„Der Moralismus ist das Schwert der Unvernunft, das die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet eine der zentralen Thesen des langjährigen Nahost-Redakteurs der ZEIT, Michael Lüders, die er in seinem Buch „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen.“ ausführt.
Die Differenz
zwischen Politik und Moral kollabiert im politischen Moralismus von heute. Das ist der
Grund für den Niedergang der Debattenkultur und die Ohnmacht der Argumente. Einer politisierten Moral entspricht eine totalitäre Politik.
Das Problem ist allenthalben zu beobachten: “Wo Gefühle die Debatte bestimmen, nicht Argumente, kommt es unvermeidlich zur Verteufelung Andersdenkender, sind Verständigung, Kompromiss oder gegenseitiger Respekt kaum möglich. Wer moralisch Position bezieht, wähnt sich im Besitz einer höheren, wenn nicht unumstößlichen Wahrheit und kann schwerlich nachgeben, allein schon aus Gründen der Selbstachtung. Es geht dabei weniger um die Sache selbst, als vielmehr um die Zugehörigkeit zu einer identitätsstiftenden Gruppe, um die Eigenwahrnehmung der jeweiligen `Konsensgemeinschaft´. Wer ihr nicht angehört, riskiert Ablehnung und Ausgrenzung. Nicht selten gefolgt vom Shitstorm und dem sozialen Boykott, neudeutsch `Othering´. Anders gesagt: vorwärts zurück in eine modern verstandene Clan- und Stammeskultur.”
Für Lüders ist die Moralisierung in Staat und Gesellschaft ist “gleichbedeutend mit betreutem Denken. Das Ergebnis ist Anpassung, ein nivellierender Mainstream, der Gesinnung über Sachkenntnis oder Inhalte stellt und Abweichung ahndet. Bevorzugt mit Status- und Karriereverlust. Im Vordergrund steht der emotionale Reflex, das verinnerlichte Wissen um Gut und Böse. Nicht Fakten oder Analyse sind gefragt, sondern Gefühlskino. Entsprechend gerinnt Meinungsfreiheit zur Bejahung des Status quo, wird die Moral zur Keule.
"Die Ideale von Differenz und Vielfalt ersetzten das der menschlichen Solidarität.“ |
Verstärkt durch das Internet, insbesondere die `sozial´ geheißenen Medien. Sie begünstigen die `Instagramisierung´ der öffentlichen Meinung und verlangen nach einer Urteilsfindung nötigenfalls im Minutentakt. Auf der Strecke bleiben das sachlich fundierte Abwägen, der Austausch im Gespräch, die Kraft der Argumente. Die wohlorchestrierte Empörung, das Vordergründige und Laute, das Halbwissen haben die letzten Reste `diskursiver Ethik´ im öffentlichen Raum weitgehend geschreddert.
Wir erinnern uns: Die von den Philosophen Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas in den 1970er Jahren entwickelte Diskursethik, suchte die Richtigkeit ethischer Aussagen mit Hilfe eines auf Vernunft gründenden gemeinschaftlichen Diskurses zu entwickeln. “Dieser intersubjektive Ansatz, ausgehend von einem sachorientierten Austausch auf Augenhöhe, galt auch unter Entscheidern in Politik und Wirtschaft als zielführend.
Heute dagegen sind die Leitplanken der öffentlichen Meinungsfindung eng gesetzt: Politik und Medien sorgen für einen gleichförmigen Erregungspegel im Rahmen sogenannter `Debatten´. Bist du für Waffenlieferungen an die Ukraine – oder etwa nicht? (…) Wie viele Panzer / Kampfjets / U-Boote sollten wir liefern? Übermorgen erst oder besser morgen schon? Im Alleingang oder gemeinsam mit unseren Wertepartnern?” Solche Scheinkontroversen, die so gut wie nie das große Ganze beleuchten verlieren sich schnell in einem gesinnungsethischen Klein-Klein.
Längst hat sich die »Staatsräson« im Wohlfahrtsstaat verpuppt, der gesellschaftliche Härten zwar abfedert – wenn auch immer weniger nachhaltig erfolgreich, im Gegenzug aber die Loyalität seiner Bürger einfordert. Wer dieses Narrativ nicht annehmen will, stellt sich selbst ins Abseits. “Die politisierte Moral enthält einen totalitären Bodensatz, der unsere Kultur eher früher als später vor die Wahl stellen dürfte, falls nicht bereits geschehen: entweder Aufklärung und universalistische Menschenrechte oder aber eine Rückkehr der Stämme in neuem Gewand.
Insbesondere in jenem der Identitätspolitik, dem neuen Label und Bannerträger eines missionarisch veranlagten Gutmenschentums. Der Begriff `Identitäts-politik´ bezeichnet zunächst ein ideologisiertes Handeln, bei dem die Bedürf-nisse einzelner gesellschaftlich benachteiligter Gruppen, in Deutschland vornehmlich von Frauen und sexuellen Minderheiten, in den Vordergrund rücken. Mit der Absicht, ihren jeweiligen Einfluss zu stärken und einen privilegierten Zugang bei der Verteilung von Macht und Ressourcen zu gewährleisten.
Zitate
aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023
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