An Selbstbewusstsein mangelte es Ayn Rand nie.
Als sie 1959 dem Fernsehjournalisten Mike Wallace gegenübersitzt, weiß sie,
dass ihre Aussagen die Mehrheit der Amerikaner schockieren werden.
Mike Wallace interviewt Ayn Rand (1959) |
„Hier ist Mike Wallace mit einer neuen Ausgabe
des Fernsehporträts aus unserer Reihe: Interessante Persönlichkeiten. Im
Verlauf der Geschichte sind viele politische und
philosophische Bewegungen entstanden. Die meisten sind wieder verschwunden.
Einige allerdings, wie Demokratie oder Kommunismus, haben sich behauptet. Sie
entfalten ihre Wirkung überall in der Welt.
Die vielleicht provokativste und
ungewöhnlichste neue Philosophie wurde hier in den Vereinigten Staaten durch
eine Romanautorin entwickelt: Ayn Rand. Miss Rands Ansichten sind noch
vergleichsweise unbekannt, aber wenn sie sich jemals etablieren sollten, würden
sie unser Leben revolutionieren.
Ich möchte mit einem Zitat aus einer Kritik
Ihres Romans „Atlas wirft die Welt ab“ beginnen. Danach sind Sie dabei,
praktisch alle Institutionen des „American Way of Life“ zu zerstören: unsere
jüdisch-christliche Religion, unsere soziale Marktwirtschaft, unser politisches
System der Mehrheitsentscheidungen. Trifft diese Kritik zu?"
Auf diese Frage antwortet Ayn Rand mit
folgenden Worten: „Ich stimme dieser Beschreibung zu. Ich kritisiere die Moral
der Nächstenliebe. Vor allem aber bin ich die Schöpferin einer neuen Ethik, die
man bisher nicht für möglich gehalten hat. Eine Moral, die nicht auf Glauben,
nicht auf zufälligen Launen, nicht auf Emotionen, nicht auf willkürlichen
Geboten, sondern ausschließlich auf der Vernunft beruht: Eine Moral, die
logisch bewiesen werden kann.“
Mit atemberaubender Arroganz wischt sie 2000
Jahre Philosophiegeschichte beiseite. „Schauen Sie sich die Resultate an“,
erklärt sie dem um Fassung bemühten Journalisten, „jetzt ist der Augenblick
gekommen für eine Befreiung der Welt“.
Rand war überzeugt davon, dass ihre Philosophie
diese Befreiung möglich machen werde. Sie sei nichts anderes
als die vollendete Aufklärung. Ayn Rand hat einen Begriff dafür:
„Objektivismus“. Die Wirklichkeit bestehe aus unveränderlichen Fakten. Eherne
Naturgesetze bestimmten Natur und Gesellschaft. Die menschliche Vernunft könne
und müsse diese unveränderliche Realität erkennen, wenn sie im Überlebenskampf
bestehen wolle. „Objektivismus“ reduziert die Wirtschaft zu einem quasi
physikalischen System, in dem politische Gestaltung kategorisch ausgeschlossen
bleibt:
In dem Interview mit Mike Wallace hört sich
dieser Gedanke so an: „Ich bin für ein absolut freies Wirtschaftssystem ohne
Regulierungen. Ich bin für die Trennung von Staat und Wirtschaft. Genauso wie
die Trennung von Kirche und Staat das friedliche Zusammenleben der Religionen
ermöglicht, wird die Verbannung der Politik aus der Wirtschaft, der Verzicht
auf Regulierung von Produktion und Handel zur friedlichen Zusammenarbeit, zu
Harmonie und Gerechtigkeit zwischen den Menschen führen.“
Etwas historischer Kontext: Das Amerika, zu dem
Ayn Rand 1959 spricht, wird von den sozialen Reformen des New Deal bestimmt. Um
die katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu lindern,
hatte der demokratische Präsident Franklin Delano Roosevelt in vier Amtszeiten
die USA fast in einen Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung verwandelt.
Gewerkschaften sind per Gesetz legitimiert, die Banken reguliert.
Franklin Delano Roosevelt (1882 - 1945) |
In den
50er-Jahren erfreut sich die Mittelklasse zunehmenden Wohl-standes. Man
versammelt sich vor dem Fernseher und träumt von Glück und grenzenlosem Konsum
in einer intakten Familie. Wer in einem der großen US-Konzerne arbeitet, darf
auf lebenslange Beschäftigung und Fürsorge durch das Unternehmen hoffen. Ein
Lebensgefühl, als gäbe es keine sozialen Klassen. Konformistisch, vielleicht
spießbürgerlich – aber Lichtjahre entfernt von den atemberaubenden sozialen
Ungleichgewichten der Gegenwart.
Die Lebensgeschichte von Ayn Rand war
jedenfalls alles andere als konformistisch: Rand wird 1905 als Alissa
Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg in eine wohlhabende jüdische Familie
geboren. Im Zuge der Russischen Revolution erlebt sie als Dreizehnjährige die
abrupte Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenz. Soldaten der Roten Armee
enteignen die Apotheke ihres Vaters. Die Familie flieht im Chaos des russischen
Bürgerkriegs auf die Krim und kehrt schließlich resigniert ins hungernde
Petersburg zurück. Mit 21 Jahren wandert Ayn Rand schließlich allein in die USA
aus. Das Exil zerschneidet alle Bande mit der zurückgebliebenen Familie.
Der „Amerikanische Traum“: Alles scheint
möglich. Heute Sekretärin, morgen Filmstar. Ayn Rand versucht, im Umkreis der
Filmstudios Fuß zu fassen. Mit eiserner Disziplin eignet sie sich die englische
Sprache an.
Sie muss sich mit Jobs in der Verwaltung über
Wasser halten. Im Hexenkessel der kalifornischen Filmindustrie mit ihren
abrupten Karrieresprüngen entwickelt sich allmählich die Radikalität ihres
Denkens:
„Die Bourgeoisie hat kein anderes Band zwischen
Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose
„bare Zahlung“. Sie hat den heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der
ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser
egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat dem Familienverhältnis seinen
rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis
zurückgeführt.“
Ayn Rand gehört zu denen, die die verborgenen
Voraussetzungen der herrschenden Ideologie in klarer und hemmungsloser Weise
zum Ausdruck bringen. Dabei ist es vor allem Ayn Rands
kompromissloser Atheismus, der die christlich geprägte Gesellschaft in den USA
verstört. Staunend, fast ungläubig und doch irgendwie fasziniert beobachten sie
ihren Versuch einer moralphilosophischen Rechtfertigung des „gottlosen“
Kapitalismus.
Das Dollarzeichen wird zum blasphemischen Symbol dieses „nackten
Kapitalismus“, der Schluss machen will mit dem schlechten Gewissen seiner
Vertreter. Ayn Rand ist sich ihrer Rolle durchaus bewusst. Wie die Priesterin
eines heidnischen Kultes trägt sie das vom Doppelstrich gekreuzte S als Schmuck
auf ihren langen schwarzen Roben. In ihren Romanen wird es zum geheimen
Erkennungszeichen einer verschworenen Gemeinschaft: Anhänger der neuen,
grenzenlose Vitalität verheißenden Religion des Kapitalismus.
Ayn Rand und das Dollarzeichen |
Dieses Verabsolutieren des Ökonomischen kommt
in diesem Dollarzeichen massiv zum Ausdruck. Als Symbol für das Geld als Quelle
alles Guten, als Tauschmittel, als Innovation. Dass Menschen grundsätzlich als
Händler auftreten, Werte tauschen, ob es ökonomische Werte sind, finanzielle
Werte sind, ob es emotionale Werte sind in einer Liebesbeziehung.
Dieses Dollarzeichen ist Symbol für mehr als
nur diesen reinen ökonomischen Kontext. Für Ayn Rand als Atheistin, ist dieses
Dollarzeichen das Ersatzsymbol für das Kreuz, das auch ihre Anhänger getragen
haben und nach wie vor tragen.“
In Ayn Rands zweitem Roman „Atlas Shrugged“
finden sich wie in einem Brennglas alle Versatzstücke des neoliberalen Denkens.
„Atlas wirft die Welt ab“ erscheint 1957. Das über tausend Seiten umfassende
Buch ist in den USA zur Bibel der so genannten „Libertarians“ geworden. Eine
Weltanschauung, deren Namen man mit dem Etikett „Libertarismus“ nur annähernd
ins Deutsche übersetzen kann. Sie beruft sich auf eine lange amerikanische
Tradition.
Insgesamt ist die zentrale Vorstellung der
„Libertarians“ die des Eigeninteresses. Das geht zurück bis ins 18.
Jahrhundert. Die Leute kommen nach Amerika, um ihr Eigeninteresse zu verfolgen.
„Eigeninteresse in dem Sinne, dass man nicht zum Nutzen eines anderen arbeitet.
Nicht zum Nutzen des Staates oder Monarchie, Steuern, Abgaben und nicht zum
Nutzen der Kirche.
Und dann wird weiter formuliert, und das ist
bei Ayn Rand haargenau so, der Mensch ist von Natur aus eigensüchtig, und das
muss bedacht werden, wenn man Gesellschaft organisiert. Es ist zunächst einfach
diese Befreiung von einem feudalistischen Gesellschaftsmodell.“
Das Streben nach Glückseligkeit ... |
Die Unabhängigkeitserklä-rung der Vereinigten
Staaten garantiert jedem Bürger das unveräußerliche Recht auf ein Streben nach
individuellem Glück: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht: Dass alle
Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen
unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.“ Das Konzept der individuellen Glückssuchewird
im 20. und 21. Jahrhundert zum Kern des radikal individualistischen
Glaubensbekenntnisses der „Libertarians“.
(Fortsetzung folgt)
Quelle und Zitate aus: Stefan
Fuchs, Idol rechter US-Republikaner: Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus,
swr 2 Wissen, Sendung vom 8. November 2016
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