Vaticanum I (1869-1870) |
Die Antwort der Katholischen Kirche auf die zunehmende
Säkularisierung des Staates und der Gesellschaft im 19. Jahrhundert war die
Hinwendung zu reaktionären Positionen. Das Erste Vatikanische Konzil führte nicht nur harsche Angriffe gegen den Liberalismus den Rationalismus und
die Demokratie, es war jedoch vor allem die Doktrin von der Unfehlbarkeit des
Papstes in innerkirchlichen Angelegenheiten, die schließlich auch Gegenkräfte
hervorrief, die ihr Ziel darin sahen, Katholizismus und modernen säkularen
Staat miteinander zu versöhnen.
Zu diesem Kreis gehörte auch John Emerich Edward Dalberg-Acton, Lord Acton (1834-1902), der in einem Brief an den liberalen Premierminister William eine Eindrücke
und Gedanken zum Konzil - dem Acton übrigens persönlich beiwohnte -
niederschrieb. In einem Brief an den Bischof Mandel Creighton vom April 1887
wird Acton dann seine Prämisse in dem Distum zusammenfassen, das ihn berühmt
gemacht hat: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely“
(„Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut").
Lord Acton (1834-1902) |
Acton ist sich dessen bewusst, dass der Katholizismus, „der
mit den Autoritäten verbunden wird“, und der Katholizismus, „der mit der
Freiheit verbunden wird“, eher selten in einem harmonischen Verhältnis
zueinander standen. „Die Leute sagten, dass wir die Freiheit für uns
reklamierten, wo wir schwach waren, und dass wir sie verweigerten, wo wir stark
waren; dass unsere Liberalität nur provisorisch war – eine Zweckmäßigkeit, die
man annehmen oder abschaffen könne, wie es gerade den Absichten entspräche; dass wir liberal seien, wo es unseren
Interessen nutze, aber illiberal aus Prinzip.“
Einerseits kann Acton nun beobachten, dass „die
althergebrachte Verflechtung des Katholizismus mit den Mächten dieser Welt –
mit Staatspatronage und politischen Privileg mit großer Geschwindigkeit in ganz
Europa [zerbirst]“, andererseits sieht er darin eine überaus positive Entwicklung:
„Es ist besser, wenn die Menschen ihren Begriff vom Katholizismus aus jenen
Ländern gewinnen, in denen die Priester hingebungsvolle Missionare unter den
bescheiden lebenden Armen sind und keine, die die Vorteile einer etablierten
Kirche genießen.“
Natürlich ließe sich der Gegensatz zwischen Kirche und Welt
niemals vollständig überwinden, aber gerade deshalb will Acton deutlich machen,
„dass sich unsere Ansprüche auf Prinzipien gründen, die alle wahren Menschen
anerkennen, dass wir nichts Parteiisches oder Ausgrenzendes erstreben.“
Religionsfreiheit ist kein Gelegenheitsprodukt |
Im Hinblick auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Staat
und Kirche kommt Acton daher zum Schluss, dass die „Freiheit der Religion …
nicht ein Gelegenheitsprodukt flüchtiger Verquickungen …keine bloße
Nützlichkeitserwägung [ist], sondern … einer der Hauptzwecke, derentwillen die
bürgerliche Gesellschaft existiert, weil die Freiheit das Medium religiöser
Wahrheit ist.“
So argumentiert Acton, dass „ein Staat auf die Religion zum
Erhalt der sozialen Tugenden nicht verzichten [kann].“ Vielmehr sei eine
religiöse Unterweisung in den Schulen notwendig, weil „dadurch „sowohl eine
Pflicht gegenüber der Gesellschaft als auch der Kirche erfüllt wird, die keine
andere Maschinerie so leisten könnte.“
Aus diesen gründen ist die Ausbringung des Dekrets zur
Unfehlbarkeit des Papstes in höchstem Maße kontraproduktiv. „Der Papst hat sich
nunmehr mit der extrem ausgerichteten Partei identifiziert. Das Vorrecht der
Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit in allen Moralfragen, das heißt in allen
Gewissensfragen, gibt dem Papst die völlige Kontrolle über das Handeln von
Katholiken in Politik und Gesellschaft.“
Papst Pius IX (1792-1878) |
Weil die Katholiken durch das Dogma nicht nur an den Willen
des gegenwärtigen und der zukünftigen Päpste gebunden werden, sondern auch an
den früherer Päpste, werden sie gezwungen, beispielsweise das System der
Inquisition oder „jegliche andere kriminelle Praxis oder Idee“ früherer Zeiten
zu billigen, „sie müssen mit einem Schlag unversöhnliche Feinde aller
bürgerlichen und religiösen Freiheit werden. Sie müssen sich zu einem falschen
System der Moral bekennen … Sie werden in Schule und Staat zur Gefahr für die
zivilisierte Gesellschaft.“
Auch wenn religiöse Irrtümer eine erstaunliche Lebenskraft
besitzen, Acton ist überzeugt davon, dass sich die göttliche Wahrheit nicht auf
lange Sicht mit dem blasphemischen Irrtum der Irrtumslosigkeit verbinden lässt:
„Ich hoffe es wird uns gelingen, die Kirche vor diesem Unheil zu bewahren. Aber
das Papsttum wird kaum mehr jene Schuld und Sühne abwenden und die moralische
Autorität, die es zuvor genoss, wieder erlangen können.“
Zitate
aus: Detmar Doering: Kleines Lesebuch über Freiheit
und Religion, Argumente der Freiheit, Band 31, FNS Für die Freiheit, Berlin
2013 -
Weitere Literatur: Alexander
Dörrbecker (Hrsg.): Geschichte und Freiheit. Ein Lord-Acton-Brevier, Zürich
2010 (NZZ Libro) - Roland Hill: Lord Acton. Ein Vorkämpfer für
religiöse und politische Freiheit im 19. Jahrhundert, Freiburg 2002 (Herder) - Zur Homepage des Acton Institute for the study of religion and liberty - Die
wichtigsten Schriften Actons finden sich auch in „The Online Library of Liberty“
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