Das Dreieck des transatlantischen Sklavenhandels |
Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels gehört
zu den gut erforschten Themen der Welt-geschichte. In den USA wurde die
Sklaverei erst 1865 für illegal erklärt, obwohl der Sklavenhandel bereits schon
1808 eingestellt wurde.
Weniger bekannt dagegen ist, dass durch den transatlantischen
Sklavenhandel zahlreiche Gebiete an der afrikanischen Westküste – mit
indirekten Folgen weit ins Innere des Kontinents hinein – in eines der
großen Migrationssysteme des 19. Jahrhunderts einbezogen worden. Der Sudan beispielsweise
war der Dreh- und Angelpunkt des sogenannten transsaharischen und „orientalischen“
Sklavenhandels, den man Jürgen Osterhammel zufolge noch nicht als
überschaubares System beschrieben hat.
Die Reichweite des orientalischen Sklavenhandels zu bestimmen
ist mangels harter Daten und wegen ihrer hohen politisch-moralischen Aufladung außerordentlich
schwierig.
In den Empfängerländern des orientalischen Sklavenhandels
wurden Sklaven auf Plantagen oder in den Haushalten und Harems von Wohlhabenden
eingesetzt. „Muhammad Ali und die auf ihn folgenden Herrscher von Ägypten
benötigten Nachschub für eine große Sklavenarmee, die seit den zwanziger Jahren
aufgebaut wurde und die eine alte islamische Tradition der Militärsklaverei
fortsetzte. Auf dem Höhepunkt dieser Nachfrage trafen um 1838 jährlich 10.000
bis 12.000 solcher militärischer Sklaven in Ägypten ein.“
Zu diesem Zeitpunkt ging die Initiative von direkter
Rekrutierung durch militärischen Sklavenfang zur Versorgung durch private
Händler über. Osterhammel spricht von der „Privatisierung einer
Wachstumsbranche.“ Aus Äthiopien bezog der arabische Norden vor allem
Kinder, überwiegend Mädchen, im zweiten Quartal des Jahrhunderts etwa 6000 bis
7000 pro Jahr.
Europäer waren am orientalischen Sklavenhandel als Händler nicht beteiligt, seine Folgen für die betroffenen Regionen
Afrikas waren indes nicht weniger gravierend als die des atlantischen Handels.
Er ist noch bei weitem schwieriger zu beziffern als der Atlantikhandel. „Akzeptiert
man eine Schätzung, welche die Gesamtzahl aller afrikanischen Sklaven,
welche die Sahara, das Rote Meer und den Indischen Ozean überquerten, auf
11,5 Millionen ansetzt, dann wäre dies genausoviel wie das
Volumen des transatlantischen Sklavenhandels seit seinen Anfängen – und die in
Ägypten endenden Sklaven sind dabei nicht mitgerechnet.“
Islamischer Sklavenhandel im Sudan |
Mitte des 19. Jahrhunderts begann die große Zeit der
arabischen Sklavenjagden im östlichen Sudan, am Horn und in Ostafrika. „Von
Khartum oder Darfur aus drangen brutale Trupps muslimischer Sklavenfänger in
die Gebiete von „Ungläubigen“ vor, die ihnen schutzlos ausgeliefert waren.
Mörderische Gefangenenkarawanen marschierten manchmal tausend Kilometer, bis
sie das Rote Meer erreichten.“
Ostafrika war die einzige Region Afrikas, die sowohl amerikanische
als auch afro-asiatische Märkte „bediente.“ Zu den Abnehmern gehörte auch das
Merina-Königreich auf der Insel Madagaskar, das kurioserweise selbst wiederum
Bewohner als Sklaven verlor.
Trotz des Verbots der Sklaverei in den europäischen Ländern
bestand in Afrike eine „lokale Sklavenökonomie mit ihren eigenen
institutionalisierten Interessen“ weiter und freie afrikanische Händler strömten
in die Städte und drängten auf die Märkte. „Keineswegs waren überall die alten
Pfade der Sklavenfänger ausgelöscht und vergessen.“
Zwischen 1750 und 1850 mochte sich etwa ein Zehntel der
afrikanischen Bevölkerung in einem Sklavenstatus befunden haben – was immer das
im einzelnen bedeutete. Und die Tendenz stieg. „Neue innere Sklavenmärkte
entstanden. Die Stadt Banamba im heutigen Mali z.B. wurde erst in den 1840er
Jahren gegründet und fungierte bald als Mittelpunkt eines weitgreifenden
Sklavenhandelsnetzes; sie war von einem 50 Kilometer breiten Gürtel von
Sklavenplantagen umgeben. Die frühen kolonialen Volkszählungen registrierten
oft einen hohen Bevölkerungsanteil, der sich in einem Sklavenstatus befand, und
die Kolonialmächte bezogen einen Teil ihrer Interventionsgründe und ihrer
Herrschaftslegitimität aus dem Anspruch, dagegen „zivilisierend“
einzuschreiten. Vieles spricht dafür, dass Sklaverei keineswegs bloß ein
archaisches Relikt der Vormoderne war, sondern dass eine sklavenbasierte
Produktionsweise sich den neuen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts gut
anpassen ließ.“
Viele afrikanische Staaten setzten weiterhin Sklaven in der
Produktion ein; sie waren ihre ökonomische Existenzgrundlage. „Das konnten
Kriegsgefangene sein, gekaufte Sklaven, Tributobjekte, Schuldner, Opfer von
Entführungen, Gefangene, die speziell für Orakel gemacht worden waren usw. In
Westafrika waren es Staaten wie das Sokoto-Kalifat, Asante und Dahomey, die
Sklaven oft von weit her importierten, um sie auf Plantagen oder im Handwerk
arbeiten zu lassen. Die Bevölkerung der Stadt Lagos soll in den 1850er Jahren,
also am Vorabend der Unterstellung unter britisches Protektorat (1861), zu neun
Zehnteln aus Sklaven bestanden haben.“
Arabischer Sklavenhandel |
In Teilen Afrikas gewann die Sklaverei im
19. Jahrhundert eine neue Vitalität, die sich ebenso aus der Nutzung neuer
ökonomischer Chancen wie aus der Dynamik muslimischer Erneuerungsbewegungen
speiste, „deren staatsbildende Heiligen Kriege durch den breiten Savannengürtel
südlich der Sahara vom heutigen Mali bis zum Tschad-See pulsierten und dabei
ganze Landstriche entvölkerten.“
Neben dem, was vom maritimen Sklavenhandel übrig war,
entstanden also innerafrikanische Antriebe für die hohe und meist großräumige
Mobilität, die mit jeder Sklavenwirtschaft verbunden ist. „Im Schnittfeld
mehrerer großräumiger Migrationssysteme gelegen, war Afrika im
19. Jahrhundert derjenige Kontinent mit der größten Variationsbreite
menschlicher Wanderungsformen.“
Zitate aus: Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung
der Welt, Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2010 (C.H. Beck)
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