Foto: Mariusz Kubik |
„In der Regel streben Kulturen
nach Hegemonie – nach dem Monopol über die Normen und Werte, auf denen ihre
jeweiligen Ordnungen errichtet sind.
Kulturen zielen auf Uniformität in
dem Bereich, der ihrer Hegemonie unterworfen ist, während sie zugleich eine
scharfe Trennung zwischen diesem Bereich und dem Rest der Welt vornehmen.
Insofern sie einer Wahl vor allen anderen den Vorzug geben, sind sie inhärent
gegen eine Gleichberechtigung der Lebensformen.“
Mit diesen Worten fasst der
polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Baumann das heutige
dominierende Alltagsverständnis von "Kultur" zusammen. Seine
Bemerkungen enthalten einige wichtige Hinweise zur Frage der
Ungleichbewertung von Menschen.
Ungleichbewertungen von Menschen und
Menschengruppen funktionieren auf der Grundlage zugeschriebener Merkmale, die
als Festlegungen dieser Menschen und dieser Menschengruppen auf diese Merkmale
begriffen werden.
Diese Festlegungen erfolgen heutzutage meist über den Begriff der Kultur, wobei dieser Begriff dehnbar genug ist,
um auf alle denkbaren ethnischen, sozialen, geschlechtlichen und anderen
Unterschiede angewendet zu werden. Die über den Kulturbegriff laufenden Festlegungen, die zu Ungleichbewertungen von Menschen oder Menschengruppen führen, nennt Baumann "Kulturalisierung".
Der Kulturalisierung entspricht
ein Menschenbild, nach dem jeder Mensch mehr oder weniger unentrinnbar auf
jeweils eine bestimmte „Kultur“ festgelegt sei, die seine „Identität“ ausmache.
Dies führt dazu, dass andere Unterschiede zwischen Individuen in den
Hintergrund geraten.
Es ist erstaunlich, dass Kulturalisierung in aller Regel übersieht, dass gerade sie durch das erwähnte
Alltagsverständnis von „Kultur“ angeleitet und gesteuert werden. Anstatt "Kultur als Vergleichstechnik" zu begreifen, ist dieses Alltagsverständnis
in einer identitären Logik gefangen, der es vor allem darum geht, eine scharfe Trennlinie
zwischen der eigenen „Kultur“ und dem „Rest der Welt“ zu markieren.
Unweigerlich verloren geht auf diese Weise das "Faktum menschlicher
Pluralität" (Hannah Arendt), die sich auf zweierlei Weise manifestiert, als
Verschiedenheit bzw. Besonderheit und als Gleichheit.
Die Konsequenz ist, dass eine
Kulturalisierung die alltägliche Normalität des Zusammenlebens
unterschiedlicher Menschen und ihrer Lebensstile als einen permanenten
„Kulturkonflikt“ interpretiert. In der Folge ist es dann kaum noch möglich, das
gesellschaftlich Normale als das eigentlich Normale zu thematisieren. Rechtliche, soziale
und ökonomische Unterschiede werden dabei tendenziell ebenso vernachlässigt wie die
Frage der vorhandenen Strukturen von Macht und Einfluss in der Gesellschaft.
Kulturalisierende Beschreibungen
menschlichen Zusammenlebens laufen darauf hinaus, „Gesellschaft“ auf das Bild
eines Flickenteppichs gegeneinander abgegrenzter kultureller Identitäten zu
reduzieren. Auch die gegenwärtige Diskussion über die Gestaltung eines interkulturell
kompetenten Zusammenlebens ist häufig von einer derartig kulturalisierenden Gesellschaftstheorie
geprägt.
Daher rückt die Frage nach
zivilgesellschaftlichen Ansätzen, auf deren Grundlage das Zusammenleben der
verschiedenen menschlichen Lebensformen politisch geregelt werden kann, in den
Mittelpunkt der Bestimmung von Interkultureller Kompetenz.
Zitate aus: Zygmunt Baumann, „Natur und Kultur“; in: Ders.:Vom Nutzen der Soziologie, Frankfurt am Main 2000 (Suhrkamp), 198-222
Weitere Literatur: Hannah Arendt:
Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (Piper) -- Jan Bernert / Dr.
Matthias Lange: Interkulturelle Kompetenz in Kommunalverwaltung und
Gemeinwesenarbeit am Beispiel der Stadt Göttingen, in: In der Diskussion -
Integration in Städten und Gemeinden. Reihe „Integration Konkret“, Bd. 9, hg.
von der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Berlin/Bonn,
2000, S. 23-40
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen