Die 85
"Federalist"-Artikel von Alexander Hamilton, James Madison und John
Jay bilden einen Höhepunkt in der politischen Theorie der Aufklärung.
Ursprünglich anonym
veröffentlicht, erschienen die Artikel von Oktober 1787 bis Mai 1788 in verschiedenen
New Yorker Zeitungen und erklärten den Lesern den heftig kritisierten Entwurf
der ersten Bundesverfassung der Vereinigten Staaten und forderten zugleich
seine Ratifizierung.
Der 10. Artikel behandelt die
schwierige Frage, wie der Staat auf die verschiedenen und unvermeidbaren
Partikularinteressen in der Bevölkerung reagieren soll. Anstatt nun einfach
Tugendhaftigkeit zu postulieren, ist es nach Meinung der Federalist eher
sinnvoll, zunächst einmal nüchtern die menschliche Natur mit all ihren Schwächen
zu akzeptieren:
„Die Vielfalt der menschlichen
Fähigkeiten … bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Gleichheit der
Interessen. (…) Die latenten Ursachen für Faktionen sind also in der
menschlichen Natur angelegt, und sie werden den jeweils unterschiedlichen
gesellschaftlichen Bedingungen entsprechend unterschiedlich stark aktiviert.“
(52)
Viele der Interessen mögen zwar
mit der ungleichen Eigentumsverteilung verknüpft sein, aber längst nicht alle
Interessen sind ökonomischer Natur. Letztlich wird jede Art von
Partikularinteresse von einer Gruppe definiert, „die durch den gemeinsamen
Impuls einer Leidenschaft oder eines Interesses vereint und zum Handeln
motiviert ist, welcher im Widerspruch zu den Rechten anderer Bürger oder dem
permanenten und gemeinsamen Interesse der Gemeinschaft steht.“ (51)
Entscheidend ist nun, dass die
staatliche Gewalt den Interessenpluralismus nicht verteufelt oder versucht ihn
aus der Welt zu schaffen:
„Zur Beseitigung der Ursachen von
Faktionen gibt es zwei Methoden: erstens, die Freiheit zu zerstören, die für
ihre Existenz lebensnotwendig ist; zweitens, alle Bürger mit den gleichen
Meinungen, den gleichen Leidenschaften und den selben Interessen zu versehen.“
(51)
Für die Federalist sind diese
Heilmittel allerdings noch schlimmer als die Krankheit - und zudem unklug. Es
wäre völlig unsinnig, die Freiheit abzuschaffen, die für das politische Leben
unerlässlich ist, nur weil sie auch Faktionen fördert. Solange der Mensch von
seiner Freiheit und seiner – fehlbaren – Vernunft Gebrauch macht, wird es
unterschiedliche Meinungen geben.
So hat der Staat die Pflicht, die
Unterschiedlichkeit der Menschen, ihrer Fähigkeiten und Interessen, nicht nur
nicht zu beseitigen, sondern vor allem zu schützen.
Es kommt weiter darauf an, die
Vielzahl der konkurrierenden Ansprüche der Bürger nicht blind zu erfüllen,
sondern durch Gesetze zu „regulieren“:
„Diese vielfältigen und
widersprüchlichen Interessen zu regulieren, ist die vordringliche Aufgabe
moderner Gesetzgebung, die auch Parteigeist und Interessengegensätze in die
nötigen und normalen Funktionen eines Regierungssystems einbeziehen muss.“ (53)
Damit ist der Grundgedanke des
modernen politischen Liberalismus ausgesprochen. Ihr Kern ist die Idee einer
begrenzten Regierungsgewalt, deren Ausübung allein legitimiert wird durch den
Schutz der Regierten, ihres Lebens, ihres Besitzes, ihrer Freiheit und ihrer
anderen Grundrechte.
Dieser Gedanke wurde bis heute
bedauerlicherweise von zu wenigen Regierungen zu selten erfüllt.
Alle
Zitate aus: Alexander Hamilton, James Madison, John Jay: Die
Federalist-Artikel, hg. Von Angela Adams und Willi Paul Adams, Paderborn 1994
(Ferndinand Schöningh)
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