(Fortsetzung vom 09.05.2019)
Glück ... und Unglück |
Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen fragen, warum sie nicht glücklich sind. Diese Menschen suchen Rat auf Internetplattformen oder Seminaren.
Und das Angebot ist reichhaltig: Da gibt es einen „Lebensfreude-Kongress“, die „Praxis für positive Lebensgestaltung“ oder eine „Navigation in Lebensfragen“. Auch ein ganzheitliches Coaching auf einer Engelsfarm kann gebucht werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Die
Welt der Glücks-Ratgeber könnte so schön sein, gäbe es da nicht Autorinnen wie Rebecca
Niazi Shahabi, die mit ihren nicht ganz ernst gemeinten
Antioptimierungsratgebern wie „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“, „Ich
bleib so scheiße, wie ich bin: Lockerlassen und mehr vom Leben haben“ den
grassierenden Selbstoptimierungstrend durch den Kakao zieht.
Rebecca Niazi Shahabi sieht die Lebenshilfe-Veranstaltungen beispielsweise der School of Life eher kritisch: „Die Leute gehen
nicht offen dorthin, sondern sie erwarten wirklich etwas, was sie einen Schritt
nach vorne bringt. Und irgendwie ein Geheimnis, dass sie noch nicht kennen, das
kann es nicht geben. Aber so sind diese Kurse angelegt.“
So
sei es auch kein Zufall, dass die „School of Life“ ausgerechnet in in Berlin
Prenzlauer Berg aufgeschlagen hat. „Hier lebt die kreative Selbstverwirklichung
in bunten Farben: Kreativprojekte, Agenturen, Schreibbüros, Lebensberatung und
Coachs gibt es an jeder Straßenecke. Dahinter verbergen sich oft Biografien,
die möglicherweise in eine Optimierungsfalle geraten sind.
Dank digitaler
Medien sitzen junge Mütter oder Väter mit dem Kind auf dem Arm im Café und
checken nebenbei e-Mails oder schreiben ein Konzept für ein Stadtteilprojekt.
Die große Freiheit, das selbstbestimmte, meist Einzelkämpferleben fordert
seinen Tribut: Mit dem Genuss individueller Freiheit geht ein subversiver
Leistungsdruck einher, der in alle Lebensbereiche vordringt: Noch kreativer zu
werden, wirklich vegan zu kochen, ein Stadtteilprojekt zu unterstützen und
dabei immer schön individuell bleiben.“
Ich bleib´ so scheiße wie ich bin ... |
Rebecca
Niazi Shahabi kritisiert diesen Optimierungszwang, die verkürzten Gedankengänge
und schlichten Analogien, und sieht darin ein allgemeines gesell-schaftliches
Phänomen. Wer sich optimieren will, so ihre These, wird zwangsläufig auch
normiert:
„Das
ist ein gesellschaftlicher Druck, der sich auch immer wieder in verschiedenen
Masken zeigt. Für mich ist dieses Beispiel der Dicken, die jetzt auch schön
sind und Models werden oder irgendwie andere beim Abnehmen beraten oder so
etwas oder irgendwie sich wohlfühlen. Für mich ist so ein gutes Beispiel: Ich
wurde angerufen von einer Frauenzeitschrift und die sagt: Ja wir wollen ja zu
unseren Schwächen stehen und grad unsere Schwächen. Wir würden Sie gerne
einladen, wie man aus seinen Schwächen irgendwie etwas Positives macht.
Man
hat keinen Raum mehr, in dem man so ist, wie man einfach ist oder indem man an
sich etwas zur Kenntnis nehmen kann: Eine Schwäche oder etwas, was einen selbst
unglücklich macht, und man in Ruhe herausfinden kann, wie man dazu steht. Eine
Schwäche, die mich unglücklich macht. Das ist auch nicht verboten.
Ganz
anders funktioniert der Human Trust, der nicht philosophische Inhalte, sondern
ein ganzheitliches Motivations-Paket anbietet. Eine Online-Plattform, die ein
gelingendes Leben im Dunstkreis von Positivem Denken und Selbstoptimierung
verspricht. Star der Community, die über Videobotschaften, Onlinekurse, und
Live-Seminare operiert, ist der Motivations-Coach Veit Lindau.
Ich
streife durch deine Träume.
Ich beobachte dich durch die Augen
jedes deiner
Mitmenschen.
(Veit Landau)
Veit Lindau |
Veit
Lindau ist ein Animateur für die Seele, ein smarter Unternehmer in Erfolgs- und
Glücksfragen. Sein Rezept ist: Keine Rezeptur zu haben. Es zählt das „Machen“
und die Aussicht auf das sinnstiftende Gemeinschaftsgefühl, verpackt als in
einzelne Lektionen unterteiltes Arbeitsprogramm. Die Palette ist bunt und deckt
praktisch alle Lebensfragen ab. Veit Lindau hat etwas von einem zupackenden
Leader, der online, auf Hör-CD, DVD und leibhaftig in Seminaren mit
einfühlsamer Stimme Liebe predigt und Hingabe fordert.
Ich
klopfe auf tausend verschiedene Weisen
an deine Tür laut wie der Schrei eines
wütenden Kindes
und still wie die Ewigkeit des Alls.
Ich werde nichts
unversucht lassen,
bis Du mir öffnest weit und bedingungslos
bis du mir alles
schenkst.
Was du hast und was du bist.
Wo bist du.
Ich brauche dich, dein
Leben.
(Veit Lindau)
Die
Coaching- und „Selbstfindungs“-Plattform Human Trust ist mit knapp zehntausend
Mitgliedern ein Big Player im Reigen der „Lebensschulen“. Begleitend zu seinen
Online-Kursen und Seminaren hat Lindau viele Bücher verfasst, in denen er seine
Ideen von Erfolg und Glück in knackig-provokante Botschaften verpackt.
Opfer
erkennst du daran,
dass sie über das Warum reden.
Menschen, die Lust auf Leben
haben,
beschäftigen sich mit der Frage:
"Wie bekomme ich, was ich wirklich
will?”
(Veit Lindau)
Die
Mitgliedschaft im Abo kostet derzeit 280 Euro im ersten Jahr, wenn das
Erfolgspaket noch dabei sein soll, immerhin 600 Euro. Man kann die Kurse auch
einzeln buchen, hat dann aber keinen Zugang zur Human Trust-Online-Community.
Ein
Auszug aus der Definition des Begriffes Coaching, wie ihn der Deutsche
Bundesverband Coaching vorschlägt: „Als ergebnis- und lösungsorientierte
Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der
Leistungsfähigkeit. Der Klient lernt im Idealfall, seine Probleme eigenständig
zu lösen, sein Verhalten, seine Einstellungen weiterzuentwickeln und effektive
Ergebnisse zu erreichen.“
Ein
Coach ist der Optimierer per se, ein rational vorgehender Mensch, der zum
Beispiel eine Fußball-Mannschaft zu Höchstleistungen anspornt und Unternehmen
nach Fehlstellen abklopft. Im Zentrum steht die Verbesserung des Klienten und
nicht sein persönliches Glücksgefühl.
Kritiker
des Coaching-Wesens, wie der Politologe Gerg Steinmeyer, weisen darauf hin,
dass Coaching-Techniken gerade nicht die Freiheit des Menschen im Auge haben,
sondern das genaue Gegenteil, schreibt er in seinem Buch „`Die Gedanken sind
nicht frei´ Coaching – eine Kritik“:
„Coachings,
wie sie sich heute darstellen, sind entgegen ihrem Anspruch meist kein
Instrument von Selbstbestimmung und Emanzipation, sondern forcieren im
Gegenteil die Aufgabe selbständigen Denkens. Der „flexible“ und widerstandlose
Mensch, der sich und seine Überzeugungen stets nach Maßgabe ökonomischer
Verwertbarkeit anpasst und einer Gesellschaft oder eines
Staates nicht mehr Bedarf, ist das offensichtliche Ziel gängiger
Coaching-Verfahren.“
Coaching ist mehr als schnelle Glücksversprechungen ... |
Zahlreiche
der von Steinmeyer untersuchten Coaching-Techniken haben also im Kern einen ideologischen
Charakter, formen eher ein der Ökonomie angepasstes Menschenbild, als dass sie
die individuelle Freiheit des Klienten zum Maßstab nehmen.
Viele
Coachings, so Steinmeyer weiter, „leisten diese Stärkung des Rückgrats gerade
nicht, sondern leiten Menschen dazu an, bei Konflikten mit Mehrheiten über die
Homogenisierung der eigenen Überzeugungen selbst Teil der Mehrheit zu werden. `Mit
den Wölfen heulen´ nannte man das früher.“
Blickt
man auch nur ausschnittsweise in den Dschungel der Glücksschulen, Bestseller,
Erfolgs- und Motivationsseminare, bleibt eines gewiss: Die Beschäftigung mit
dem verunsicherten „Ich“ in unübersichtlichen Zeiten ist ein lukratives
Lifestyle-Phänomen geworden, das scheinbar unschuldig zwischen Lebensangst und
Alltagsdefiziten hin und herschwingt und den gesellschaftlich gesteuerten
Optimierungsdruck gegen Bares bedient.
Wer
will, findet in den Angeboten sein persönliches Glück oder wenigstens doch den
Impuls, das Thema „Ich“ neu zu vermessen. Oder man bleibt skeptisch und greift
Senecas Vorstellung vom glückseligen Leben auf und macht erst einmal Pause vom
Projekt „Lebensglück“.
„Glücklich
zu leben wünscht jedermann;
aber die Grundlagen erkennt fast niemand.“
(Seneca:
Vom glückseligen Leben)
Quelle und Zitate: Sven Ahnert, Glücksversprechen
– Philosophische Lebenshilfen, swr 2 Wissen, Sendung vom 6. Juli 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen