Donnerstag, 29. August 2013

Wesley Charles Salmon und die Schlüssigkeit der Argumente

Philosophie verlangt eine ausgesprochen bescheidene und selbstkritische Haltung, die jede Form von Rechthaberei und Dogmatismus ausschließt.

Wer philosophiert, darf sich nicht nur auf seine eigenen Gedanken verlassen, sondern muss immer wieder das Gespräch und die Diskussion mit anderen suchen und sich mit den Ideen, Argumenten und Theorien anderer Menschen auseinander setzen. 
Der Dialog - Das Wesen der Philosophie
In der Philosophie kommt es in ganz besonderem Maße  darauf an, sich um eine möglichst klare sprachliche Darstellung zu bemühen und eine „logische“, d.h. folgerichtige und widerspruchsfreie Argumentation zu verwenden.

Gerade weil es in der Philosophie so leicht ist, in einen unverständlichen Code zu verfallen, den nicht einmal Eingeweihte verstehen, ist es wichtig, dass sie sich selbst über ihre methodischen Grundlagen Gedanken macht.


Wesley Charles Salmon (1925 – 2001)
In der modernen Philosophie hat sich vor allem Wesley Charles Salmon (1925 – 2001) darum bemüht, zu mehr Klarheit und Präzision des philosophischen Fragens, Denkens und Reden zu gelangen.

In einem seiner bekanntesten Werke, der „Logik“ (1963), versucht Salmon, die Logik als ein Werkzeug der Philosophie zu entwickeln, mit dessen Hilfe man Begriffe und Argumente widerspruchsfrei und eindeutig gebrauchen lernt.

Am Beginn seines Buches erzählt Salmon ein interessantes Beispiel für die Notwendigkeit schlüssige Argumente zu verwenden:

„In einem seiner berühmten Abenteuer bekommt Sherlock Holmes einen alten Filzhut in die Hände. Obwohl Holmes den Eigentümer des Hutes nicht kennt, teilt er Dr. Watson eine Menge Einzelheiten über diesen Mann mit – unter anderem, dass er sehr intelligent ist. Diese Behauptung ist, für sich gesehen unbegründet. Holmes mag Gründe für seine Aussage haben, bisher hat er sie aber nicht angegeben.

Wie gewöhnlich sieht Dr. Watson keinerlei Grund für Holmes´ Behauptung und bittet um eine Erklärung. Als Antwort setzt Holmes den Hut auf. Er reichte ganz über die Stirn und saß auf seiner Nasenwurzel auf. `Es ist eine Frage des Rauminhaltes´, sagte er; `ein Mensch mit einem so großen Gehirn kann nicht dumm sein.´ Jetzt ist die Aussage, dass der Eigentümer des Hutes sehr intelligent ist, keine unbegründete Behauptung mehr. Holmes hat einen Grund angegeben und damit seine Aussage begründet. Sie ist die Konklusion eines Arguments.“

Logik (1963)
Salmon geht davon aus, dass wir Behauptungen so lange als unbegründet ansehen, bis Gründe zu ihrer Stützung angegeben worden sind. Genau damit beschäftigt sich die Logik, denn „ein Argument besteht aus mehr als nur einer Aussage: Es besteht aus einer Konklusion und den Gründen, die zu ihrer Stützung angegeben werden. Solange die Gründe nicht angegeben worden sind, liegt uns kein Argument zur Analyse vor.“

So können wir auch ein Argument so lange nicht beurteilen, bis die Begründung, die einen unverzichtbaren Bestandteil des Arguments bildet, vorgebracht wurde. Dabei ist es relativ unerheblich für die Analyse des Arguments und seiner Qualität und Stichhaltigkeit, von wem die Gründe vorlegt werden, ob von Holmes, Watson oder auch dem Leser. In einer Diskussion wird aber natürlich von demjenigen, der eine Behauptung aufstellt, auch die Begründung eingefordert werden.

Bei der Untersuchung der Argumente, also der Behauptung und ihrer Begründung(en) muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass ein einzelnes Wort verschiedene Bedeutungen haben kann. Dies ist normalerweise nicht weiter schlimm, denn gewöhnlich geht schon aus dem Kontext hervor, welche Bedeutung gemeint ist. So besitzt der Begriff „Masse“ in der Physik und der Soziologie sehr unterschiedliche Bedeutungen, aber diese Mehrdeutigkeit wird nur sehr schwerlich zu Verwechslungen führen.

In anderen Fällen können wir gleichwohl nicht zweifelsfrei feststellen, in welcher Weise das Wort gebraucht wird. In dem Satz „Joachim hat von Andrea einen Korb bekommen“ wird das Wort „Korb“ offensichtlich mehrdeutig und damit missverständlich gebraucht, denn die Aussage, in der es vorkommt, kann auf wenigstens zwei Arten interpretiert werden.

Für Salmon führt die Vielfalt der Bedeutungen immer wieder zu logischen Problemen, „wenn dasselbe Wort in ein und demselben Argument in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird.“ Stattdessen muss darauf geachtet werden, dass die Gültigkeit des Arguments davon abhängt, dass das Wort an jeder Stelle des Arguments denselben Sinn besitzt – zumindest aber, dass bei den diskutierenden Personen ein gleiches Begriffsverständnis vorliegt oder hergestellt wurde. Ansonsten erliege man in solchen Diskussionen dem Fehlschluss der Mehrdeutigkeit.
Die Folgen des Fehlschlusses der Mehrdeutigkeit ... Gegenseitiges Unverständnis 

Um dies zu erläutern gibt Salmon folgendes Beispiel:

„Der normale College-Neuling ist lebhaft an Sport und Alkohol interessiert und den größten Teil seiner Zeit beschäftigt er sich mit Sex. Diese Dinge nehmen ihn ganz in Anspruch, Gedichte zum Beispiel lassen ihn kalt.

Hin und wieder begegnet man jedoch einem Neuling, der vollkommen anders ist. Er verbringt einen großen Teil seiner Zeit mit Lesen und möglicherweise schreibt er Gedichte. Er tut dies, weil es ihm gefällt. Er ist ein anormaler Fall. Häufig hat er einen ungewöhnlich hohen IQ. Er ist nicht an den Dingen interessiert, für die sich die normalen Jungen in seinem Alter interessieren. Von den anderen Jungen ist er abgesondert. Wenn wir auf derartige Jungen stoßen, dann fragen wir uns `Wie kann man ihnen helfen?´ Es muss doch einen Weg geben, um ihnen zu einer normalen Einstellung dem Leben gegenüber zu verhelfen.“

In diesem Beispiel ändert das Wort „normal“ seine Bedeutung. Am Anfang bedeutet „normal“ einfach so viel wie „durchschnittlich“, am Ende aber bedeutet es „gesund“. Während „durchschnittlich“ ein rein statistischer und damit vollkommen wertfreier Ausdruck ist, enthält „gesund“ unter anderem eine Wertung.

Untersuchte man den Beispieltext auf das darin enthaltene – unausgesprochene – Argument, dann köme man zu folgendem Ergebnis (in der Form des logischen Syllogismus):

  • Prämisse 1: Ein College-Neuling, der Gedichte mag, ist ein anormaler Junge.
  • Prämisse 2: Ein anormaler Junge ist zu bedauern.
  • Konklusion: Ein College-Neuling, der Gedichte mag, ist zu bedauern.


Das Problem ist, dass dieses Argument nun eine Mehrdeutigkeit enthält, die auf das Wort „normal“ zurückgeht. Das größere Problem jedoch ist, dass solche Argumente heute immer noch vorgebracht und von vielen geglaubt werden …

Zitate aus: Wesley Charles Salmon: Logik, Stuttgart 1983 (Reclam)

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