Mit den beiden großen Heldenepen Homers, der Ilias und der Odyssee,
beginnt im 8. Jahrhundert v. Chr. nicht nur die griechische, sondern die
gesamte abendländische Literaturgeschichte. Gleichwohl nimmt die Schilderung
von Kämpfen und Schlachten rund zwei Drittel des gesamten Werks ein.
Die Todesszenen mit Blut, Eingeweiden, zerschnittenen
Muskeln und Sehnen sind im Epos überlagert von grausigen Todes- und Schmerzensschreien.
Die Getöteten brüllen angesichts der Verletzungen „wie die Stiere“ (20, 203),
liegen „brüllend, in den Staub verkrallt“ (13, 393), der Kampflärm ist
untermalt vom Stöhnen der Sterbenden (21, 20), die ihr „Leben ausröcheln“ (5,
585).
Kampfszene |
Die Szenerie des Kampfes ist demnach nicht nur visuell in ihrer ungeheuren Bewegungsvielfalt, dem durch die Kämpfer aufgewirbelten Staub, den farbig geschilderten, grausigen Verletzungen und Todesstößen dargestellt, sondern diese Bilder werden abgerundet durch Hinweise auf die Akustik von Schlachtenlärm und Todeskämpfen. Letztere werden zugleich übertönt vom Triumphgeschrei der Sieger.
Die Art der Darstellung kam offenbar beim antiken Publikum
ausgesprochen gut an. Hierfür wurden verschiedene Gründe angeführt. Zum einen hat
man beobachtet, dass die Troianer in den Kämpfen überwiegend unterlegen sind
und die grausigen Detailschilderungen mit zwei Ausnahmen ausschließlich ihr
Schicksal in der Niederlage dokumentieren. Daraus hat man geschlossen, dass
auch das Publikum proachäisch eingestellt war und deshalb den grausam
ausgemalten Tod der Troianer genossen habe.
Es würde freilich mit Blick auf Intentionen und Rezeption
des Epos zu kurz greifen, die Darstellung physischer Gewalt auf ästhetischen
Qualitäten zu reduzieren. Das zeitgenössische Publikum, das in archaischer Zeit
zunächst aus den Adligen der griechischen Polis-Welt bestand, sah in den
Kämpfen der homerischen Helden immerhin eine Referenzgröße für eigenes Handeln.
Homer vermittelte mithilfe seiner drastischen Schilderungen eine heroische
Kampfbereitschaft, der man nacheifern konnte.
Achill verbindet die Wunden von Patroklos |
Doch dies ist eine späte Sicht, die vor allem die ästhetische Gestaltung zu würdigen weiß. Zweifellos, die Arten der Verwundungen und der tödlichen Verletzungen passen gut in die archaische Zeit, als militärische Kämpfe mit denselben Fern- und Nahwaffen ausgetragen wurden und das Töten weiterhin mühsame Handarbeit war.
Als man die Ilias in der griechischen Welt
vortrug, waren aber die im Epos üblichen Kampfarten mit Streitwagen und der
Konzentration auf Zweikämpfe schon Geschichte. Sie wurden durch die Phalanx,
eine geordnete Reihe Schwerbewaffneter, ersetzt, die sich in der Schlacht nicht
in Zweikämpfe auflöste, sondern als geschlossene Formation operierte. Die
Schlachtendarstellungen Homers müssen auf den Zuhörer anachronistisch gewirkt
haben. Dies war wiederum vom Dichter durchaus beabsichtigt, wollte er doch sein
Publikum in eine längst vergangene Zeit unbesiegbarer Helden zurückversetzen.
Die verstörende Wirkung, welche die vermeintlich genaue
Beschreibung von Verwundung und Tod gehabt haben könnte, wird demnach durch
Elemente aufgehoben, welche die Ereignisse einer anderen Zeit zuordneten. Hinzu
kam ein anderes wichtiges Element der epischen Erzählung, mit dem das Geschehen
in ein abstraktes Referenzsystem eingepasst wurde und das wir bereits
kennengelernt haben: das persönliche und permanente Eingreifen der Götter in
das Geschehen.
In der Odyssee heißt es gar, der ganze Krieg und
das damit verbundene Verderben wurde von den Göttern veranlasst, damit die „Künftigen
Stoff für Gesänge bekommen“ (Od. 8, 579 f.); eine durchaus zynisch wirkende
Notiz. Die Götter kontrollieren die Kämpfe, lenken selbst einzelne Geschosse
und bestimmen letztlich den Sieger des Krieges. Die Götter sind nah, sie
sprechen mit den Helden und zeigen sich ihnen, sind aber zugleich unerreichbar
und in ihrem Handeln unkalkulierbar.
Achill bereitet die Schändung der Leiche Hektors vor ... |
Die Menschen waren demnach in der Welt der Epen auf sich
selbst verwiesen, denn die Götter ließen sich nicht beeinflussen. Folge hiervon
war, dass man sich als Zeitgenosse an den Helden der Dichtung orientieren
musste. Man sollte diesen nicht einfach nacheifern, sondern aus ihrem Versagen
wie aus ihren Erfolgen lernen. Kraft, Mut, die persönliche Ehre galt es unter
Beweis zu stellen, denn „immer der Beste zu sein“ sollte Ziel eigenen Handelns
sein - unter Umständen auch die persönliche Bewährung im Kampf und die
Bereitschaft wie Fähigkeit, physische Gewalt ohne Wenn und Aber auszuüben.
aus: Martin Zimmermann: Gewalt. Die dunkle Seite
der Antike, München 2013
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen