Donnerstag, 3. Dezember 2015

Kant und der Glaube

Kants Religionsschrift
(1795)
Etwa um das Jahr 1792 beginnt Kant die natürliche Religion und den christlichen Glauben „vor dem Gerichtshof der praktischen Vernunft zu verhandeln.“ In kurzer Folge erscheinen „Über das radikal Böse in der menschlichen Natur“ und, ein Jahr später, „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.“

Es ist vielfach behauptet worden, dass Kants Religionsschrift ein Höhepunkt der europäischen Aufklärung ist. Das ist richtig: „Keine andere Schrift zeigt so deutlich, worin ihr kritisches Geschäft besteht. Mit seiner geistigen Kraft, seiner moralischen Gesinnung und seinem sokratisch geschulten Agnostizismus, dass Gottes Existenz weder zu beweisen noch zu widerlegen ist, wendet sich Kant der christlichen Glaubenslehre zu.“

Dabei bedient sich Kant jenes Bildes der Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit, das ihm bereits in der Auseinandersetzung mit dem Geisterseher Swedenborg und in der Kritik der reinen Vernunft zur Klärung des Verstandesgebrauchs gedient hat.“

Nun will er die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft philosophisch untersuchen. Dabei geht es ihm nicht darum, die Religion „aus bloßer Vernunft (also ohne Offenbarung)“ abzuleiten. Kant will lediglich das deutlich machen und philosophisch prüfen, „was im Text der für geoffenbart geglaubten Religion, der Bibel, auch durch bloße Vernunft erkannt werden kann.“

Und genau das ist die „revolutionäre Kehre, die den religionskritischen Diskurs der Moderne einleitet und gegen jeden denkbaren Fundamentalismus profiliert. Die Heilige Schrift ist kein göttliches Dogma, dem man bedingungslos zu folgen hat. Sie ist ein Text, der an den Maßstäben der theoretischen und praktischen Vernunft gemessen werden kann.“

Auch die Heilige Schrift muss sich an den Maßstäben
der theoretischen und praktischen Vernunft messen lassen!

Vor diesem Hintergrund analysiert Kant die theologischen Pfeiler wie die Lehre von der Erbsünde und die Erlösungsvorstellungen im Christentum. Er untersucht weiterhin die Kirche als Glaubensinstitution und schließlich die religiösen Rituale (wie Beten, Kirchgang, Opfern, Kasteien, Wallfahrten), „die er mit dem provokanten, gesperrt gedruckten Grundsatz in ihre Grenzen weist: „Alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.“

„Wo nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche des Glaubens ausmachen“, dort ist der Pfarrdienst ebenfalls nur ein „Fetischdienst.“

Kant lässt keinen Zweifel daran, dass seine kritischen Religionsphilosophie und Moraltheologie im Dienst der Aufklärung steht: In der Vorrede zur Ersten Auflage der „Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft“ plädiert er noch einmal entschieden für den öffentlichen Vernunftgebrauch: „Der Geistliche, der für das Seelenheil seiner Gemeindemitglieder zu sorgen hat, unterliegt zwar kirchlichen Vorschriften, die er nicht verletzen darf. Aber als Gelehrter und philosophierender Theologe, der vor einem Publikum von seinem wissenschaftlich geschulten Verstand öffentlichen Gebrauch macht, muss er volle Freiheit haben. Die Zensur darf keine Zerstörung auf dem Feld der Wissenschaften anrichten.“

Hier taucht wieder der zentrale Gedanke Kants auf, dass nämlich die Moralität der Theologie vorangehen muss. Erst auf der Grundlage der Moral kann sich dann der Glaube entwickeln, „der erst so zu einer echten Religiosität führt, die nicht im ritualisierten Afterdienst erstarrt.“

Der Glauben muss auf der Moralität gründen!
(Marx Chagall: Hiob in der Verzweiflung)
An dieser Stelle findet sich Kants revolutionärer Schiedsspruch zum Hiob-Problem: „Mit dieser Gesinnung bewies er, dass er nicht seine Moralität auf dem Glauben, sondern den Glauben auf die Moralität gründete: in welchem Falle dieser, so schwach er auch sein mag, doch allein lauter und echter Art, d. i. von derjenigen Art ist, welche eine Religion, nicht der Gunstbewerbung, sondern des guten Lebenswandels, gründet.“

Wenn dagegen die Religion der Moral vorhergeht, wird sie immer nur eine herrschaftliche Position einnehmen und als ein Instrument der Staatsgewalt unter Glaubensdespoten instrumentalisiert werden.

Die Reaktion des Staates ließ nicht lange auf sich warten. Vielleicht hat der 70-jährige Kant den Konflikt mit der Zensur auch bewusst provoziert. „Schon seit einiger Zeit ist ihm bewusst gewesen, dass das Berliner Religionstribunal gegen seine Lehre alle Mittel einzusetzen bereit ist und ihm sogar das öffentliche Schreiben verboten werden soll. Auch der König höchstpersönlich ist daran interessiert, dass dem Treiben des Königsberger Philosophen ein Ende bereitet wird.

Einen letzten Anlass bietet Kants Aufsatz “Das Ende aller Dinge“, der im Juni 1794 in der Berlinischen Monatsschrift erscheint. Nachdem Kant zunächst dogmatische und mystische Lehren von den „letzten Dingen“ wie Ewigkeit, Weltende, Jüngstes Gericht und ewige Ruhe ironisch aufgeklärt hat, „wendet er sich am Schluss gegen die Torheiten des neuen religionspolitischen Kurses. Wenn durch Autorität und Gebote das Christentum als Volksreligion durchgesetzt wird, dann muss es seine „moralische Liebenswürdigkeit“ endgültig verlieren.

Das Preussische Zensuredikt
(1788)
Die Zensurbehörde handelt unverzüglich: Am 1. Oktober ergeht eine Kabinettsorder in Form eines „Königlichen Reskripts“ an Kant, das ihm am 12. Oktober zugestellt wird. Kant darf sich in Zukunft nichts mehr in Religionsdingen zu Schulden kommen lassen. Der König habe schon seit einiger Zeit mit großem Missfallen beobachtet, wie Kant seine Philosophie „zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christentums missbraucht“. Das sei unverantwortlich und „gegen Unsere, Euch sehr wohl bekannte, landesväterlichen Absichten“ gehandelt. Nach dieser Ermahnung folgt dann die unverhohlene Drohung: „Wir verlangen des ehsten Eure gewissenhafteste Verantwortung, und gewärtigen Uns von Euch, bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, daß Ihr Euch künftighin nichts dergleichen werdet zu Schulden kommen lassen, sondern vielmehr, Eurer Pflicht gemäß, Euer Ansehen und Eure Talente dazu anwenden, daß Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde; widrigenfalls Ihr Euch, bei fortgesetzter Renitenz, unfehlbar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt. Sind Euch mit Gnade gewogen.“

In seinem Antwortschreiben, das er vier Jahre später in der Vorrede zum „Streit der Fakultäten“ öffentlich machen wird, setzt sich Kant selbstbewusst gegen die königliche Order zur Wehr. Er ist absolut nicht dazu bereit, die Maxime der Aufklärung aufzugeben. Als Gelehrter unterwirft er sich allein den Regeln der wissenschaftlichen Vernunft.

Nur ihnen ist er bei seiner kritischen Überprüfung der Religion gefolgt. Er hat durchaus „große Hochachtung für die biblische Glaubenslehre im Christentum“, aber nur, sofern diese Lehre mit dem reinsten moralischen Vernunftglauben zusammenstimmt und so „zur Gründung und Erhaltung einer wahrhaftig seelenbessernden Landesreligion“ taugt.

Für Kant ist bewiesen, dass Offenbarungen und historisch überlieferte Beweisgründe nur "zufällig" sind und für eine aufrichtige und ernsthafte Religiosität nicht wesentlich. „Denn nur aus der praktischen Vernunft und ihren sittlichen Maximen kann Allgemeinheit, Einheit und Notwendigkeit der Glaubenslehre hervorgehen, „die das Wesentliche einer Religion überhaupt ausmachen, welches im Moralisch-Praktischen (dem, was wir tun sollen) besteht.“

Die Religion vor dem Gerichtshof
der Vernunft verhandeln ...
So schreibt Kant in aller Klarheit: „Allein das selbst gemachte moralische Gesetz in mir ist die Quelle eines Glaubens, der nur aus ihr seine Kraft und Würde beziehen kann.“ So weist der den königlich-ministeriellen Vorwurf, verantwortungslos gehandelt zu haben, mit dem leicht ironischen Hinweis zurück, „weshalb ich auch jetzt in meinem 71sten Lebensjahre, wo der Gedanke leicht aufsteigt, es könne wohl sein, daß ich für alles dieses in kurzem einem Weltrichter als Herzenskündiger Rechenschaft geben müsse, die gegenwärtige, mir wegen meiner Lehre abgeforderte, Verantwortung, als mit völliger Gewissenhaftigkeit abgefaßt freimütig einreichen kann.“


Wir können uns vorstellen, dass Kant der Begegnung mit Gott in dieser Hinsicht gelassen entgegen sah. Allerdings sollte es noch einige Jahre dauern, bis der Höchste Gelegenheit haben sollte, sich von Angesicht zu Angesicht mit Kant über das Verhältnis von Glaube und Moral auseinanderzusetzen.

Zitate aus: Manfred Geier: Kants Welt. Eine Biographie, Hamburg 2004 (Rowohlt)

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