Donnerstag, 28. November 2013

Manfred Koch und die "Kunst der Faulheit"

In fünf Essays legt Manfred Koch mit seinem Buch „Faulheit. Eine schwierige Disziplin“ eine unterhaltsame und kompakte Kulturgeschichte des Müßiggangs im Spiegel von mehr als zwei Jahrtausenden vor und führt seine Leser in die schwierige Kunst der Faulheit ein.

Dolce far Niente (John William Waterhouse, 1880)

Der Traum vom Nichtstun ist uralt. Neben den Ursprungsmythen der Menschheit, die nahezu einmütig den Menschen als Kulturwesen entwerfen, gibt es eine Vielzahl von Mythen der Faulheit - der süße Traum vom Nichtstun wurde geboren. In den Paradiesphantasien leistete der Mensch bereits Arbeit, wenn auch im Einklang mit seiner Natur. Noch war ihm die Unterscheidung zwischen Plackerei und Müßiggang fremd. Das sollte sich jedoch jäh ändern.

Die Erfindung des fleißigen Menschen und Faulheit als Zivilisationskritik sind zwei weitere Pole, die Koch in seinem Buch behandelt: Heute, da Vollbeschäftigung als Gipfel des gesellschaftlich Erstrebenswerten gilt, Umtriebigkeit und atemloses "Am-Ball-Bleiben" auch nach der Arbeit angesagt sind, scheint jeder sich rechtfertigen zu müssen, der am Wochenende einfach nur Däumchen drehen möchte.

Arbeit und Umtriebigkeit - Die Feinde der Muße

Dabei galt „Muße“ zu haben in der Antike als Ideal, und selbst das Mittelalter übte noch Nachsicht gegenüber dem antriebslosen Nichtstuer. Erst die Neuzeit brachte die entscheidende Wende: Fortschrittsglaube und Veränderungswille ließen den Faulen seine Unschuld verlieren, machten ihn zur parasitären Existenz. Dennoch dürfen die trägen Helden der modernen Literatur – „Liegekur auf dem Zauberberg“ – auf heimliche Sympathien hoffen, nicht zuletzt, weil der Gedanke der Entschleunigung wieder an Akzeptanz zu gewinnen scheint.

Dennoch ist es nach wie vor schwer, sich der allgemeinen Geschäftigkeit zu verweigern und zugleich scheint es angesichts allgegenwärtiger Freizeitangebote und digitaler Zerstreuungen gerade heute sehr schwer sein, faul zu sein.

Wie also könnte eine „Kunst der Faulheit“ aussehen?

Eigentlich gibt es zunächst nichts einzuwenden gegen eine vita activa: „Dass wir nur tätig unsere Kräfte und damit im eigentlichen Sinn unser Leben spüren, ist eine so triviale wie grundlegende Einsicht. Niemand will, dass ihm sein Leben geschieht, deshalb macht Langeweile ängstlich“ (145).

Tätigkeit und Tätig-sein-können gehöre daher unbestreitbar zu den elementaren Bedingungen menschlichen Glücks: „Der anhaltend faule Mensch wäre ein Widerspruch in sich, er geriete war nicht unbedingt in körperliche Fäulnis, sein Leben zerfiele ihm aber“ (ebd.).

Im Anlehnung an Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht meint Koch, dass es zu den Pflichten gegen sich selbst gehöre, wenigstens den Versuch zu unternehmen, seinem Leben eine sinnvolle Form zu geben. Wer sich nur treibe ließe, kann seine Existenz auf dauer nicht genießen.

Andererseits gehören zu einem gelingenden Leben selbstverständlich auch Phasen der Ruhe. „Glück ist ein Augenblick, besagt eine populäre Formel. Aufs Ganze eines Lebens (oder längerer Lebensabschnitte) besteht Glück wohl eher darin, einen befriedigenden Rhythmus von Anspannung und Entspannung zu finden, genauer aus einem individuellen, jedem Individuum zuträglichen Rhythmus von Arbeit und Nichtstun im Rahmen der jeweiligen Kultur, in der man sich befindet.

Müßiggang ist aller Laster Anfang ... (Die 7 Todsünden, Pieter Breughel, 1558)

Es geht also auch darum, „den `Wechsel der Arbeiten´ selbst als eine Form der Entspannung zu betrachten, … sein Leben so zu gestalten, dass möglichst viele verschiedene Formen sowohl der An- als auch der Abspannung darin abwechseln. Die Ausrichtung auf Vielheit wäre auch der Schlüssel für eine zuträgliche, gleichsam diätetische Nutzung der Medien.“

Dagegen aber steht eine „Entspannungsindustrie, die Anleitungen und Therapien zur Schaffung von Seelenruhe verspricht“, die jedoch „dem Geist des Industrialismus“ darin verpflichtet bleibt, „dass sie Ruhe als technisch herstellbares Produkt und verkäufliche Ware“ versteht – „im Angebot ist die gesamte Tradition der Weisheitslehren antiker und fernöstlicher Herkunft“ – und bei der die „alten, biederen Bilder wie `das Hirn lüften´ oder `die Seele baumeln lassen´ durch nicht minder schreckliche Metaphern wie `seelisch offline gehen´ oder `das Gehirn auf Leerlaufnetzwerke umschalten´“ ersetzt werden (149ff).

Paul Cézanne, Les joueurs de carte (1892-95)

Weil es gerade keine verbindlichen Rezepte und Heilsgarantien gibt, ist die Zusammenstellung einer „Faulheitsdiät“ die Sache jedes einzelnen, die auch ein gerütteltes Maß an experimenteller Lust verlange. „Aber die Anstrengung lohnt sich“ (153).

Zitate aus: Manfred Koch: Faulheit. Eine schwierige Disziplin. Springe 2012 (zu Klampen) - Zum Hören: Manfred Koch im Philosophischen Radio auf WDR 5



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