Sylvain Maréchal (1750-1803) |
Nach dem Sturz der Schreckensherrschaft der Jakobiner unter Robespierre ging die Herrschaft des Nationalkonvents auf das Direktorium über. Am 26. Oktober
1795 trat die neue Verfassung in Kraft, die erstmals die Einführung eines
Parlamentes mit zwei Kammern vorsah, bestehend aus dem Rat der Fünfhundert und
dem Rat der Alten. Die Exekutive lag nun in der Hand des fünfköpfigen Direktoriums, dessen Mitglieder vom
Ältestenrat aus einer Liste gewählt wurden, die ihm vom Rat der Fünfhundert
vorgelegt wurde.
Der Sturz des Direktoriums war das Ziel der „Verschwörung
der Gleichen“, die unmittelbar nach Amtsantritt des 1. Direktoriums von dem für
seine blutrünstige Radikalität bekannten Revolutionär François Noël Babeuf (auch
Gracchus Babeuf) initiiert wurde.
An dieser Verschwörung war auch Sylvain
Maréchal (1750 – 1803) beteiligt, der die Französische Revolution seit ihren
Anfängen enthusiastisch unterstützt hatte. Für die Verschwörung schrieb
Maréchal das „Manifest der Gleichen“, das als revolutionäre Proklamation an das
Volk gedacht war, aber letztlich unveröffentlicht blieb. In diesem Manifest fordert
Maréchal die Verwirklichung völliger sozialer Gleichheit durch Abschaffung des
Privateigentums. Er ist damit zugleich ein Vordenker des Anarchismus.
„Gleichheit“ ist für Maréchal die „erste
Sehnsucht der Natur, erstes Bedürfnis des Menschen, wichtigstes Band einer jeden
rechtmäßigen Verbindung.“ Und dennoch muss er beobachten, dass man die Menschen
schon immer „mit schönen Worten eingelullt“
hat und daher laste „seit urvordenklichen Zeiten schamlos die erniedrigendste
wie ungeheuerlichste Ungleichheit auf dem Menschengeschlecht.“
In Maréchals Augen liegt der Grund für die
Ungleichheit darin, dass man sich bisher immer mit der „bedingten Gleichheit - vor
dem Gesetz seid ihr alle gleich -“ begnügt hat, aber diese Gleichheit eben „nichts
anderes als eine schöne und fruchtlose Rechtsfiktion“ sei.
Maréchal fordert daher die „wirkliche
Gleichheit oder aber den Tod; das ist es, was wir brauchen. Und wir werden sie
haben, diese wirkliche Gleichheit, koste es, was es wolle. Wehe denen, auf die
wir zwischen ihr und uns stoßen!“
Schon einmal sei das Volk „über die Leiber
der Könige und Priester hinweggeschritten“ und „ebenso wird es den neuen Tyrannen
ergehen, den neuen politischen Tartuffes, die auf den Plätzen der früheren
sitzen.“
So klingt es hochtönend aus dem Manifest: „Verschwindet
endlich, ihr empörenden Unterscheidungen von Reich und Arm, von Hoch und
Niedrig, von Herr und Knecht, von Regierenden und Regierten!
Das Mittel, das Maréchal vorschlägt um seine
Gleichheitsutopie zu erreichen, ist die Abschaffung des Privateigentums. Was Maréchal
hier entwickelt, ist nichts anderes als die Utopie eines agrarischen
Sozialismus mit kollektivem Eigentum an Gütern: „Kein Privateigentum mehr an
Grund und Boden, die Erde gehört niemandem. Wir verlangen, wir willen die
gemeinschaftliche Nutznießung alles dessen, was die Erde hervorbringt: Ihre Früchte
gehören jedermann.“
Erst dann werde es „keine Unterschiede mehr geben
zwischen den Menschen als jene des Alters und des Geschlechts. Da alle die
gleichen Bedürfnisse haben und die gleichen Anlagen, so mag es denn für sie nur
mehr eine gleiche Erziehung, eine gleiche Nahrung geben.“
Das „Manifest der Gleichen“ ist ein typisches
Beispiel für den utopischen Versuch einer sozialen Planung großen Stils. Karl Raimund Popper bezeichnet diesen
Versuch als ein „Irrlicht, das uns in einen Sumpf lockt“, denn „die Hybris, die
uns versuchen lässt, dass Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns
dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln – eine Hölle, wie sie nur
Menschen für ihre Mitmenschen verwirklichen können“ (Popper, Elend, Vorwort).
Es ist nicht nur die Ablehnung der formalen Rechtsgleichheit, die mit einem
modernen demokratischen Rechtsstaat in krassem Widerspruch steht. Es ist auch die
Sprache Maréchals, die verrät, dass auch seine Utopie höchstwahrscheinlich zu
Gewalt führen wird, denn er wird alle ketzerischen Ansichten ausrotten müssen
und diejenigen unterdrücken und auch töten, die seine Ziele nicht teilen.
Auch Maréchals Gesellschaftsvorstellung ist
ohne eine streng zentralistische Herrschaft einiger weniger nicht möglich und führt
daher mit aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Diktatur – wie die der
Jakobiner.
Zentralisierung im politischen Bereich
bedeutet immer auch die Ausschaltung jeder Diskussion zwischen streitenden
Parteien. Damit endet zugleich auch jede individuelle Freiheit: Niemand braucht mehr selber entscheiden, man gehorcht
einfach einem "Führer". Autonomes Denken und Handeln wird schließlich als die
Ursache für alle nur denkbaren Problemlagen im politischen und privaten Leben betrachtet.
Zentralisierung im geistigen Bereich aber ist
noch folgenreicher. Denn sie bedeutet die blinde Bildung an eine allgemeingültige
Ideologie – hier die „wirkliche Gleichheit“ - mit allgemeingültigen Symbolen
und einer dogmatischen Grundlage für die Erziehung. Man sehnt sich nach der
Möglichkeit, sich für Symbole zu begeistern und sich einer Idee, die über aller
Kritik steht, hinzugeben.
So ist auch Maréchal einer dieser wohlmeinenden
Utopisten, die die utopische Forderung einer gerechten Gesellschaft, in der die
Menschen „als Gleiche unter Gleichen“ leben können, durch die Forderung
ersetzen, diese Menschen so „gleichzumachen“, also so umzuformen, dass sie in
die neue Gesellschaft passen – im Zweifelsfall mit Hilfe der Guillotine …
Die Waffen der Radikalen (Karikatur von
George Cruikshank, 1792–1878)
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Übrigens: Die Pläne der „Gleichheitsverschwörer“
wurden verraten, Babeuf im Mai 1796 verhaftet und schließlich Ende Mai 1797 hingerichtet.
Maréchal entging der Verhaftung. Er war vorsichtig genug gewesen, seine Texte
nur anonym zu publizieren. Da er dies auch weiterhin tat, konnte er sich bis zu
seinem Tod im Jahre 1803 auch weiterhin unbehelligt dem Schreiben widmen.
Nach vier Jahren Herrschaft wird das Direktorium
schließlich am 9. November 1799 durch Napoleon Bonaparte gestürzt. Einen Tag
später lässt sich Napoleon zum 1. Konsul wählen, die Konsulatsverfassung tritt
zwei Wochen später, am 24. Dezember 1799, in Kraft. Damit findet die Französische
Revolution ihr Ende.
Zitate
aus: Sylvain Maréchal: Manifest der Gleichen, in: Fritz Kool und Werner. Krause
(Hgg): Die frühen Sozialisten, Bd. 1, München 1984 (dtv)
Weitere
Literatur: Karl Raimund Popper: Das Elend des Historismus, Tübingen 1993 (Mohr
Siebeck)
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