Donnerstag, 23. Mai 2019

Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus - Teil 1


An Selbstbewusstsein mangelte es Ayn Rand nie. Als sie 1959 dem Fernsehjournalisten Mike Wallace gegenübersitzt, weiß sie, dass ihre Aussagen die Mehrheit der Amerikaner schockieren werden.

Mike Wallace interviewt Ayn Rand (1959)
„Hier ist Mike Wallace mit einer neuen Ausgabe des Fernsehporträts aus unserer Reihe: Interessante Persönlichkeiten. Im Verlauf der Geschichte sind viele politische und philosophische Bewegungen entstanden. Die meisten sind wieder verschwunden. Einige allerdings, wie Demokratie oder Kommunismus, haben sich behauptet. Sie entfalten ihre Wirkung überall in der Welt.

Die vielleicht provokativste und ungewöhnlichste neue Philosophie wurde hier in den Vereinigten Staaten durch eine Romanautorin entwickelt: Ayn Rand. Miss Rands Ansichten sind noch vergleichsweise unbekannt, aber wenn sie sich jemals etablieren sollten, würden sie unser Leben revolutionieren.

Ich möchte mit einem Zitat aus einer Kritik Ihres Romans „Atlas wirft die Welt ab“ beginnen. Danach sind Sie dabei, praktisch alle Institutionen des „American Way of Life“ zu zerstören: unsere jüdisch-christliche Religion, unsere soziale Marktwirtschaft, unser politisches System der Mehrheitsentscheidungen. Trifft diese Kritik zu?"

Auf diese Frage antwortet Ayn Rand mit folgenden Worten: „Ich stimme dieser Beschreibung zu. Ich kritisiere die Moral der Nächstenliebe. Vor allem aber bin ich die Schöpferin einer neuen Ethik, die man bisher nicht für möglich gehalten hat. Eine Moral, die nicht auf Glauben, nicht auf zufälligen Launen, nicht auf Emotionen, nicht auf willkürlichen Geboten, sondern ausschließlich auf der Vernunft beruht: Eine Moral, die logisch bewiesen werden kann.“

Mit atemberaubender Arroganz wischt sie 2000 Jahre Philosophiegeschichte beiseite. „Schauen Sie sich die Resultate an“, erklärt sie dem um Fassung bemühten Journalisten, „jetzt ist der Augenblick gekommen für eine Befreiung der Welt“.

Rand war überzeugt davon, dass ihre Philosophie diese Befreiung möglich machen werde. Sie sei nichts anderes als die vollendete Aufklärung. Ayn Rand hat einen Begriff dafür: „Objektivismus“. Die Wirklichkeit bestehe aus unveränderlichen Fakten. Eherne Naturgesetze bestimmten Natur und Gesellschaft. Die menschliche Vernunft könne und müsse diese unveränderliche Realität erkennen, wenn sie im Überlebenskampf bestehen wolle. „Objektivismus“ reduziert die Wirtschaft zu einem quasi physikalischen System, in dem politische Gestaltung kategorisch ausgeschlossen bleibt:

In dem Interview mit Mike Wallace hört sich dieser Gedanke so an: „Ich bin für ein absolut freies Wirtschaftssystem ohne Regulierungen. Ich bin für die Trennung von Staat und Wirtschaft. Genauso wie die Trennung von Kirche und Staat das friedliche Zusammenleben der Religionen ermöglicht, wird die Verbannung der Politik aus der Wirtschaft, der Verzicht auf Regulierung von Produktion und Handel zur friedlichen Zusammenarbeit, zu Harmonie und Gerechtigkeit zwischen den Menschen führen.“

Etwas historischer Kontext: Das Amerika, zu dem Ayn Rand 1959 spricht, wird von den sozialen Reformen des New Deal bestimmt. Um die katastrophalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu lindern, hatte der demokratische Präsident Franklin Delano Roosevelt in vier Amtszeiten die USA fast in einen Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung verwandelt. Gewerkschaften sind per Gesetz legitimiert, die Banken reguliert. 

Franklin Delano Roosevelt (1882 - 1945)
In den 50er-Jahren erfreut sich die Mittelklasse zunehmenden Wohl-standes. Man versammelt sich vor dem Fernseher und träumt von Glück und grenzenlosem Konsum in einer intakten Familie. Wer in einem der großen US-Konzerne arbeitet, darf auf lebenslange Beschäftigung und Fürsorge durch das Unternehmen hoffen. Ein Lebensgefühl, als gäbe es keine sozialen Klassen. Konformistisch, vielleicht spießbürgerlich – aber Lichtjahre entfernt von den atemberaubenden sozialen Ungleichgewichten der Gegenwart.

Die Lebensgeschichte von Ayn Rand war jedenfalls alles andere als konformistisch: Rand wird 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Im Zuge der Russischen Revolution erlebt sie als Dreizehnjährige die abrupte Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenz. Soldaten der Roten Armee enteignen die Apotheke ihres Vaters. Die Familie flieht im Chaos des russischen Bürgerkriegs auf die Krim und kehrt schließlich resigniert ins hungernde Petersburg zurück. Mit 21 Jahren wandert Ayn Rand schließlich allein in die USA aus. Das Exil zerschneidet alle Bande mit der zurückgebliebenen Familie.

Der „Amerikanische Traum“: Alles scheint möglich. Heute Sekretärin, morgen Filmstar. Ayn Rand versucht, im Umkreis der Filmstudios Fuß zu fassen. Mit eiserner Disziplin eignet sie sich die englische Sprache an.

Sie muss sich mit Jobs in der Verwaltung über Wasser halten. Im Hexenkessel der kalifornischen Filmindustrie mit ihren abrupten Karrieresprüngen entwickelt sich allmählich die Radikalität ihres Denkens:

„Die Bourgeoisie hat kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat den heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.“

Ayn Rand gehört zu denen, die die verborgenen Voraussetzungen der herrschenden Ideologie in klarer und hemmungsloser Weise zum Ausdruck bringen. Dabei ist es vor allem Ayn Rands kompromissloser Atheismus, der die christlich geprägte Gesellschaft in den USA verstört. Staunend, fast ungläubig und doch irgendwie fasziniert beobachten sie ihren Versuch einer moralphilosophischen Rechtfertigung des „gottlosen“ Kapitalismus. 

Das Dollarzeichen wird zum blasphemischen Symbol dieses „nackten Kapitalismus“, der Schluss machen will mit dem schlechten Gewissen seiner Vertreter. Ayn Rand ist sich ihrer Rolle durchaus bewusst. Wie die Priesterin eines heidnischen Kultes trägt sie das vom Doppelstrich gekreuzte S als Schmuck auf ihren langen schwarzen Roben. In ihren Romanen wird es zum geheimen Erkennungszeichen einer verschworenen Gemeinschaft: Anhänger der neuen, grenzenlose Vitalität verheißenden Religion des Kapitalismus.

Ayn Rand und das Dollarzeichen

Dieses Verabsolutieren des Ökonomischen kommt in diesem Dollarzeichen massiv zum Ausdruck. Als Symbol für das Geld als Quelle alles Guten, als Tauschmittel, als Innovation. Dass Menschen grundsätzlich als Händler auftreten, Werte tauschen, ob es ökonomische Werte sind, finanzielle Werte sind, ob es emotionale Werte sind in einer Liebesbeziehung.

Dieses Dollarzeichen ist Symbol für mehr als nur diesen reinen ökonomischen Kontext. Für Ayn Rand als Atheistin, ist dieses Dollarzeichen das Ersatzsymbol für das Kreuz, das auch ihre Anhänger getragen haben und nach wie vor tragen.“

In Ayn Rands zweitem Roman „Atlas Shrugged“ finden sich wie in einem Brennglas alle Versatzstücke des neoliberalen Denkens. „Atlas wirft die Welt ab“ erscheint 1957. Das über tausend Seiten umfassende Buch ist in den USA zur Bibel der so genannten „Libertarians“ geworden. Eine Weltanschauung, deren Namen man mit dem Etikett „Libertarismus“ nur annähernd ins Deutsche übersetzen kann. Sie beruft sich auf eine lange amerikanische Tradition.

Insgesamt ist die zentrale Vorstellung der „Libertarians“ die des Eigeninteresses. Das geht zurück bis ins 18. Jahrhundert. Die Leute kommen nach Amerika, um ihr Eigeninteresse zu verfolgen. „Eigeninteresse in dem Sinne, dass man nicht zum Nutzen eines anderen arbeitet. Nicht zum Nutzen des Staates oder Monarchie, Steuern, Abgaben und nicht zum Nutzen der Kirche.

Und dann wird weiter formuliert, und das ist bei Ayn Rand haargenau so, der Mensch ist von Natur aus eigensüchtig, und das muss bedacht werden, wenn man Gesellschaft organisiert. Es ist zunächst einfach diese Befreiung von einem feudalistischen Gesellschaftsmodell.“

Das Streben nach Glückseligkeit ...
Die Unabhängigkeitserklä-rung der Vereinigten Staaten garantiert jedem Bürger das unveräußerliche Recht auf ein Streben nach individuellem Glück: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht: Dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.“ Das Konzept der individuellen Glückssuchewird im 20. und 21. Jahrhundert zum Kern des radikal individualistischen Glaubensbekenntnisses der „Libertarians“.

(Fortsetzung folgt)


Quelle und Zitate aus: Stefan Fuchs, Idol rechter US-Republikaner: Ayn Rand und der entfesselte Kapitalismus, swr 2 Wissen, Sendung vom 8. November 2016


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen