Donnerstag, 16. Mai 2019

Philosophische Lebenshilfen und die Suche nach dem Glück - Teil 2


(Fortsetzung vom 09.05.2019)


Glück ... und Unglück
Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen fragen, warum sie nicht glücklich sind. Diese Menschen suchen Rat auf Internetplattformen oder Seminaren. 

Und das Angebot ist reichhaltig: Da gibt es einen „Lebensfreude-Kongress“, die „Praxis für positive Lebensgestaltung“ oder eine „Navigation in Lebensfragen“. Auch ein ganzheitliches Coaching auf einer Engelsfarm kann gebucht werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Welt der Glücks-Ratgeber könnte so schön sein, gäbe es da nicht Autorinnen wie Rebecca Niazi Shahabi, die mit ihren nicht ganz ernst gemeinten Antioptimierungsratgebern wie „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“, „Ich bleib so scheiße, wie ich bin: Lockerlassen und mehr vom Leben haben“ den grassierenden Selbstoptimierungstrend durch den Kakao zieht.

Rebecca Niazi Shahabi sieht die Lebenshilfe-Veranstaltungen beispielsweise der School of Life eher kritisch: „Die Leute gehen nicht offen dorthin, sondern sie erwarten wirklich etwas, was sie einen Schritt nach vorne bringt. Und irgendwie ein Geheimnis, dass sie noch nicht kennen, das kann es nicht geben. Aber so sind diese Kurse angelegt.“

So sei es auch kein Zufall, dass die „School of Life“ ausgerechnet in in Berlin Prenzlauer Berg aufgeschlagen hat. „Hier lebt die kreative Selbstverwirklichung in bunten Farben: Kreativprojekte, Agenturen, Schreibbüros, Lebensberatung und Coachs gibt es an jeder Straßenecke. Dahinter verbergen sich oft Biografien, die möglicherweise in eine Optimierungsfalle geraten sind. 

Dank digitaler Medien sitzen junge Mütter oder Väter mit dem Kind auf dem Arm im Café und checken nebenbei e-Mails oder schreiben ein Konzept für ein Stadtteilprojekt. Die große Freiheit, das selbstbestimmte, meist Einzelkämpferleben fordert seinen Tribut: Mit dem Genuss individueller Freiheit geht ein subversiver Leistungsdruck einher, der in alle Lebensbereiche vordringt: Noch kreativer zu werden, wirklich vegan zu kochen, ein Stadtteilprojekt zu unterstützen und dabei immer schön individuell bleiben.“

Ich bleib´ so scheiße wie ich bin ...
Rebecca Niazi Shahabi kritisiert diesen Optimierungszwang, die verkürzten Gedankengänge und schlichten Analogien, und sieht darin ein allgemeines gesell-schaftliches Phänomen. Wer sich optimieren will, so ihre These, wird zwangsläufig auch normiert:

„Das ist ein gesellschaftlicher Druck, der sich auch immer wieder in verschiedenen Masken zeigt. Für mich ist dieses Beispiel der Dicken, die jetzt auch schön sind und Models werden oder irgendwie andere beim Abnehmen beraten oder so etwas oder irgendwie sich wohlfühlen. Für mich ist so ein gutes Beispiel: Ich wurde angerufen von einer Frauenzeitschrift und die sagt: Ja wir wollen ja zu unseren Schwächen stehen und grad unsere Schwächen. Wir würden Sie gerne einladen, wie man aus seinen Schwächen irgendwie etwas Positives macht.

Man hat keinen Raum mehr, in dem man so ist, wie man einfach ist oder indem man an sich etwas zur Kenntnis nehmen kann: Eine Schwäche oder etwas, was einen selbst unglücklich macht, und man in Ruhe herausfinden kann, wie man dazu steht. Eine Schwäche, die mich unglücklich macht. Das ist auch nicht verboten.

Ganz anders funktioniert der Human Trust, der nicht philosophische Inhalte, sondern ein ganzheitliches Motivations-Paket anbietet. Eine Online-Plattform, die ein gelingendes Leben im Dunstkreis von Positivem Denken und Selbstoptimierung verspricht. Star der Community, die über Videobotschaften, Onlinekurse, und Live-Seminare operiert, ist der Motivations-Coach Veit Lindau.

Ich streife durch deine Träume. 
Ich beobachte dich durch die Augen 
jedes deiner Mitmenschen. 
(Veit Landau)

Veit Lindau
Veit Lindau ist ein Animateur für die Seele, ein smarter Unternehmer in Erfolgs- und Glücksfragen. Sein Rezept ist: Keine Rezeptur zu haben. Es zählt das „Machen“ und die Aussicht auf das sinnstiftende Gemeinschaftsgefühl, verpackt als in einzelne Lektionen unterteiltes Arbeitsprogramm. Die Palette ist bunt und deckt praktisch alle Lebensfragen ab. Veit Lindau hat etwas von einem zupackenden Leader, der online, auf Hör-CD, DVD und leibhaftig in Seminaren mit einfühlsamer Stimme Liebe predigt und Hingabe fordert.

Ich klopfe auf tausend verschiedene Weisen 
an deine Tür laut wie der Schrei eines wütenden Kindes 
und still wie die Ewigkeit des Alls. 
Ich werde nichts unversucht lassen, 
bis Du mir öffnest weit und bedingungslos 
bis du mir alles schenkst. 
Was du hast und was du bist. 
Wo bist du. 
Ich brauche dich, dein Leben. 
(Veit Lindau)

Die Coaching- und „Selbstfindungs“-Plattform Human Trust ist mit knapp zehntausend Mitgliedern ein Big Player im Reigen der „Lebensschulen“. Begleitend zu seinen Online-Kursen und Seminaren hat Lindau viele Bücher verfasst, in denen er seine Ideen von Erfolg und Glück in knackig-provokante Botschaften verpackt.

Opfer erkennst du daran, 
dass sie über das Warum reden. 
Menschen, die Lust auf Leben haben, 
beschäftigen sich mit der Frage: 
"Wie bekomme ich, was ich wirklich will?” 
(Veit Lindau)

Die Mitgliedschaft im Abo kostet derzeit 280 Euro im ersten Jahr, wenn das Erfolgspaket noch dabei sein soll, immerhin 600 Euro. Man kann die Kurse auch einzeln buchen, hat dann aber keinen Zugang zur Human Trust-Online-Community.

Ein Auszug aus der Definition des Begriffes Coaching, wie ihn der Deutsche Bundesverband Coaching vorschlägt: „Als ergebnis- und lösungsorientierte Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit. Der Klient lernt im Idealfall, seine Probleme eigenständig zu lösen, sein Verhalten, seine Einstellungen weiterzuentwickeln und effektive Ergebnisse zu erreichen.“


Ein Coach ist der Optimierer per se, ein rational vorgehender Mensch, der zum Beispiel eine Fußball-Mannschaft zu Höchstleistungen anspornt und Unternehmen nach Fehlstellen abklopft. Im Zentrum steht die Verbesserung des Klienten und nicht sein persönliches Glücksgefühl.

Kritiker des Coaching-Wesens, wie der Politologe Gerg Steinmeyer, weisen darauf hin, dass Coaching-Techniken gerade nicht die Freiheit des Menschen im Auge haben, sondern das genaue Gegenteil, schreibt er in seinem Buch „`Die Gedanken sind nicht frei´ Coaching – eine Kritik“:

„Coachings, wie sie sich heute darstellen, sind entgegen ihrem Anspruch meist kein Instrument von Selbstbestimmung und Emanzipation, sondern forcieren im Gegenteil die Aufgabe selbständigen Denkens. Der „flexible“ und widerstandlose Mensch, der sich und seine Überzeugungen stets nach Maßgabe ökonomischer Verwertbarkeit anpasst und einer Gesellschaft oder eines Staates nicht mehr Bedarf, ist das offensichtliche Ziel gängiger Coaching-Verfahren.“

Coaching ist mehr als schnelle Glücksversprechungen ...

Zahlreiche der von Steinmeyer untersuchten Coaching-Techniken haben also im Kern einen ideologischen Charakter, formen eher ein der Ökonomie angepasstes Menschenbild, als dass sie die individuelle Freiheit des Klienten zum Maßstab nehmen.

Viele Coachings, so Steinmeyer weiter, „leisten diese Stärkung des Rückgrats gerade nicht, sondern leiten Menschen dazu an, bei Konflikten mit Mehrheiten über die Homogenisierung der eigenen Überzeugungen selbst Teil der Mehrheit zu werden. `Mit den Wölfen heulen´ nannte man das früher.“

Blickt man auch nur ausschnittsweise in den Dschungel der Glücksschulen, Bestseller, Erfolgs- und Motivationsseminare, bleibt eines gewiss: Die Beschäftigung mit dem verunsicherten „Ich“ in unübersichtlichen Zeiten ist ein lukratives Lifestyle-Phänomen geworden, das scheinbar unschuldig zwischen Lebensangst und Alltagsdefiziten hin und herschwingt und den gesellschaftlich gesteuerten Optimierungsdruck gegen Bares bedient.

Wer will, findet in den Angeboten sein persönliches Glück oder wenigstens doch den Impuls, das Thema „Ich“ neu zu vermessen. Oder man bleibt skeptisch und greift Senecas Vorstellung vom glückseligen Leben auf und macht erst einmal Pause vom Projekt „Lebensglück“.

„Glücklich zu leben wünscht jedermann; 
aber die Grundlagen erkennt fast niemand.“ 
(Seneca: Vom glückseligen Leben)



Quelle und Zitate: Sven Ahnert, Glücksversprechen – Philosophische Lebenshilfen, swr 2 Wissen, Sendung vom 6. Juli 2018




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