Donnerstag, 3. November 2011

The Federalist und der Pluralismus

Die 85 "Federalist"-Artikel von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay bilden einen Höhepunkt in der politischen Theorie der Aufklärung.

Ursprünglich anonym veröffentlicht, erschienen die Artikel von Oktober 1787 bis Mai 1788 in verschiedenen New Yorker Zeitungen und erklärten den Lesern den heftig kritisierten Entwurf der ersten Bundesverfassung der Vereinigten Staaten und forderten zugleich seine Ratifizierung.

Der 10. Artikel behandelt die schwierige Frage, wie der Staat auf die verschiedenen und unvermeidbaren Partikularinteressen in der Bevölkerung reagieren soll. Anstatt nun einfach Tugendhaftigkeit zu postulieren, ist es nach Meinung der Federalist eher sinnvoll, zunächst einmal nüchtern die menschliche Natur mit all ihren Schwächen zu akzeptieren:

„Die Vielfalt der menschlichen Fähigkeiten … bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Gleichheit der Interessen. (…) Die latenten Ursachen für Faktionen sind also in der menschlichen Natur angelegt, und sie werden den jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen entsprechend unterschiedlich stark aktiviert.“ (52)

Viele der Interessen mögen zwar mit der ungleichen Eigentumsverteilung verknüpft sein, aber längst nicht alle Interessen sind ökonomischer Natur. Letztlich wird jede Art von Partikularinteresse von einer Gruppe definiert, „die durch den gemeinsamen Impuls einer Leidenschaft oder eines Interesses vereint und zum Handeln motiviert ist, welcher im Widerspruch zu den Rechten anderer Bürger oder dem permanenten und gemeinsamen Interesse der Gemeinschaft steht.“ (51)

Entscheidend ist nun, dass die staatliche Gewalt den Interessenpluralismus nicht verteufelt oder versucht ihn aus der Welt zu schaffen:

„Zur Beseitigung der Ursachen von Faktionen gibt es zwei Methoden: erstens, die Freiheit zu zerstören, die für ihre Existenz lebensnotwendig ist; zweitens, alle Bürger mit den gleichen Meinungen, den gleichen Leidenschaften und den selben Interessen zu versehen.“ (51)

Für die Federalist sind diese Heilmittel allerdings noch schlimmer als die Krankheit - und zudem unklug. Es wäre völlig unsinnig, die Freiheit abzuschaffen, die für das politische Leben unerlässlich ist, nur weil sie auch Faktionen fördert. Solange der Mensch von seiner Freiheit und seiner – fehlbaren – Vernunft Gebrauch macht, wird es unterschiedliche Meinungen geben.

So hat der Staat die Pflicht, die Unterschiedlichkeit der Menschen, ihrer Fähigkeiten und Interessen, nicht nur nicht zu beseitigen, sondern vor allem zu schützen.

Es kommt weiter darauf an, die Vielzahl der konkurrierenden Ansprüche der Bürger nicht blind zu erfüllen, sondern durch Gesetze zu „regulieren“:

„Diese vielfältigen und widersprüchlichen Interessen zu regulieren, ist die vordringliche Aufgabe moderner Gesetzgebung, die auch Parteigeist und Interessengegensätze in die nötigen und normalen Funktionen eines Regierungssystems einbeziehen muss.“ (53)

Damit ist der Grundgedanke des modernen politischen Liberalismus ausgesprochen. Ihr Kern ist die Idee einer begrenzten Regierungsgewalt, deren Ausübung allein legitimiert wird durch den Schutz der Regierten, ihres Lebens, ihres Besitzes, ihrer Freiheit und ihrer anderen Grundrechte.

Dieser Gedanke wurde bis heute bedauerlicherweise von zu wenigen Regierungen zu selten erfüllt.

Alle Zitate aus: Alexander Hamilton, James Madison, John Jay: Die Federalist-Artikel, hg. Von Angela Adams und Willi Paul Adams, Paderborn 1994 (Ferndinand Schöningh)






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