οὔτοι ἀπ' ἀρχῆς πάντα θεοὶ θνητοῖσ' ὑπέδειξαν,
ἀλλὰ χρόνωι ζητοῦντες ἐφευρίσκουσιν ἄμεινον.
„Nicht
von Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles –
aber im Laufe der Zeit entdeckten sie
forschend das Bessere.“
Xenophanes von Kolophon (fr. 18)
Troia und Homer: Zwei
Namen und ein großes Rätsel der Weltgeschichte. In seinem Buch „Troia und
Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels“ führt Joachim Latacz den Leser
ein in die Detektivarbeit der archäologischen und sprachwissenschaftlichen Forschung.
Seine These lautet: Homers Troia ist historisch!
Latacz geht davon
aus, dass die Ilias Homers in der uns vorliegenden Gestalt ein Produkt der
zweiten Hälfte des 8. vorchristlichen Jahrhunderts ist. Die ganze Geschichte
aber um Troia ist bereits in der mykenischen Epoche der griechischen Geschichte
erdacht worden. Der Krieg um Troia musste also, wenn er wirklich stattgefunden
haben sollte, etwa 400 Jahre vor der Abfassung der homerischen Ilias
stattgefunden haben, also nicht im 8., sondern im 12. vorchristlichen Jahrhundert.
Grundlegend für das Verständnis der Ilias ist
„die Einsicht, dass sie nicht den `Krieg um Troia´ erzählt. Troia, die
Landschaft um Troia, die Troás, und der Kampf zwischen den griechischen
Belagerern und den troischen Verteidigern der Stadt ist nur Handlungsraum des
Epos“ (243).
Das eigentliche
Thema des Gedichtes, das in 24 Gesängen und insgesamt 15693 Hexametern erzählt
wird, ist der Konflikt zwischen zwei Adelsherrn, zwischen Agamemnon, dem Oberbefehlshaber
der Angreifer, einerseits und Achilleus aus Phthia in Thessalien, dem Anführer
des militärisch effizientesten Teilkontingents der Allianz, der Myrmidonen,
andererseits.
Dieser Konflikt bricht im zehnten Kriegsjahr
aus, und droht das ganze Unternehmen der Achaier jetzt, nach neun
Belagerungsjahren und nachdem man sich dem Ziele schon ganz nahe fühlt, zum
Scheitern zu bringen.
Achilleus |
In dem Konflikt geht es nicht um „irgendeine Zänkerei“, sondern „es ist ein Grundsatzstreit. Der Streit geht um die Auslegung bis dahin gültiger gesellschaftlicher Werte. Das sind Werte wie Ehre, rang, Einsatzbereitschaft für das Ganze und Führungsstärke. In diesem Grundsatzstreit „kommt es durch emotionale Eskalation zu einer Ehrverletzung und Demütigung des jüngeren der beiden Kontrahenten“ (244)
Achilleus verfällt darauf
in tiefen Groll – und damit beginnt die Ilias:
"Den Groll singe,
Göttin, des Peleiaden Achilleus,
den ganz unsel´gen! –
der zahllose Schmerzen den Achaiern brachte
und viele starke
Leben dem Gott Hades zuwarf – Leben
von Helden! Und sie
selbst zum Fraße wenden ließ für Hunde
und für die Vögel zum
Bankett (Zeus´ Wille war´s, der sich darin erfüllt!)
von dem Moment an, da
zerstritten auseinandertraten
der Atreide, Herr der
Männer, und der göttliche Achilleus!“
Achilleus „sieht
durch die Entehrung seiner Person überpersönliche
Normen außer Kraft gesetzt, und er will diese Normen wiederhergestellt
wissen.“ Er glaubt, dass Agamemnon, die extreme Gefährdung der Allianz vor
Augen, Abbitte leisten wird. Dadurch würde dann nicht nur Achilleus selbst rehabilitiert
sein, sondern auch die Normen würden wieder in ihre alten Rechte eingesetzt
sein.
Letztlich geht
Achilleus´ Kalkül tatsächlich, aber erst, nachdem sowohl beide Kontrahenten als auch „die gesamte
Allianz schwere äußere und innere Verluste hinnehmen mussten, Verluste an Ansehen,
Verluste an Menschen, Verluste auch an Unbefangenheit des Weltverständnisses.“
Die Allianz der
Achaier ist durch „diese Auseinandersetzung zwischen ihren
Führungspersönlichkeiten aus manchen Illusionen über die besondere Qualität von
Spitzenleuten herausgerissen worden, sie ist ernüchtert und bedrückt – und
dadurch geschwächt. Sie wird zwar weiterkämpfen, aber ihre alte Schlagkraft ist
dahin“ (244).
Nicht den Krieg um
Troia will Homer also erzählen, sondern die Ilias soll einen Beitrag leisten
zur Diskussion über die Werteordnung seiner
Zeit. Dazu ein kurzer Blick in die Situation des 8. Jahrhundert:
Frauenkopf aus Mykene |
Nach ihrer Einwanderung
auf der südlichen Balkanhalbinsel hatten die Griechen eine ab dem 17. Jahrhundert v. Chr eine blühende Hochkultur, die mykenische, aufgebaut, hatten aber etwa
1200 den totalen Zusammenbruch dieser Kultur erleben müssen.
Es begann das
sogenannte „Dunkle Zeitalter“ in der Geschichte Griechenlands, das ungefähr 400
Jahre dauerte, aber seit etwa 800 war es soweit.
Das 8. Jahrhundert v. Chr in Griechenland war also eine Zeit des Aufbruchs – des Aufbruchs nach
einer langen Stagnation. „Jetzt knüpften die Griechen intensive neue
Außenkontakte an, übernahmen eine Reihe kultureller Errungenschaften von
Nachbarvölkern und verbesserten sie. Darunter waren, wie wir sahen, das
Alphabet und der Fernhandel zur See. Danach begann die größte Kolonisation der
Weltgeschichte vor Beginn der Neuzeit: Die Griechen gründeten eine gewaltige
Zahl von neuen Städten an sämtlichen Küsten des Mittelmeers“ (246)
Die Führung in diesem
Prozess übernahm eine neue Oberschicht, die sich zu einem Teil noch von den
Resten jener Oberschicht herleitet, die vor
der Katastrophe regiert hatte. „Diese neue Oberschicht des 8. Jahrhunderts,
der neue Adel, war einerseits der Motor der neuen Aufwärtsentwicklung,
andererseits sah er sich aber durch die rasante Entwicklung, die er selbst
vorantrieb, auch gefährdet“ (247).
Karte des Burghügels (Hisarlık) von Troja |
Durch Seefahrt,
Kolonisation, Warenproduktion und Handel kamen neue Schichten auf, die
ebenfalls nach Einfluss strebten und den Adel in seiner Monopolstellung
bedrohten. „Die Folge war eine Verunsicherung des Adels: Wie sollte man auf die
neuen Entwicklungen reagieren? Sollte man die alten Wert-Ordnungen lockern, an
die man unverbrüchlich geglaubt hatte? Sollte man sich anpassen? Sollte man
Werte wie Ehre, Würde, Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit gewissermaßen etwas
`lockerer sehen´ als bisher und sich der neuen Wendigkeit der Zeit anbequemen –
oder sollte alles beim alten verharren? Falls letzteres, dann musste man
zusammenhalten, da durfte keiner ausscheren, da musste die Gemeinschaftsraison
über dem Einzelinteresse stehen!" (ebd.).
Es sind diese
aktuellen Fragen des achten Jahrhunderts, die in der Ilias zur Diskussion
gestellt werden. Homer greift sie auf und macht sie zu seinem Thema:
„Homers
Achilleus-Epos, die später so genannte Ilias, stellt einen Versuch dar, auf die
neue und noch ungeklärte Problematik einer zeitgemäßen Selbstdefinition des
Adels eine Antwort zu geben. Diese Antwort formt sich als Vorführung und
Diskussion verschiedener Reaktionsmöglichkeiten durch den Mund der Hauptfiguren
– Achilleus, Agamemnon, Nestor, Odysseus, Aias, Diomedes und anderer“ (ebd.).
Achilleus und Agamemnon (Römisches Mosaik, Neapel) |
Als Rahmen für seinen
Diskussionsbeitrag wählt Homer die Troia-Geschichte, eine Inszenierung, „die
durch Konfliktzuspitzung jedes Ausweichen vor der Wertedebatte, wie es in der
Realität vermutlich häufig war, unmöglich macht und die Argumente in einer
Klarheit und Kompromisslosigkeit auszuformulieren erlaubt, wie sie sich in der
Zufallskonstellation realer Diskussionen nie ergeben konnte“ (248)
„Homer und seine Adressaten
interessierten sich in erster Linie für die Probleme ihrer eigenen Zeit. Troia und der ganze Krieg um Troia – das war
für den Dichter und sein Publikum nichts anderes als Kulisse – gleichwohl eine
vertraute Kulisse.
Denn Homer rechnet
damit, dass sein Publikum sich im Erzählkomplex der Troia-Geschichte auskennt,
und das dichte Netz von Voraussetzungen, Zusammenhängen und Motiven – die ja
außerhalb der Ilias liegen – auch versteht. So übernahm der Erzähler die
Troia-Geschichte als vorgegebenen Rahmen, in den er seine eigentliche Thematik
hineindichtete. „Das bedeutet aber: Die Troia-Gesamtgeschichte muss in
Griechenland im Zeitpunkt der Entstehung der Ilias bereits sehr alt gewesen
sein“ (265).
Zitate aus: Joachim
Latacz: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels, 6.
Aktualisierte und erweiterte Auflage, Leipzig 2010 (Koehler und Amelang)
Diese Troja-Geschichte wird jede intelligente Generation auf das Neue anregen. Und natürlich hat sie einen historischen Hintergrund, auch wenn er aufgrund der großen zeitlichen Distanz nicht mehr ganz klar herauszuarbeiten ist, bzw. verschiedene Theorien hierzu kursieren. Das ist natürlich archäologische Detektivarbeit. Schon Heinrich Schliemann leistete ja archäologische Detektivarbeit. Wie hätte er sonst diese ganzen Schätze finden können? Ein interessanter Artikel über ein immer interessantes Thema.
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