Josef Kraus |
Unter dem Titel „Durchgefallen!
Warum Deutschland als Bildungs-nation gescheitert ist“ kritisiert der ehemalige Schulleiter und aktuelle Präsident des Deutschen Lehrer-verbands, Josef Kraus, in der Reihe "Aula" des SWR in deutlichen Worten das Sündenregister der deutschen Bildungspolitik, einer „Politik wider jede Vernunft“.
Nach den Sünden des „Egalitarismus“ und der
„Hybris“ bespricht Kraus die Sünde der Spaß-, Erleichterungs- und
Gefälligkeitspädagogik: „Diese tut – angestrengt und sehr bemüht – so, als
ob Schule immer nur cool sein könne und ja alles tun müsse, dass sich Kinder
doch ja nicht langweilten.“ In der Folge würden jedoch „Leistung“ und „Anstrengung“
vor allem von einer 68er geprägten Pädagogik schier zu Missgunst-Vokabeln
erklärt. Und immer noch sei im Zusammenhang mit Schule in
übler Weise die Rede von „Leistungsstress", „Leistungsdruck",
„Leistungsterror".
Spaßpädagogik in der Sek II ... |
Dagegen setzt Kraus: „Bildung ohne Anstrengung
geht nicht. Die um sich greifende Wohlfühl-, Gute-Laune-, Spaß- und
Gefälligkeitspädagogik schadet unseren Kindern. Wir müssen Kindern wieder
mehr zutrauen und auch mehr zumuten. Aber in der Folge werden die Ansprüche
heruntergefahren: der mutter- und fremdsprachliche Wortschatz wird gekürzt;
ein Auswendiglernen von Gedichten findet fast nicht mehr statt; das Einprägen
von historischen oder geographischen Namen und Daten gilt als vorgestrig;
Grundschüler dürfen gegen jede Orthographieregel „phonetisch“, das heißt:
nach Gehör, schreiben; die lateinische Schrift soll durch die Grundschrift
ersetzt werden.“
Dass diese pseudopädagogische
Erleichterungsattitüde falsch ist, wussten Kraus nach bereits Generationen von
Eltern und Lehrern seit der Antike. „Selbst ein Sigmund Freud, der
bekanntermaßen vieles auf das Luststreben des Menschen zurückführte, war überzeugt:
Leistung und Erfolg, ja das Erleben von Glück, setzen Bedürfnis- und
Triebaufschub voraus.“
Wer daher Leistung und Anstrengung zu
Missgunst-Vokabeln mache, versündige sich an der Zukunft der Kinder und der
Gesellschaft, „denn wer das Leistungsprinzip bereits in der Schule untergräbt,
setzt eines der revolutionärsten demokratischen Prinzipien außer Kraft. In
unfreien Gesellschaften sind Geldbeutel, Geburtsadel, Gesinnung, Geschlecht
Kriterien zur Positionierung eines Menschen in der Gesellschaft. Freie
Gesellschaften haben an deren Stelle das Kriterium Leistung vor Erfolg und
Aufstieg gesetzt. Das ist die große Chance zur Emanzipation für jeden
einzelnen.“
Auch der moderne Sozialstaat zugunsten
Benachteiligter, Kranker und Alter ist nur realisierbar, wenn er durch die Leistung
und Anstrengung von Millionen von Menschen getragen wird. „Jeder soll seines
Glückes Schmied sein können. Mit Ellenbogengesellschaft hat das nichts zu
tun.“
Leistung und Anstrengung |
So könne und dürfe das Sozialprinzip auch nicht
über das Leistungsprinzip gestellt werden. Auch im internationalen, im
globalen Wett-bewerb ginge es nicht ohne Leistung. Vielmehr sollte man froh
sein, wenn ein Staat leistungshungrige Spitzenschüler für zukünftige Eliten habe.
„Demokratie in Deutschland darf nicht zum Diktat des Durchschnitts werden“, so
Kraus: „Eine zur Gleichheit verurteilte Gesellschaft wäre zur Stagnation
verurteilt. Vor einem solchen Hintergrund ist selbst Ungleichheit gerecht –
nämlich dann, wenn Elite allen nützt, wenn das Handeln von Eliten quasi zu
einem „inequality surplus”, zu einem Mehrwert führt.
Die vierte Sünde im bundesdeutschen
Sündenregister ist die Quotengläubigkeit: „Das ist die planwirtschaftliche
Vermessenheit, es müssten möglichst alle das Abitur-Zeugnis bekommen und es
dürften möglichst wenig oder gar keine Schüler sitzenbleiben. Dabei müsste
doch eigentlich klar sein: Wenn alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur!“
Es sei nach Kraus daher überfällig, „über
die Opportunitätskosten einer gerade von OECD, Bertelsmann Stiftung und Co.
permanent eingeforderten Überbewertung von Gymnasium/Studium und einer
Vernachlässigung der beruflichen Bildung nachzudenken, ..... das heißt,
nachzudenken, was es uns kostet bzw. was uns entgeht, wenn wir die berufliche
Bildung weiter so vernachlässigen wie zuletzt. Die Wachstumsbremse der Zukunft
wird die Über- und Pseudoakademisierung sein, weil sie einhergeht mit einem
gigantischen Fachkräftemangel.“
Für viele scheint der Mensch immer noch
beim Abitur zu beginnen ...
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Dabei sei doch bewiesen, dass es dort, wo man
eher niedrige Abiturienten- Quoten hat, es zugleich die besten Wirtschaftsdaten
gibt. Das zeige sich nicht zuletzt am Ausmaß von Jugendarbeitslosigkeit: „Hier
haben oft sogar vermeintliche Pisa-Vorzeigeländer mit Gesamt-schulsystemen eine
Quote, die deutlich über derjenigen Deutschlands oder gar der süddeutschen
Länder liegt. Zuletzt gab es in Deutschland eine Quote an arbeitslosen
Jugendlichen von 7 Prozent, in den schulpolitisch vermeintlich vorbildlichen
Ländern dagegen Quoten um 20 Prozent: in Schweden mit 20,2 und in Finnland mit
21,7 Prozent. In Baden-Württemberg und Bayern hatten wir übrigens Quoten
zwischen 2 und 3 Prozent. Länder mit vergleichsweise niedriger Studierquote
und dualer Berufsbildung liegen also erheblich besser.“
Demgegenüber scheint immer noch für viele der Mensch
beim Abitur zu beginnen. „Eigentlich entspringt solches Denken einem
egalitären, sozialistischen Denken. Nun aber kommt etwas Paradoxes ins Spiel:
Dieselben Leute, die ständig Lippenbekenntnisse von wegen Gleichheit,
Gerechtigkeit, Kindgemäßheit absondern, betreiben unter Einflüsterung der
Wirtschaft und der OECD eine Ökonomisierung von Bildung.“
So solle nun alles an „Bildung“ in Quoten und
Rankingtabellen messbar sein. Der Mensch wird zum „Humankapital“ und damit
verdinglicht. „Das ist Kapitalismus, Ausbeutung pur.“
Schon 1961 habe die OECD - die ja auch für die
Pisa-Testerei verantwortlich zeichnet - in einem Grundsatzpapier festgehalten:
„Heute versteht es sich von selbst, dass auch das Erziehungswesen in den
Komplex der Wirtschaft gehört, dass es genauso notwendig ist, Menschen für
die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen. Das Erziehungswesen
steht nun gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken.“
Nette Vergleiche sind das!
(Fortsetzung folgt)
Zitate aus: Josef Kraus: Durchgefallen! Warum Deutschland als Bildungsnation gescheitert ist, SWR2 Aula, Sendung vom Sonntag, 02. Juli 2017, 8.30 Uhr, Redaktion: Ralf Caspary, SWR 2017
Weitere Literatur von Josef Kraus: Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt. Und was Eltern jetzt wissen müssen, München 2017 - Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung, Reinbek 2013 - Ist die Bildung noch zu retten? - eine Streitschrift, München 2009 - Der Pisa-Schwindel. Unsere Kinder sind besser als ihr Ruf. Wie Eltern und Schule Potentiale fördern können, Wien 2005 - Spaßpädagogik. Sackgassen deutscher Schulpolitik, München 2., ergänzte Auflage, 1998.
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