Donnerstag, 5. Mai 2016

Jürgen Osterhammel und der orientalische Sklavenhandel

Das Dreieck des transatlantischen Sklavenhandels
Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels gehört zu den gut erforschten Themen der Welt-geschichte. In den USA wurde die Sklaverei erst 1865 für illegal erklärt, obwohl der Sklavenhandel bereits schon 1808 eingestellt wurde.

Weniger bekannt dagegen ist, dass durch den transatlantischen Sklavenhandel zahlreiche Gebiete an der afrikanischen Westküste – mit indirekten Folgen weit ins Innere des Kontinents hinein – in eines der großen Migrationssysteme des 19. Jahrhunderts einbezogen worden. Der Sudan beispielsweise war der Dreh- und Angelpunkt des sogenannten transsaharischen und „orientalischen“ Sklavenhandels, den man Jürgen Osterhammel zufolge noch nicht als überschaubares System beschrieben hat.

Die Reichweite des orientalischen Sklavenhandels zu bestimmen ist mangels harter Daten und wegen ihrer hohen politisch-moralischen Aufladung außerordentlich schwierig.

In den Empfängerländern des orientalischen Sklavenhandels wurden Sklaven auf Plantagen oder in den Haushalten und Harems von Wohlhabenden eingesetzt. „Muhammad Ali und die auf ihn folgenden Herrscher von Ägypten benötigten Nachschub für eine große Sklavenarmee, die seit den zwanziger Jahren aufgebaut wurde und die eine alte islamische Tradition der Militärsklaverei fortsetzte. Auf dem Höhepunkt dieser Nachfrage trafen um 1838 jährlich 10.000 bis 12.000 solcher militärischer Sklaven in Ägypten ein.“

Zu diesem Zeitpunkt ging die Initiative von direkter Rekrutierung durch militärischen Sklavenfang zur Versorgung durch private Händler über. Osterhammel spricht von der „Privatisierung einer Wachstumsbranche.“ Aus Äthiopien bezog der arabische Norden vor allem Kinder, überwiegend Mädchen, im zweiten Quartal des Jahrhunderts etwa 6000 bis 7000 pro Jahr.

Europäer waren am orientalischen Sklavenhandel als Händler nicht beteiligt, seine Folgen für die betroffenen Regionen Afrikas waren indes nicht weniger gravierend als die des atlantischen Handels. Er ist noch bei weitem schwieriger zu beziffern als der Atlantikhandel. „Akzeptiert man eine Schätzung, welche die Gesamtzahl aller afrikanischen Sklaven, welche die Sahara, das Rote Meer und den Indischen Ozean überquerten, auf 11,5 Millionen ansetzt, dann wäre dies genausoviel wie das Volumen des transatlantischen Sklavenhandels seit seinen Anfängen – und die in Ägypten endenden Sklaven sind dabei nicht mitgerechnet.“

Islamischer Sklavenhandel im Sudan

Mitte des 19. Jahrhunderts begann die große Zeit der arabischen Sklavenjagden im östlichen Sudan, am Horn und in Ostafrika. „Von Khartum oder Darfur aus drangen brutale Trupps muslimischer Sklavenfänger in die Gebiete von „Ungläubigen“ vor, die ihnen schutzlos ausgeliefert waren. Mörderische Gefangenenkarawanen marschierten manchmal tausend Kilometer, bis sie das Rote Meer erreichten.“

Ostafrika war die einzige Region Afrikas, die sowohl amerikanische als auch afro-asiatische Märkte „bediente.“ Zu den Abnehmern gehörte auch das Merina-Königreich auf der Insel Madagaskar, das kurioserweise selbst wiederum Bewohner als Sklaven verlor.

Trotz des Verbots der Sklaverei in den europäischen Ländern bestand in Afrike eine „lokale Sklavenökonomie mit ihren eigenen institutionalisierten Interessen“ weiter und freie afrikanische Händler strömten in die Städte und drängten auf die Märkte. „Keineswegs waren überall die alten Pfade der Sklavenfänger ausgelöscht und vergessen.“

Zwischen 1750 und 1850 mochte sich etwa ein Zehntel der afrikanischen Bevölkerung in einem Sklavenstatus befunden haben – was immer das im einzelnen bedeutete. Und die Tendenz stieg. „Neue innere Sklavenmärkte entstanden. Die Stadt Banamba im heutigen Mali z.B. wurde erst in den 1840er Jahren gegründet und fungierte bald als Mittelpunkt eines weitgreifenden Sklavenhandelsnetzes; sie war von einem 50 Kilometer breiten Gürtel von Sklavenplantagen umgeben. Die frühen kolonialen Volkszählungen registrierten oft einen hohen Bevölkerungsanteil, der sich in einem Sklavenstatus befand, und die Kolonialmächte bezogen einen Teil ihrer Interventionsgründe und ihrer Herrschaftslegitimität aus dem Anspruch, dagegen „zivilisierend“ einzuschreiten. Vieles spricht dafür, dass Sklaverei keineswegs bloß ein archaisches Relikt der Vormoderne war, sondern dass eine sklavenbasierte Produktionsweise sich den neuen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts gut anpassen ließ.“

Viele afrikanische Staaten setzten weiterhin Sklaven in der Produktion ein; sie waren ihre ökonomische Existenzgrundlage. „Das konnten Kriegsgefangene sein, gekaufte Sklaven, Tributobjekte, Schuldner, Opfer von Entführungen, Gefangene, die speziell für Orakel gemacht worden waren usw. In Westafrika waren es Staaten wie das Sokoto-Kalifat, Asante und Dahomey, die Sklaven oft von weit her importierten, um sie auf Plantagen oder im Handwerk arbeiten zu lassen. Die Bevölkerung der Stadt Lagos soll in den 1850er Jahren, also am Vorabend der Unterstellung unter britisches Protektorat (1861), zu neun Zehnteln aus Sklaven bestanden haben.“

Arabischer Sklavenhandel
In Teilen Afrikas gewann die Sklaverei im 19. Jahrhundert eine neue Vitalität, die sich ebenso aus der Nutzung neuer ökonomischer Chancen wie aus der Dynamik muslimischer Erneuerungsbewegungen speiste, „deren staatsbildende Heiligen Kriege durch den breiten Savannengürtel südlich der Sahara vom heutigen Mali bis zum Tschad-See pulsierten und dabei ganze Landstriche entvölkerten.“

Neben dem, was vom maritimen Sklavenhandel übrig war, entstanden also innerafrikanische Antriebe für die hohe und meist großräumige Mobilität, die mit jeder Sklavenwirtschaft verbunden ist. „Im Schnittfeld mehrerer großräumiger Migrationssysteme gelegen, war Afrika im 19. Jahrhundert derjenige Kontinent mit der größten Variationsbreite menschlicher Wanderungsformen.“


Zitate aus: Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2010 (C.H. Beck)



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