Donnerstag, 17. Oktober 2013

Joachim Latacz und der historische Hintergrund der Troia-Geschichte



οτοι π' ρχς πάντα θεο θνητοσ' πέδειξαν,
λλ χρόνωι ζητοντες φευρίσκουσιν μεινον.

„Nicht von Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles –
aber im Laufe der Zeit entdeckten sie forschend das Bessere.“
Xenophanes von Kolophon (fr. 18)


Troia und Homer: Zwei Namen und ein großes Rätsel der Weltgeschichte. In seinem Buch „Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels“ führt Joachim Latacz den Leser ein in die Detektivarbeit der archäologischen und sprachwissenschaftlichen Forschung. Seine These lautet: Homers Troia ist historisch!

Latacz geht davon aus, dass die Ilias Homers in der uns vorliegenden Gestalt ein Produkt der zweiten Hälfte des 8. vorchristlichen Jahrhunderts ist. Die ganze Geschichte aber um Troia ist bereits in der mykenischen Epoche der griechischen Geschichte erdacht worden. Der Krieg um Troia musste also, wenn er wirklich stattgefunden haben sollte, etwa 400 Jahre vor der Abfassung der homerischen Ilias stattgefunden haben, also nicht im 8., sondern im 12. vorchristlichen Jahrhundert.

Grundlegend für das Verständnis der Ilias ist „die Einsicht, dass sie nicht den `Krieg um Troia´ erzählt. Troia, die Landschaft um Troia, die Troás, und der Kampf zwischen den griechischen Belagerern und den troischen Verteidigern der Stadt ist nur Handlungsraum des Epos“ (243).

Das eigentliche Thema des Gedichtes, das in 24 Gesängen und insgesamt 15693 Hexametern erzählt wird, ist der Konflikt zwischen zwei Adelsherrn, zwischen Agamemnon, dem Oberbefehlshaber der Angreifer, einerseits und Achilleus aus Phthia in Thessalien, dem Anführer des militärisch effizientesten Teilkontingents der Allianz, der Myrmidonen, andererseits.

Dieser Konflikt bricht im zehnten Kriegsjahr aus, und droht das ganze Unternehmen der Achaier jetzt, nach neun Belagerungsjahren und nachdem man sich dem Ziele schon ganz nahe fühlt, zum Scheitern zu bringen.

Achilleus

In dem Konflikt geht es nicht um „irgendeine Zänkerei“, sondern „es ist ein Grundsatzstreit. Der Streit geht um die Auslegung bis dahin gültiger gesellschaftlicher Werte. Das sind Werte wie Ehre, rang, Einsatzbereitschaft für das Ganze und Führungsstärke. In diesem Grundsatzstreit „kommt es durch emotionale Eskalation zu einer Ehrverletzung und Demütigung des jüngeren der beiden Kontrahenten“ (244)
                                                        
Achilleus verfällt darauf in tiefen Groll – und damit beginnt die Ilias:

"Den Groll singe, Göttin, des Peleiaden Achilleus,
den ganz unsel´gen! – der zahllose Schmerzen den Achaiern brachte
und viele starke Leben dem Gott Hades zuwarf – Leben
von Helden! Und sie selbst zum Fraße wenden ließ für Hunde
und für die Vögel zum Bankett (Zeus´ Wille war´s, der sich darin erfüllt!)
von dem Moment an, da zerstritten auseinandertraten
der Atreide, Herr der Männer, und der göttliche Achilleus!“

Achilleus „sieht durch die Entehrung seiner Person überpersönliche Normen außer Kraft gesetzt, und er will diese Normen wiederhergestellt wissen.“ Er glaubt, dass Agamemnon, die extreme Gefährdung der Allianz vor Augen, Abbitte leisten wird. Dadurch würde dann nicht nur Achilleus selbst rehabilitiert sein, sondern auch die Normen würden wieder in ihre alten Rechte eingesetzt sein.

Letztlich geht Achilleus´ Kalkül tatsächlich, aber erst, nachdem sowohl beide Kontrahenten als auch „die gesamte Allianz schwere äußere und innere Verluste hinnehmen mussten, Verluste an Ansehen, Verluste an Menschen, Verluste auch an Unbefangenheit des Weltverständnisses.“

Die Allianz der Achaier ist durch „diese Auseinandersetzung zwischen ihren Führungspersönlichkeiten aus manchen Illusionen über die besondere Qualität von Spitzenleuten herausgerissen worden, sie ist ernüchtert und bedrückt – und dadurch geschwächt. Sie wird zwar weiterkämpfen, aber ihre alte Schlagkraft ist dahin“ (244).

Nicht den Krieg um Troia will Homer also erzählen, sondern die Ilias soll einen Beitrag leisten zur Diskussion über die Werteordnung seiner Zeit. Dazu ein kurzer Blick in die Situation des 8. Jahrhundert:

Frauenkopf aus Mykene
Nach ihrer Einwanderung auf der südlichen Balkanhalbinsel hatten die Griechen eine ab dem 17. Jahrhundert v. Chr  eine blühende Hochkultur, die mykenische, aufgebaut, hatten aber etwa 1200 den totalen Zusammenbruch dieser Kultur erleben müssen.

Es begann das sogenannte „Dunkle Zeitalter“ in der Geschichte Griechenlands, das ungefähr 400 Jahre dauerte, aber seit etwa 800 war es soweit.

Das 8. Jahrhundert v. Chr  in Griechenland war also eine Zeit des Aufbruchs – des Aufbruchs nach einer langen Stagnation. „Jetzt knüpften die Griechen intensive neue Außenkontakte an, übernahmen eine Reihe kultureller Errungenschaften von Nachbarvölkern und verbesserten sie. Darunter waren, wie wir sahen, das Alphabet und der Fernhandel zur See. Danach begann die größte Kolonisation der Weltgeschichte vor Beginn der Neuzeit: Die Griechen gründeten eine gewaltige Zahl von neuen Städten an sämtlichen Küsten des Mittelmeers“ (246)

Die Führung in diesem Prozess übernahm eine neue Oberschicht, die sich zu einem Teil noch von den Resten jener Oberschicht herleitet, die vor der Katastrophe regiert hatte. „Diese neue Oberschicht des 8. Jahrhunderts, der neue Adel, war einerseits der Motor der neuen Aufwärtsentwicklung, andererseits sah er sich aber durch die rasante Entwicklung, die er selbst vorantrieb, auch gefährdet“ (247).

Karte des Burghügels (Hisarlık) von Troja
Durch Seefahrt, Kolonisation, Warenproduktion und Handel kamen neue Schichten auf, die ebenfalls nach Einfluss strebten und den Adel in seiner Monopolstellung bedrohten. „Die Folge war eine Verunsicherung des Adels: Wie sollte man auf die neuen Entwicklungen reagieren? Sollte man die alten Wert-Ordnungen lockern, an die man unverbrüchlich geglaubt hatte? Sollte man sich anpassen? Sollte man Werte wie Ehre, Würde, Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit gewissermaßen etwas `lockerer sehen´ als bisher und sich der neuen Wendigkeit der Zeit anbequemen – oder sollte alles beim alten verharren? Falls letzteres, dann musste man zusammenhalten, da durfte keiner ausscheren, da musste die Gemeinschaftsraison über dem Einzelinteresse stehen!" (ebd.).

Es sind diese aktuellen Fragen des achten Jahrhunderts, die in der Ilias zur Diskussion gestellt werden. Homer greift sie auf und macht sie zu seinem Thema:

„Homers Achilleus-Epos, die später so genannte Ilias, stellt einen Versuch dar, auf die neue und noch ungeklärte Problematik einer zeitgemäßen Selbstdefinition des Adels eine Antwort zu geben. Diese Antwort formt sich als Vorführung und Diskussion verschiedener Reaktionsmöglichkeiten durch den Mund der Hauptfiguren – Achilleus, Agamemnon, Nestor, Odysseus, Aias, Diomedes und anderer“ (ebd.).

Achilleus und Agamemnon (Römisches Mosaik, Neapel)

Als Rahmen für seinen Diskussionsbeitrag wählt Homer die Troia-Geschichte, eine Inszenierung, „die durch Konfliktzuspitzung jedes Ausweichen vor der Wertedebatte, wie es in der Realität vermutlich häufig war, unmöglich macht und die Argumente in einer Klarheit und Kompromisslosigkeit auszuformulieren erlaubt, wie sie sich in der Zufallskonstellation realer Diskussionen nie ergeben konnte“ (248)

„Homer und seine Adressaten interessierten sich in erster Linie für die Probleme ihrer eigenen Zeit. Troia und der ganze Krieg um Troia – das war für den Dichter und sein Publikum nichts anderes als Kulisse – gleichwohl eine vertraute Kulisse.

Denn Homer rechnet damit, dass sein Publikum sich im Erzählkomplex der Troia-Geschichte auskennt, und das dichte Netz von Voraussetzungen, Zusammenhängen und Motiven – die ja außerhalb der Ilias liegen – auch versteht. So übernahm der Erzähler die Troia-Geschichte als vorgegebenen Rahmen, in den er seine eigentliche Thematik hineindichtete. „Das bedeutet aber: Die Troia-Gesamtgeschichte muss in Griechenland im Zeitpunkt der Entstehung der Ilias bereits sehr alt gewesen sein“ (265).

Zitate aus: Joachim Latacz: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels, 6. Aktualisierte und erweiterte Auflage, Leipzig 2010 (Koehler und Amelang)

1 Kommentar:

  1. Diese Troja-Geschichte wird jede intelligente Generation auf das Neue anregen. Und natürlich hat sie einen historischen Hintergrund, auch wenn er aufgrund der großen zeitlichen Distanz nicht mehr ganz klar herauszuarbeiten ist, bzw. verschiedene Theorien hierzu kursieren. Das ist natürlich archäologische Detektivarbeit. Schon Heinrich Schliemann leistete ja archäologische Detektivarbeit. Wie hätte er sonst diese ganzen Schätze finden können? Ein interessanter Artikel über ein immer interessantes Thema.

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