Die Freundschaft zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang
von Goethe ist eine Sternstunde des deutschen Geistes: Schiller bringt seine
Dramen mit Goethes Hilfe auf die Bühne. Goethe erlebt durch Schiller in Weimar
seine zweite Jugend. Schiller lernte in der Freundschaft, "dass es dem
Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe", aber auch
Goethe sagte von Schiller, er sei ihm der wichtigste Mensch gewesen. Rüdiger
Safranskis Buch „Geschichte einer Freundschaft“ ist die spannend erzählte
Biographie dieser für die Dichtung in Deutschland so wichtigen Begegnung.
Goethe und Schiller |
Selbstverständlich ist die gemeinsame Geschichte ihrer
Freundschaft nicht frei von Konflikten. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch
angesichts der revolutionären Umwälzungen in Europa.
Für Goethe war das „Schreckliche an der Revolution ... der
soziale Vulkanausbruch.“ Goethe liebte schon in der Natur nicht das
Vulkanische, sondern bekannte sich zum Neptunismus, zur Theorie von der
allmählichen Veränderung der Erdoberfläche durch die Ozeane:
„Alles Plötzliche und Katastrophische war ihm verhaßt, in
der Natur ebenso wie in der Gesellschaft. Das Allmähliche zog ihn an. Er suchte
nach Übergängen, vermied Brüche. Die Evolution war seine Sache, nicht die
Revolution“, schreibt Safranski über Goethe.
Natürlich war Goethe durchaus in der Lage, sich eine sozial
gerechtere Ordnung vorzustellen, aber er wünschte, daß sie durch Reformen von
oben zustande käme, etwa so wie sie der Aristokrat Lothario im achten Buch des
»Wilhelm Meister« durchführt: Befreiung der Bauern von der Erbuntertänigkeit,
gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung der großen Güter.
„Es war nicht allein das Forcierte der Revolution, was ihn
schreckte. Er ahnte, daß von nun an die Massen unwiderruflich die Bühne der
Geschichte betreten haben könnten. Goethe gehörte nicht zu denen, die das
erfreulich fanden. Mit Kant hätte er dies Ereignis als „Ausgang aus der
selbstverschuldeten Unmündigkeit“ interpretieren können.
Aber so sah Goethe die Dinge nicht. Vor allem bezweifelte er,
„daß mit den Massen auch die politische Mündigkeit an die Macht käme. Er sieht
nur das unheilvolle Wirken der Demagogen, Doktrinäre und Dogmatiker, der
`Revolutionsmänner´ wie er sie verächtlich nennt. Sie führen und verführen die
Massen und sind doch nur deren Ausgeburten.“ Im zweiten Teil des Faust heißt es:
Die Menge schwankt im
ungewissen Geist,
Dann strömt sie nach,
wohin der Strom sie
reißt.
Goethe dagegen ist der Auffassung, daß, wenn es um die
Angelegenheit der ganzen Gesellschaft geht, ein das Ganze umgreifendes Denken
erforderlich ist, das Verantwortung übernehmen kann. „Der gewöhnliche Mensch
aber, so Goethe, kann sich zu diesem Gesichtspunkt nicht erheben, und darum
wird er leicht zur Manövriermasse von Agitatoren.“
Wer die Gesellschaft verbessern will, muss bei sich selbst beginnen ... |
Vor allem würde eine allgemeine Politisierung den einzelnen Bürger
in einen Rausch versetzen, bei dem man letztlich glaube, das Ganze beherrschen
zu können, obwohl man sich nicht einmal selbst beherrschen könne.
Man will die Gesellschaft verbessern und weigert sich, mit
der Verbesserung seiner selbst zu beginnen. „Im Rausch der politisierten Masse
enthemmen sich die niederen Instinkte.“
Anschauungsmaterial dafür liefern Goethe
der staatliche Terror, der im Jahr 1793 durch Frankreich tobt, die Massenhinrichtungen,
die Pogrome, die Plünderungen in den besetzten Gebieten – und wo die Revolution
die Köpfe nicht abschlug, reichte ihre Macht immerhin aus, sie zu verwirren.
Zuschlagen muß die
Masse,
Dann ist sie
respektabel,
Urteilen gelingt ihr
miserabel.
„Die Politisierung der Öffentlichkeit nannte Goethe im
harmloseren Fall eine allgemeine Ermunterung zur `Kannegießerei´, insbesondere
ärgerte er sich über die absurde Verkennung der politischen Realitäten in
Deutschland bei den Revolutionsfreunden. Unser Anteil an öffentlichen
Angelegenheiten ist meist nur Philisterei, sagte er.“
Goethe lehnt die Revolution ab, weil die mit ihr verbundene
Politisierung die Menschen in Verhältnisse und Aktivitäten verwickeln, die sie
notorisch überfordern. Sie begünstigen und sind Ausdruck einer fundamentalen
Verwirrung der Maßstäbe:
„Das Nahe und das Ferne werden nicht mehr richtig
unterschieden. Der Lebenskreis, wo man sich auskennt und den man verantworten
kann, wird überschwemmt von Anreizen zum Mitmachen und Mitmeinen, kurz: es
findet ein Mentalitätswechsel statt, für den eine viel spätere Philosophie die
Formel gefunden hat: Keiner ist er selbst und jeder ist wie der andere.
Verwirrung im Großen und Verwahrlosung im Kleinen sind die Folge.
Der Mensch heißt es in `Wilhelm Meisters Lehrjahren´, ist
zu einer beschränkten Lage geboren, einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er
einzusehen, und er gewöhnt sich die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur
Hand sind; sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder was er will, noch was
er soll, und es ist ganz einerlei, ob er durch die Menge der Gegenstände
zerstreut, oder ob er durch die Höhe und Würde derselben außer sich gesetzt
werde. Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu
streben, mit dem er sich durch eine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden
kann.“
Erwachsene Gestaltung der Persönlichkeit statt aufgeregte Leidenschaft |
Gegen die politische Leidenschaft der `Aufgeregten´ setzt
Goethe die aus der Kraft der Begrenzung erwachsene Gestaltung der individuellen
Persönlichkeit. Da wir das Ganze nicht umfassen können und das Ferne uns
zerstreut, so bildet der Einzelne sich zu etwas Ganzem aus – das ist Goethes
Maxime, die einige Jahre später im `West-östlichen Divan´ so formuliert wird:
Höchstes Glück der
Erdenkinder
Sei nur die
Persönlichkeit.
In diesem fast trotzigen Persönlichkeitsideal steckt auch
jene glänzende Ignoranz im Dienste des Lebens, die Nietzsche an Goethe rühmen
wird. Bei Goethe ist sie jedoch weiträumig, aber lebensklug nimmt er doch nur
soviel Welt auf, wie er sich anverwandeln kann. Auch darin war er ein Meister:
rigoros alles abzuwehren, was ihn nicht, wie er zu sagen
pflegte, fördern konnte. „Bekanntlich blieb Goethes Welt und Leben
geräumig genug, auch trotz der entschiedenen Gesten der Abwehr und Abgrenzung.“
Zitate aus: Rüdiger Safranski: Goethe und
Schiller. Geschichte einer Freundschaft, München 2009 (Hanser)
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