Donnerstag, 24. April 2014

Kritias und die Erfindung der Götter

„Die Idee des Fortschritts entspringt 
dem Phänomen des Fortschritts.“ 
Alexander Demandt


Prometheus
Die antiken Mythen lassen keinen Zweifel daran, dass der Mensch seine Kultur nicht immer besessen hatte. Der wohl berühmteste Kulturheros der Antike ist Prometheus. Er hatte den Menschen nicht nur selbst aus Lehm erschaffen, er gab ihm auch verschiedene positive und negative Eigenschaften der Tiere. Schließlich rief er die Göttin Athene und bat sie, dem Menschen ihren göttlichen Atem der Weisheit einzuhauchen. So wurde der Mensch schließlich lebendig.

Bei Aischylos rühmt sich Prometheus, neben dem Feuer auch noch weitere Kulturtechniken (griech. technē) zu den Menschen gebracht zu haben:

„Sie wohnten tief vergraben gleich den winzigen
Ameisen in der Höhlen sonnenlosem Raum;
Von keinem Merkmal wußten sie für Winters Nahn
Noch für den blumenduftgen Frühling, für den Herbst,
Den erntereichen; sonder Einsicht griffen sie
Alljedes Ding an, bis ich ihnen deutete
Der Sterne Aufgang und verhülltren Niedergang;
Die Zahlen, aller Wissenschaften trefflichste,
Der Schrift Gebrauch erfand ich und die Erinnerung,
Die sagenkundige Amme aller Musenkunst.
Dann spannt ins Zugjoch ich zum erstenmal den Ur,
Des Pfluges Sklaven; und damit dem Menschenleib
Die allzugroße Bürde abgenommen sei,
Schirrt ich das zügelstolze Roß dem Wagen vor,
Des mehr denn reichen Prunkes Kleinod und Gepräng.
Und auch das meerdurchfliegend lein'geflügelte
Fahrzeug des Schiffers ward von niemand ehr erbaut.
So mir zum Elend vieles Rates vielgewandt
Den Menschen, bin ich alles Rates bar und bloß,
Mir jetzt zu lösen dieser Qual schmachvolles Los.“

Neben den Göttern und Helden erscheint aber um das 5. Jahrhundert v. Chr. zunehmend auch der handelnde Mensch als der eigentliche Stifter der Zivilisation und Motor des Fortschritts.

Kritias
Die Ablösung der Götter wurde schließlich in der Sophistik vollendet. Nun wurden die Götter selbst als Erfindung der Menschen betrachtet. Das klassische Zeugnis dafür ist das große Fragment von Kritias – dem skrupellosen oligarchischen Führer, einem der dreißig Tyrannen und zudem Oheim Platons – aus seinem Theaterstück „Sisyphos“:

„Es gab einmal eine Zeit, da war das Leben der Menschen jeder Ordnung bar, ähnlich dem der Raubtiere, und es herrschte die rohe Gewalt. Damals wurden die Guten nicht belohnt und die Bösen nicht bestraft.

Und da scheinen mir die Menschen sich Gesetze als Zuchtmeister gegeben zu haben, auf dass das Recht in gleicher Weise über alle herrsche und den Frevel niederhalte. Wenn jemand ein Verbrechen beging, so wurde er nun gestraft.

Als so die Gesetze hinderten, dass man offen Gewalt verübte, und daher nur insgeheim gefrevelt wurde, da scheint mir zuerst ein schlauer und kluger Kopf die Furcht vor den Göttern für die Menschen erfunden zu haben, damit die Übertäter sich fürchteten, auch wenn sie insgeheim etwas Böses töten oder sagten oder (auch nur) dächten. –

Dike (Gerechtigkeit) bestraft Adikia (Ungerechtigkeit)
Er führte daher diesen Gottesglauben ein: Es gibt einen Gott, der ewig lebt, voll Kraft, der mit dem Geiste sieht und hört und übermenschliche Einsicht hat; der hat eine göttliche Natur und achtet auf dies alles. Der hört alles, was unter den Menschen gesprochen wird und alles, was sie tun, kann er sehen. Und wenn du schweigend etwas Schlimmes sinnst, so bleibt es doch den Göttern nicht verborgen. Denn sie besitzen eine übermenschliche Erkenntnis. –

Mit solchen Reden führte er die schlauste aller Lehren ein, indem er die Wahrheit mit trügerischem Worte verhüllte. Die Götter, sagte er, wohnen dort, wo es die Menschen am meisten erschrecken musste, von wo, wie er wusste, die Angst zu den Menschen herniederkommt wie auch der Segen für ihr armseliges Leben: aus der Höhe da droben, wo er die Blitze zucken sah und des Donners grausiges Krachen hörte, da, wo des Himmels gestirntes Gewölbe ist, das herrliche Kunstwerk der Zeit, der klugen Künstlerin, von wo der strahlende Ball des Tagesgestirns seinen Weg nimmt und feuchtes Nass zur Erde herniederströmt.

Mit Ängsten solcher Art schreckte er die Menschen und wies so passend und wohlbedacht der Gottheit an geziemender Stätte ihren Wohnsitz an und tilgte den ungesetzlichen Sinn durch die Gesetze.

So habe jemand zuerst die Menschen glauben gemacht, dass es ein Geschlecht von Göttern gibt.“ (Capelle, Kritias, 1 fr. 25)

Die eigentliche Bedeutung des Fragmentes aber liegt darin, dass sich in ihm allmählich ein historisches Bewusstsein manifestiert. Die Vermehrung und Verbesserung der menschlichen Errungenschaften wird immer deutlicher als historischer Prozess im Sinne eines Fortschrittes verstanden.

So ist es nach antikem Verständnis der Mensch, der – anders als die Tiere – sich selbst und sein Leben gestaltet und es von einem naturgebundenen Zustand allmählich auf das Niveau der kultivierten und zivilisierten Gegenwart gehoben hat.

(Paideia auf Google+)


Zitate aus: Alexander Demandt: Philosophie der Geschichte. Von der Antike zur Gegenwart, Köln 2011 (Böhlau Verlag)   -  ,Johann Gustav Droysen: Griechische Tragiker Aischylos, Sophokles, Euripides, hier: Der gefesselte Prometheus, Stuttgart 1961 (Deutscher Bücherbund)   -   Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker, Stuttgart 2008 (Kröner)

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