihe von diplomatischen Reisen im Auftrage der
Regierung, erhielt aber keine offizielle Staatsstelle mehr. Er hat noch die
Plünderung Roms erlebt am 6. Mai 1527, sowie den erneuten Sturz der Medici in
Florenz unmittelbar danach. Er starb kurz danach, am 21. Juni 1527, an einem
Magenleiden.
Zitate aus: Sabine Appel: Gierig nach Macht - der Machiavellismus, SWR2 Wissen, Sendungen vom 5. und 12. November 2017
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