Donnerstag, 13. Januar 2022

Eamonn Butler und der klassische Liberalismus (Teil 1)

„Klassisch Liberale sind überzeugt, dass jeder Mensch sein Leben so gestalten können sollte, wie er oder sie es selber wünscht, mit möglichst geringen Einschränkungen durch andere Individuen oder Autoritäten. Sie akzeptieren die Tatsache, dass Freiheit niemals absolut sein kann, da die Freiheit des einen mit der des anderen in Konflikt geraten kann, so wie wir alle Bewegungsfreiheit haben, uns jedoch nicht alle zur selben Zeit auf den gleichen Punkt zubewegen können. Niemand hat die Freiheit, andere zu berauben, zu bedrohen, zu etwas zu zwingen, anzugreifen oder umzubringen, weil dadurch deren Freiheit verletzt würde.“ 

Eamonn Butler (* 1953)

Eamonn Butler, Mitbegründer und Direktor des Adam Smith Institute in London, zufolge lässt sich klassischer Liberalismus am ehesten darüber definieren, welchen Stellenwert er der individuellen Freiheit beimisst, denn mit Blick auf das gesell-schaftliche, politische und wirtschaftliche Leben streben klassische Liberale danach, die Freiheit des Individuums zu vergrößern.

Nach Butler lassen sich die Grenzen der individuellen Freiheit, oder die Grenzen für die Handlungen von Individuen oder Regierungen nicht eindeutig bestimmen. Auch die Vertreter des klassischen Liberalismus sind sich hier nicht immer einig. Aber sie stimmen im Großen und Ganzen überein, dass jede Antwort die individuelle Freiheit vergrößern sollte und dass jeder, der sie einschränken möchte, dafür sehr gute Gründe vorbringen muss. Buttler schlägt daher zehn Prinzipien vor, denen alle klassisch Liberalen zustimmen können.

Im Zweifel für die Freiheit  -  "Klassisch Liberale stehen im Zweifel immer auf der Seite der individuellen Freiheit. Sie wollen Freiheit in unserem gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben vergrößern."

Dabei sind die Argumentationslinien im klassischen Liberalismus durchaus unterschiedlich: „Für viele ist Freiheit ein Wert an sich. Sie argumentieren auf Basis psychologischer Beobachtungen, dass, vor die Wahl gestellt, jeder Mensch für sich persönlich Freiheit gegenüber dem Zwang bevorzugen würde. Vertreter der Natur-rechtstheorie erklären, dass Freiheit etwas sei, das uns von Gott oder der Natur gegeben wurde. Einige begründen Freiheit auch mithilfe des Gesellschafts-vertrages, indem sie feststellen, dass Menschen im `Naturzustand´ sich für die Freiheit entscheiden müssten, wenn sie Chaos und Konflikte vermeiden wollten.“

Wiederum weisen andere darauf hin, dass Freiheit eine grundlegende Voraus-setzung für Fortschritt sei, oder stellen aus humanistischer Perspektive fest, dass Freiheit ein wesentlicher Teil des Mensch-sein bedeutet, denn wer von anderen kontrolliert werde, sei kein vollwertiger Mensch. Nicht zuletzt ist Freiheit für utilitaristische klassisch Liberale das beste Mittel, um die Wohlfahrt einer Gesellschaft als Ganzes zu maximieren.

Individuelle Freiheit

Vorrang des Individuums  -  „Klassisch Liberale räumen dem Individuum einen wesentlichen Vorrang vor dem Kollektiv ein. Sie würden die individuelle Freiheit nicht für das Wohl eines Kollektivs opfern – zumindest nicht ohne eine außerordentlich gute Rechtfertigung.“

Auch hier sind die Begründungen wiederum unterschiedlich: „Eine Sichtweise – der methodologische Individualismus – lautet, dass ein Kollektiv nicht existieren kann jenseits der Individuen, die es umfasst. Natürlich ist die Gesellschaft mehr als nur die Summe der Individuen, ebenso wie ein Haus mehr ist als die Summe der Steine, aus denen es erbaut ist. Doch die Gesellschaft hat keinen eigenständigen Willen; es sind die Individuen, die denken, wertschätzen, wählen und Entwicklungen beeinflussen. Es gibt kein kollektives „öffentliches Interesse“ jenseits der Interessen der Individuen, die diese Gemeinschaft umfasst.“

Es ist offensichtlich, dass diese Individuen selten einer einer Meinung sind: „Was im Interesse des einen ist, kann den Interessen des anderen entgegengesetzt sein. Wenn wir die individuelle Freiheit zugunsten des Kollektivs opfern, heißt das in Wahrheit, dass wir sie zugunsten bestimmter Sonderinteressen opfern, und nicht etwa den Interessen von jedermann.“

Eine andere Begründung geht aus von der historischen Erfahrung: „Wir finden in der Geschichte unzählige Beispiele der Schrecken, die über ganze Völker hereinbrechen, wenn ihre Freiheit geopfert wird zugunsten der falschen Vorstellung eines Anführers über das Gemeinwohl.“

Zuletzt: Gesellschaften sind außerordentlich komplex und im beständigen Wandel begriffen. „Keine einzelne Autorität könnte jemals wissen, was in dieser komplexen und dynamischen Welt das Beste für jeden ist. Individuen ist wesentlich mehr gedient, wenn sie Entscheidungen für sich treffen können, und diese Entschei-dungen sollten ihnen überlassen werden.

Zwang minimieren  -  „Klassisch Liberale wollen Zwang auf ein möglichst geringes Maß reduzieren. Sie erstreben eine Welt, in welcher wir in friedlicher Übereinstimmung mit unseren Mitmenschen leben, nicht eine, in welcher jeder Gewalt oder Drohungen nutzt, um andere auszubeuten oder ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Darum gewähren die meisten klassisch Liberalen der Regierung und den Justizbehörden das Gewaltmonopol.“

Doch das staatliche Gewaltmonopol muss aus ein notwendiges Minimum beschränkt werden, denn Macht missbraucht kann leicht missbraucht werden. Klassisch Liberale sind daher der Überzeugung, dass jegliche Gewaltanwendung, die die Handlungen von Menschen einschränken soll, gerechtfertigt sein muss. Die Beweislast liegt dabei bei dem, der die Freiheit einschränken möchte!

„Grundsätzlich sind klassisch Liberale der Überzeugung, dass Individuen ihr Leben so leben sollten, wie sie es möchten. Keiner sollte irgendjemanden für irgendetwas um Erlaubnis bitten müssen. Es mag gute Gründe geben, jemanden in seinem Handeln einzuschränken, jedoch liegt die Beweislast dafür bei denjenigen, die die Einschränkung wollen."

Toleranz  -  „Klassisch Liberale sind überzeugt, dass der wichtigste oder gar der einzige Grund für die Einschränkung der Freiheit anderer Menschen der sein kann, sie davon abzuhalten, anderen Menschen tatsächlich zu schaden oder ihnen mit einer Schädigung zu drohen.“

Toleranz

Der klassische Liberalismus glaubt eben nicht, dass wir das Handeln von Menschen einschränken sollten, nur, weil wir diese Handlungen ablehnen oder uns durch sie gestört fühlen. Deshalb verteidigen klassisch Liberale auch die Meinungsfreiheit – selbst dann, wenn manche Menschen diese Freiheit nutzen, um Dinge zu äußern, die andere oder gar jeder für abstoßend hält. Die Menschen sollten die Freiheit haben, jede Meinung zu vertreten, die ihnen gefällt, und jede Religion auszuüben, die sie wünschen.

„Ebenso sollten Individuen die Freiheit haben, sich in Gruppen zusammenzutun, wie beispielsweise Clubs, Gewerkschaften oder politischen Parteien – auch dann, wenn andere Menschen der Ansicht sind, dass deren Ziele und Aktivitäten abzulehnen sind. Sie sollten ungehindert Waren und Dienstleistungen austauschen dürfen – selbst dann, wenn andere dies missbilligen.“

„Klassisch Liberale verstehen diese Toleranz nicht nur als Wert an sich. Sie betrachten Toleranz und gegenseitigen Respekt auch als wesentliche Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben und für die Herausbildung einer für alle nützlichen und gut funktionierenden Gesellschaft. Die Unterschiede zwischen Menschen sind eine Tatsache unseres gesellschaftlichen Lebens und waren es schon immer. Klassisch Liberale glauben nicht, dass diese Unterschiede beseitigt werden könnten, und misstrauen zutiefst sämtlichen utopischen Versuchen, das zu tun. Darum wird Toleranz immer ein unverzichtbarer Teil eines funktionierenden gesellschaftlichen Miteinanders sein.“

(Fortsetzung folgt)


Zitate aus: Eamonn Butler: Was ist klassischer Liberalismus?, in: Liberales Institut, LI-Paper, Zürich Januar 2022

Weitere Literatur: Eamonn Butler: Wie wir wurden, was wir sind: Einführung in den Klassischen Liberalismus, München 2017 (FinanzBuch Verlag)





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