Brecht (1954) |
Im Jahre
1930 erscheint das Lehrstück „Die Maßnahme“ von Bertholt Brecht. Darin treten
vier kommunistische Agitatoren vor das Parteigericht (den
"Kontrollchor"), um sich für die Ermorderung ihres jüngsten Genossen zu rechtfertigen.
Ihre Mission hatte darin bestanden, in China Propaganda zu betreiben:
„In der
Stadt Mukden halfen wir den chinesischen Genossen und trieben Propaganda unter
den Arbeitern. Wir hatten kein Brot für den Hungrigen, sondern nur Wissen für
den Unwissenden, darum sprachen wir von dem Urgrund des Elends, merzten das
Elend nicht aus, sondern sprachen von der Ausmerzung des Urgrunds.“ (259)
Sie
gewinnen schnell Anhänger unter den chinesischen Arbeitern. Der junge Genosse ist
jedoch nicht in der Lage, sich im Sinne der Revolution taktisch richtig zu
verhalten, sondern zeigt immer wieder Mitleid:
„Hört,
was ich sage: mit meinen
zwei Augen sehe ich, dass das Elend nicht warten kann. Darum widersetze ich
mich eurem Beschluß zu warten.“ (265)
Weil er
dadurch die Arbeit der Gruppe gefährdet, beschließen die Agitatoren, den jungen
Genossen zu ermorden, um nicht selbst von den Chinesen getötet zu werden.
„Also
beschlossen wir: jetzt
abzuschneiden
den eigenen Fuß vom Körper.
Furchtbar
ist es, zu töten.
Aber
nicht andere nur, auch uns töten wir,
wenn es
nottut
Da doch
nur mit Gewalt diese tötende
Welt zu
ändern ist, wie
jeder
Lebende weiß.
Noch ist
es uns, sagten wir
nicht
vergönnt, nicht zu töten. Einzig mit dem
unbeugbaren
Willen, die Welt zu verändern begründeten wir
die
Maßnahme.“ (267)
Daraufhin
setzen sie erfolgreich ihre Arbeit fort. Zurück in Russland müssen sie sich vor
einem Parteigericht für die Tötung des jungen Genossen verantworten, werden
aber freigesprochen:
„Welche
Niedrigkeit begingst du nicht, um
die
Niedrigkeit auszutilgen?
Könntest
du die Welt endlich verändern, wofür
wärest du
dir zu gut?
Wer bist
du?
Versinke
in Schmutz
Umarme
den Schlächter, aber
ändere
die Welt: sie braucht es!“ (263f)
In diesem
Stück Bertolt Brechts geht es letztlich um die Tatsache, dass eine
revolutionäre und utopische Politik notwendig
moralische Grundsätze verletzen muss, um Ausbeutung und Unterdrückung wirksam
zu bekämpfen. Viele sahen in „Der Maßnahme“ daher auch eine Rechtfertigung
der stalinistischen „Säuberungen“ in der Sowjetunion.
In jedem Fall offenbart sich im Stück von Brecht eine Gesinnung,
die Popper zu seinem Werk "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde"
veranlasste und in dem er die utopische Technik der Planung und des
Umbaus der Gesellschaftsordnung einer fundamentalen Kritik unterzog.
Die
utopische Technik ist zunächst deshalb so gefährlich, weil sie jenen
Historizismus beinhaltet, nach dem sich jede praktische politische Handlung ausschließlich an einem – bereits
endgültig definierten - historischen
Endziel ausrichten muss.
Das
Problem dabei ist, dass es unendlich schwierig ist, über einen in der fernen
Zukunft liegenden Idealstaat zu reden. „Das soziale Leben ist so kompliziert,
dass wahrscheinlich überhaupt niemand fähig ist, den Wert eines Bauplans für
soziale Maßnahmen im großen Maßstab richtig einzuschätzen; ob er praktisch ist;
ob er zu einer wirklichen Verbesserung führt; welche Leiden aller
Wahrscheinlichkeit nach mit verbunden sind.“ (189).
Popper
hält dagegen, das dass „jede Generation, also auch die jetzt lebende, ihre
berechtigten Ansprüche hat … Den Leidenden steht ein Recht auf alle nur
erdenkliche Hilfe zu.“ (188)
Anstatt
zu versuchen, die dringlichsten Übel in der Gesellschaft auszumachen und sie zu
beseitigen - „Mit meinen zwei Augen sehe
ich, dass das Elend nicht warten kann“, sagt der Genosse -, verschiebt der
utopische Sozialtechniker das notwendige Handeln auf einen späteren Zeitpunkt.
Weiter
verlangt der utopische Versuch der Verwirklichung eines idealen Staates „eine
streng zentralisierte Herrschaft einiger weniger; und er führt daher mit aller
Wahrscheinlichkeit nach zu einer Diktatur.“ (190) Die komplette Um- und
Neugestaltung einer Gesellschaftsordnung wird vielen Menschen über eine sehr
lange Zeit nicht nur Unannehmlichkeiten, sondern wirkliches Leiden bereiten
wird. Der utopische Sozialtechniker wird seine Ohren gegen Klagen verschließen
müssen, er wird aber auch vernünftige Einwände unterdrücken: „Er wird
wie Lenin sagen: ‚Man kann kein Omlett machen, ohne Eier zu zerbrechen.’“
Dazu noch
einmal das Zitat aus „Der Maßnahme“:
„Furchtbar
ist es, zu töten.
Aber
nicht andere nur, auch uns töten wir,
wenn es
nottut
Da doch
nur mit Gewalt diese tötende
Welt zu
ändern ist, wie
Jeder
Lebende weiß.“
Für
Popper ist die utopischen Sozialtechnik der Versuch, jegliche Vernunft in der Politik über Bord zu werfen. Das vorrangige Ziel, Ungerechtigkeit systematisch zu bekämpfen, wird
„durch eine verzweifelte Hoffnung auf politische Wunder“ (200) ersetzt. In
dieser irrationalen Einstellung, „die sich an Träumen von einer schönen Welt berauscht“,
zeigt sich ein Romantizismus, der einen himmlischen Staat in der Vergangenheit
oder in der Zukunft suchen mag, der sich dabei aber immer an unsere Gefühle,
niemals an die Vernunft wendet.
Es ist eben
diese Gesinnung - die auch in dem Stück Bertolt Brechts deutlich wird -, die
auch mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten unweigerlich dazu
führt, "diese Welt in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die
Menschen für ihre Mitmenschen bereiten.“ (200)
Alle
Zitate aus: Bertolt Brecht: Die Stücke in einem Band, Frankfurt am Mein 1982
(Suhrkamp) --- Karl Raimund Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde,
Tübingen 1992 (Mohr / Siebeck) --- Eine utopiefreundliche Position vertritt Oskar Negt im Philosophischen Radio (WDR 5) vom 22.03.2013
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