In fünf Essays legt Manfred Koch mit seinem Buch „Faulheit.
Eine schwierige Disziplin“ eine unterhaltsame und kompakte Kulturgeschichte des
Müßiggangs im Spiegel von mehr als zwei Jahrtausenden vor und führt seine Leser
in die schwierige Kunst der Faulheit ein.
Dolce far Niente (John William Waterhouse, 1880) |
Der Traum vom Nichtstun ist uralt. Neben den Ursprungsmythen
der Menschheit, die nahezu einmütig den Menschen als Kulturwesen entwerfen,
gibt es eine Vielzahl von Mythen der Faulheit - der süße Traum vom Nichtstun
wurde geboren. In den Paradiesphantasien leistete der Mensch bereits Arbeit,
wenn auch im Einklang mit seiner Natur. Noch war ihm die Unterscheidung
zwischen Plackerei und Müßiggang fremd. Das sollte sich jedoch jäh ändern.
Die Erfindung des fleißigen Menschen und Faulheit als
Zivilisationskritik sind zwei weitere Pole, die Koch in seinem Buch behandelt: Heute,
da Vollbeschäftigung als Gipfel des gesellschaftlich Erstrebenswerten gilt,
Umtriebigkeit und atemloses "Am-Ball-Bleiben" auch nach der Arbeit
angesagt sind, scheint jeder sich rechtfertigen zu müssen, der am Wochenende
einfach nur Däumchen drehen möchte.
Dabei galt „Muße“ zu haben in der Antike als Ideal, und
selbst das Mittelalter übte noch Nachsicht gegenüber dem antriebslosen
Nichtstuer. Erst die Neuzeit brachte die entscheidende Wende:
Fortschrittsglaube und Veränderungswille ließen den Faulen seine Unschuld
verlieren, machten ihn zur parasitären Existenz. Dennoch dürfen die trägen
Helden der modernen Literatur – „Liegekur auf dem Zauberberg“ – auf heimliche
Sympathien hoffen, nicht zuletzt, weil der Gedanke der Entschleunigung wieder
an Akzeptanz zu gewinnen scheint.
Dennoch ist es nach wie vor schwer, sich der allgemeinen
Geschäftigkeit zu verweigern und zugleich scheint es angesichts
allgegenwärtiger Freizeitangebote und digitaler Zerstreuungen gerade heute sehr
schwer sein, faul zu sein.
Wie also könnte eine „Kunst der Faulheit“ aussehen?
Eigentlich gibt es zunächst nichts einzuwenden gegen eine vita activa: „Dass wir nur tätig unsere
Kräfte und damit im eigentlichen Sinn unser Leben spüren, ist eine so triviale
wie grundlegende Einsicht. Niemand will, dass ihm sein Leben geschieht, deshalb
macht Langeweile ängstlich“ (145).
Tätigkeit und Tätig-sein-können gehöre daher unbestreitbar
zu den elementaren Bedingungen menschlichen Glücks: „Der anhaltend faule Mensch
wäre ein Widerspruch in sich, er geriete war nicht unbedingt in körperliche
Fäulnis, sein Leben zerfiele ihm aber“ (ebd.).
Im Anlehnung an Kants Anthropologie
in pragmatischer Hinsicht meint Koch, dass es zu den Pflichten gegen sich
selbst gehöre, wenigstens den Versuch zu unternehmen, seinem Leben eine
sinnvolle Form zu geben. Wer sich nur treibe ließe, kann seine Existenz auf
dauer nicht genießen.
Andererseits gehören zu einem gelingenden Leben
selbstverständlich auch Phasen der Ruhe. „Glück ist ein Augenblick, besagt eine
populäre Formel. Aufs Ganze eines Lebens (oder längerer Lebensabschnitte)
besteht Glück wohl eher darin, einen befriedigenden Rhythmus von Anspannung und
Entspannung zu finden, genauer aus einem individuellen, jedem Individuum
zuträglichen Rhythmus von Arbeit und Nichtstun im Rahmen der jeweiligen Kultur,
in der man sich befindet.
Müßiggang ist aller Laster Anfang ... (Die 7 Todsünden, Pieter Breughel, 1558) |
Es geht also auch darum, „den `Wechsel der Arbeiten´ selbst
als eine Form der Entspannung zu betrachten, … sein Leben so zu gestalten, dass
möglichst viele verschiedene Formen sowohl der An- als auch der Abspannung
darin abwechseln. Die Ausrichtung auf Vielheit wäre auch der Schlüssel für eine
zuträgliche, gleichsam diätetische Nutzung der Medien.“
Dagegen aber steht eine „Entspannungsindustrie, die
Anleitungen und Therapien zur Schaffung von Seelenruhe verspricht“, die jedoch
„dem Geist des Industrialismus“ darin verpflichtet bleibt, „dass sie Ruhe als
technisch herstellbares Produkt und verkäufliche Ware“ versteht – „im Angebot
ist die gesamte Tradition der Weisheitslehren antiker und fernöstlicher
Herkunft“ – und bei der die „alten, biederen Bilder wie `das Hirn lüften´ oder
`die Seele baumeln lassen´ durch nicht minder schreckliche Metaphern wie
`seelisch offline gehen´ oder `das Gehirn auf Leerlaufnetzwerke umschalten´“
ersetzt werden (149ff).
Paul Cézanne, Les joueurs de carte (1892-95) |
Weil es gerade keine verbindlichen
Rezepte und Heilsgarantien gibt, ist die Zusammenstellung einer „Faulheitsdiät“ die
Sache jedes einzelnen, die auch ein gerütteltes Maß an experimenteller Lust
verlange. „Aber die Anstrengung lohnt sich“ (153).
Zitate
aus: Manfred Koch: Faulheit. Eine schwierige Disziplin. Springe 2012 (zu
Klampen) - Zum Hören: Manfred Koch im Philosophischen Radio auf WDR 5
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