Die Revolution war immer die Sache
einer Minderheit,
die versuchte, eine Mehrheit für ihr Projekt zu gewinnen.
Das geschah stets mit Zwang, der
Widerstand weckte,
der mit einer Verschärfung des Zwangs beantwortet wurde.
Das setzte eine Eigendynamik und Selbstradikalisierung
in Gang,
die schließlich die Schreckensherrschaft hervorbrachte:
Die Revolution verschlang ihre eigenen
Kinder.
(Johannes Willms)
Die Französische
Revolution (1789 bis 1799) gehört zweifelsohne zu den folgenreichsten
Ereignissen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Die Abschaffung des
feudalabsolutistischen Ständestaats sowie die Propagierung und Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung
– das betrifft insbesondere die Menschenrechte –
waren mit die Ursache für tiefgreifende macht- und gesellschaftspolitische
Veränderungen in ganz Europa und haben das moderne Demokratieverständnis entscheidend beeinflusst.
Es ist gleichwohl interessant festzustellen,
dass das landläufige Bild der Französischen Revolution vor allem durch ihre
erste Phase (1789–1791) geprägt ist. Sie stand im Zeichen des Kampfes für bürgerliche Freiheitsrechte und für die Schaffung einer konstitutionellen
Monarchie.
Die zweite Phase der Revolution (1792-1794)
dagegen wird von den Verehrern der Französischen Revolution gern übersehen oder
in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Es ist aber vor allem diese zweite Phase,
die das eigentliche Gesicht der Französischen Revolution offenbart, nämlich die
Errichtung einer Republik mit
radikaldemokratischen Zügen und die Ausbildung einer Revolutionsregierung, die
mit Mitteln des Terrors und der Guillotine alle „Feinde der Revolution“ verfolgte.
In der dritten Phase, der Direktorialzeit von 1795 bis 1799, konnte dann wieder eine von besitzbürgerlichen Interessen bestimmte
politische Führung die Macht ausüben, stets im Spannungsfeld zwischen Volksinitiativen
für soziale Gleichheit einerseits
und monarchistischen Restaurationsbestrebungen andererseits.
In seinem großen Werk über die Französische
Revolution kommt Johannes Willms, langjähriger Feuilletonchef und
Kulturkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in Paris, zu einem
überraschenden Ergebnis, dass sich trotz aller revolutionären Rhetorik eine „für
alle Stadien der Revolution gleichermaßen gültige Präferenz der
besitzbürgerlichen Schichten“ nachweisen lässt. Eine bewusste Förderung des
Kleinbesitzes, die der breiten Mehrheit der Bevölkerung zugute gekommen wäre, wurde
durch die einschlägige „revolutionäre“ Gesetzgebung vereitelt. Eine konsequente
„Abwicklung“ des Feudalwesens durch die Revolution kann daher nur ansatzweise
behauptet werden.
Außerordentlich aufschlussreich ist in diesem
Zusammenhang die Frage des Kirchengesetzes. Nach Verstreichen einer gewissen
Schamfrist hatte die Nationalversammlung mit dem Kirchenbesitz einfach kurzen
Prozess gemacht: Die korporative Privilegierung des Klerus ließe sich mit der
neuen Gesellschaft gleicher und freier Bürger nicht mehr in Einklang bringen;
folglich waren auch dessen eigentumsrechtliche Ansprüche obsolet geworden und
fielen damit der Verfügung der Nation anheim.
In der Nacht vom 4. auf den 5. August 1789 die
Abschaffung der grundherrlichen Rechte (Gerichtsbarkeit,
Jagdrecht, Bannrecht) beschlossen. In der von revolutionärer Begeisterung
getragenen Sitzung wurden darüber hinaus die Ämterkäuflichkeit, der
Kirchenzehnte, die Zünfte und Innungen sowie die Privilegien von Provinzen und Einzelpersonen
abgeschafft. Dies war der endgültige Bruch mit dem Ancien Régime.
Dieser Logik folgend hätte die
Nationalversammlung auch alle „feudalen“ Privilegien und Ansprüche, wie in den
Beschlüssen des 4. August 1789 vollmundig verkündet, ohne alle Umstände
beseitigen müssen. Wie wenig davon aber die Rede sein konnte, so Johannes
Willms in seinem Buch, zeigte sich erst, „als die Nationalversammlung daran
ging, ihre Absichtserklärungen vom 4. bis 11. August in Gesetzestexten zu
kodifizieren. Dabei versagte man sich jene Pauschalität, die es erlaubt hatte,
den Kirchenbesitz zu zerfleddern. Jetzt galt es genau zwischen «feudalen»
Privilegien und legitimen Eigentumsrechten zu unterscheiden. Jene wurden
einfach beseitigt, diese peinlich respektiert.“
“La nuit du 4 aout” (Ende 18. Jahrhundert, von Isidore-Stanislas Helman, 1732–1809/10, nach Zeichnung von Charles Monnet, 1732 – um 1816) |
Die Besitzbürger unter den Deputierten, die
Eigentümer eines ehemaligen Lehens waren, sahen es als selbstverständlich an,
dass sie oder ihre Vorfahren dieses mit allen „Feudalrechten“ erworben hatten
und es deshalb in ganzem Umfang ihr legitimes Eigentum war. Das war die
Quintessenz jener Gesetzesvorlage, die der am 9. Oktober 1789 eingesetzte
dreißigköpfige Comité des droits féodaux ausgearbeitet hatte und die
nach ausführlicher Debatte am 15. März 1790 verabschiedet wurde.
Dieses Komitee erfand eine mythische Deutung
der historischen Ursprünge des Feudalwesens, die es erlaubten, zwei Arten von
Rechten zu unterscheiden. Das Wesen des Feudalismus als eine durch persönliche
Bindung vermittelte Herrschaftswillkür wurde schlichtweg in ein
Vertragsverhältnis umgedeutet: Der Seigneur hatte seinem Vasallen Schutz und
Arbeit verschafft, der ihm dafür zu unentgeltlichen Diensten und Abgaben
verpflichtet gewesen war. Diese Rechte und Pflichten waren spätestens mit dem
Landfrieden des Absolutismus erledigt und konnten, sofern sie noch Bestand
hatten, entschädigungslos beseitigt werden.
Ganz anders verhielt es sich mit den realen
Rechten, die als Pachtzahlungen auf Ländereien eingefordert wurden, die dem,
der sie bewirtschaftete, lediglich in Konzession überlassen worden waren. Diese
Pflichten und Abgaben, die zwar auch in aller Regel einen «feudalen» Anstrich
hatten, wurden als vertragsrechtliche Vereinbarungen angesehen, die fraglos
erfüllt werden mussten, zumal sie im Geldwert des jeweiligen Eigentums an Grund
und Boden eingeschlossen waren. Kurz, völlig gleichgültig, ob der Grundbesitzer
ein Seigneur oder ein Bürger war, der Pächter oder Bauer einstmals ein
Leibeigener gewesen war oder ob Besitztitel vorhanden waren, galten diese
Pflichten und Abgaben nach Artikel 17 der Menschen- und Bürgerrechte als
eigentumsrechtliche Ansprüche, die nur gegen eine angemessene Entschädigung
abgelöst werden konnten.“
Dank dieser vertragsrechtlichen Rabulistik
wurden zwar die meisten „feudalen“ Ansprüche mit dem am 15. März 1790
verabschiedeten Gesetz beseitigt, von denen viele sowieso schon verschwunden
waren. Aber es blieben jene in Geltung, die für den Grundeigentümer besonders
ertragreich waren. Das galt namentlich für Geldzahlungen oder für bestimmte Naturalabgaben,
die auf Ernteerträge fällig wurde.
„Außerdem wurden auch die verhassten banalités,
also die Monopole der Grundherren auf Mühlen, Backöfen oder Weinkeltern, die
ursprünglich entschädigungslos fortfallen sollten, vertragsrechtlich
gerechtfertigt. Alle diese auf angeblichen Verträgen basierenden Zahlungen
wurden für ablösbar erklärt. Die genauen Bedingungen dafür wurden durch ein
eigenes Gesetz vom 3. Mai 1790 geregelt. Der Betrag für die Entschädigung von
Geldzahlungen wurde mit dem Zwanzigfachen der jährlich eingeforderten Summe
festgesetzt, während für Naturalabgaben das Fünfundzwanzigfache des
Ernteertrags im Mittel der letzten fünfzehn Jahre fällig wurden. Alle
Entschädigungen mussten en bloc geleistet werden. Außerdem war die vorherige
Erstattung aller noch ausstehenden Abgaben erforderlich.
Wegen dieser Bedingungen vereitelte das
Gesetz praktisch, was es theoretisch ermöglichen sollte, denn kein Bauer oder
Pächter hatte das Geld oder den Kredit für die geforderten Summen. So wurden
die Versprechungen des 4. August 1789 mit den Interessen der Landbesitzer in
Einklang gebracht, für die die Renteneinkünfte aus diesem Eigentum einen ganz
wesentlichen Teil ihres Einkommens und Vermögens ausmachten. Dass allein mit
diesem Aspekt des „Feudalwesens“ sich drei Gesetzgebende Versammlungen – die
Verfassunggebende Versammlung, die Legislative und der Konvent – abmühten und
weit über hundert Dekrete, Novellierungen, Zusätze und Kommentare zu diesen
Gesetzen verabschiedeten, hat einen einfachen Grund: Die meisten Mitglieder
dieser Versammlungen waren ländliche Grundbesitzer, die sich scheuten, ihre
eigenen Interessen für Prinzipien aufzuopfern, die sie selbst entwickelt
hatten.“
So kommt Willms zu dem abschließenden Urteil,
dass die Schicht der bourgeoisen Landbesitzer – aus der auch noch die Notabeln
der Juli-Revolution von 1830 entstammten – ihren Einfluss über alle Phasen der
Revolution hinweg behaupten konnte. „Sie war von Anfang bis Ende und darüber
hinaus deren eigentlicher Gewinner. Eben darin sah Hippolyte Taine, einer der
großen Kritiker der Französischen Revolution, deren Wesen und Ertrag: `Was auch
immer die großen Worte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bedeuten mögen,
mit denen sich die Revolution schmückte, so ist sie ihrem inneren Wesen nach eine
Vermögensumwälzung. Diese verschaffte ihr den inneren Halt, ihre
fortdauernde Kraft, ihren wichtigsten Antrieb und ihre historische Bedeutung´“.
Zitate aus: Johannes Willms,
Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution, München 2014
(C.H.Beck) - Hippolyte Taine: Les origines de la
France contemporaine, Paris 1877
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