Donnerstag, 16. Januar 2014

Aristophanes und die Komödie

In der Antike galt der Mensch als das einzige Wesen, das des Lachens fähig ist. Lachen und Gelächter wurden so als Ausdruck geistiger Freiheit mit Denken und Sprechen auf eine Stufe gestellt.

Aristophanes
Sicher zielte die Komödie nicht in dem Maße wie die Tragödie auf die Paideia, also auf die Besserung der Menschen, gleichwohl erlangte sie unter Aristophanes mit ihrem Eintritt in die öffentliche Arena der Politik ihre wahre Bestimmung: Die Komödie wird zum Sammelpunkt aller öffentlichen Kritik, sie erhebt ihre Stimme zu allen die Polis bewegenden Fragen. Es ist der von der Idee der Freiheit untrennbare Gedanke der Verantwortung, der hier zum Ausdruck kommt:

„Sie tadelt, wo es ihr richtig scheint, nicht nur den Einzelnen, nicht nur diese oder jene politische Handlung, sondern die gesamte Staatsführung oder den Charakter des Volkes und seine Schwächen. Sie kontrolliert den Geist und legt die Hand auf Erziehung, Philosophie, Dichtkunst und Musik. Zum ersten Mal werden dabei diese Mächte in ihrer Gesamtheit als der Ausdruck der Bildung eines Volkes und als Maßstäbe seiner inneren Gesundheit betrachtet“ (Jaeger, 458).

In der Komödie „Die Wespen“ (422 v.Chr. uraufgeführt) dreht sich alles um den unwürdigen Zustand des attischen Justizwesens. Seit der demokratischen Verfassung des Kleisthenes (Ende des 6. Jh.), lag das Gerichtswesen in der Hand des attischen Volkes. Jährlich wurden aus der gesamten Bürgerschaft sechstausend Richter durch das Los gewählt und dann auf die verschiedenen Gerichte verteilt.

Bis in die Zeit des Perikles hinein haben diese Volksrichter, die lediglich die Kenntnis der Solonischen Gesetze vorweisen mussten, ihre Aufgabe gut und gewissenhaft erfüllt. Erst als im Peleponnesischen Krieg das strenge Rechtsgefühl sich lockerte und gewissenlose Demagogen begannen ihre Intrigen zu spinnen, ließen sich auch die Richter in Parteikämpfe verstricken und zu politischen Machenschaften missbrauchen. Mehr und mehr gerieten die Richter in Abhängigkeit von den jeweiligen Machthabern, die sich ihrer bedienten, um unbequeme Gegner aus dem Weg zu räumen.

Das Oberste Gericht, die Heliaia (griechisch ἠλιαία), auf der Agora in Athen. Der Name spiegelt wider, dass das Gericht im Freien, also unter der Sonne (ἥλιος) tagte.

Führt in Einzelfällen eine Gerichtsverhandlung zum Freispruch des Angeklagten, dann wird dies als bedauerlicher Betriebsunfall interpretiert:

Wie werd ich die Gewissensbisse tragen?
Weh, freigesprochen hab ich einen! Oh!
Wie wird mir's gehn? Verzeiht mir, heil'ge Götter!
Unwissend tat ich's, meiner Art zuwider!

Die allgemeine Verarmung als Folge des Krieges hatte die Richter zudem für Bestechungen empfänglich gemacht. Betrug der Richtersold zu Perikles´ Zeiten eine Obole, wurde er nun unter Kleon auf drei Obolen angehoben. Da die meisten Männer mittleren Alters durch den Krieg beansprucht waren, bestand der größte Teil der Richter aus Greisen, die im Richtersold so etwas wie ihre Altersrente sahen.


Überhaupt: Uns Brot zu schaffen sind wir sehr erfinderisch,
Stechen jeden, wer es sei; werden dick und rund dabei

Aristophanes greift in den „Wespen“ nicht die Verfassung des Kleisthenes an, sondern die Zustände, die sich aus ihr entwickelten. Vor allem aber zieht er gegen Kleon, der durch seine Neuerungen aus der maßvollen Demokratie eine Ochlokratie („Pöbelherrschaft“) machte. Die Namen der Hauptpersonen in den „Wespen“ drücken den Angriff auf Kleon unmissverständlich aus:

Philokleon – der „Freund des Kleon“ – heißt der Greis, der sein Richteramt mit Zorn und Geifer ausübt. Er ist Kleon für die Erhöhung des Soldes dankbar, lässt sich aber dennoch von den Demagogen missbrauchen. Wie die Mehrheit seiner Amtskollegen ist er dem Beruf regelrecht verfallen, großtuerisch fällt er Urteile mit seinem Griffel, der von Aristophanes mit einem Wespenstachel gleichgesetzt wird:

„Die Rasse kennst du nicht, du Narr! Wenn man
Sie reizt, die Alten, sind sie wie die Wespen:
Sie haben einen Stachel, mördrisch scharf,
Am Steißbein, und sie stechen, kreischen, schwärmen,
Haun wild um sich und prasseln auf wie Funken!“

Bdelykleon – der „den Kleon verabscheut“ – ist der Sohn des Greises, ein Feind der Volksgerichte. Er hat sich oligarchischen Kreisen angeschlossen, ist von überlegener Klugheit und äußerst vornehm in seinen Umgangsformen.

Um seinen Vater von der „Gerichtssucht“ zu heilen, hat ihn sein Sohn kurzerhand in seinem eigenen Hause eingesperrt. Er beschwert sich beim Chor der Richter, Greise wie er, die dem Sohn Tyrannei vorwerfen:

Chor: Klar ist's ja, daß du hier den Tyrannen spielen willst!
Bdelykleon: Ja, das ist's! Bei euch ist alles Tyrannei, Gewalt, Komplott:
O das darf in keiner Klage fehlen, nicht der lumpigsten!
Und doch ward seit fünfzig Jahren nicht die Spur davon gesehn!

Bei der anschließenden Gerichtsverhandlung gelingt es Bdelykleon, den Chor der Richter davon zu überzeugen, dass sie in Wahrheit von den Mächtigen nur ausgenutzt werden. 


Denn arm sein sollst du und bleiben, das ist ihr Wille: Warum wohl?
An den Herren, der dich füttert und dressiert, sollst du dich gewöhnen, damit du,
Sobald auf den Feind er dich hetzt: "Faß! Faß!", wie ein Bullenbeißer ihn anpackst.

Aristophanes klagt darüber, dass die jetzige Generation der Alten nicht mehr stark genug ist, die Stabilität der Polis zu gewährleisten und so den Staat leichtfertig eitlen jungen Politikern ausliefere.

Die Beschwörung der alten Paideia ist gleichwohl keine Auforderung zur glorreichen Vergangenheit, die mit den Namen Marathon und Salamis verbunden ist. Aber das Gefühl, „vom reißenden Strom der Zeit fortgetragen zu werden und das wertvolle Alte entschwinden zu sehen, ehe man eines gleichwertigen Neuen sich versichert hatte, bricht in dieser Periode des Übergangs mächtig hervor und erfüllt die sehenden Geister mit Furcht“ (Jaeger, 471).

Theater im Dienst des Rechten

Bei Aristophanes wandelt sich somit die harmlos-gutmütige Kritik der alten Komödie zu einer scharfen Satire im Dienst des Richtigen und Rechten. Je größer die Not des Staates, desto wichtiger das Werk der Dichter:

Wenn sich ein Dichter bemüht,
Überraschendes, Neues zu schaffen für euch,
So behandelt ihn freundlich und haltet ihn wert,
Und bewahrt sie wohl auf, die poetische Frucht,
Und leget sie samt den Orangen hinein
In die Kisten und Kästen: befolgt ihr den Rat,
Dann riecht man - o Würze - jahraus und jahrein
An den Kleidern euch schon den Verstand an.



Zitate aus: Aristophanes: Die Wespen, in: Digitale Bibliothek Band 30: Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, entspricht: Aristophanes: Komödien in zwei Bänden. Übersetzt von Ludwig Seeger. Eingeleitet, bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Jürgen Werner. Weimar 1963 (Aufbau-Verlag) - Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Berlin 1989 (de Gruyter) - Weitere Literatur: Renata von Scheliha: Die Komödien des Aristophanes: in sieben Vorträgen interpretiert. Amsterdam 1975 (Wallstein)

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