Neun Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit Indiens im Jahr
1947 wurden die Grenzen der indischen Bundesstaaten entsprechend den
Sprachgrenzen im States Reorganisation Act am 1. November 1956 neu gezogen. Einer
der Bundesstaaten war Kerala.
Die ersten allgemeinen Wahlen in Kerala fanden 1957 statt.
Aus ihnen ging die Communist Party of India (CPI) als Sieger hervor. Zum ersten Mal verlor die Kongreßpartei damit eine Wahl im unabhängigen
Indien, zugleich konnte erstmals in der Geschichte eine kommunistische Partei freie und demokratische Wahlen für sich entscheiden.
Die demokratisch gewählte kommunistische Regierung in Kerala |
In den ersten Wochen war die KP-Regierung noch populär, aber
schon bald weckten das Bestreben, Staatsapparate und Justiz durch die eigene
Parteiherrschaft zu ersetzen und in den Schulen sowjetische Lehrbücher
einzuführen, sowie die zunehmende Bestechung und Korruption den Unwillen der
Bevölkerung.
So schlossen sich seit dem Herbst 1957 die von der KP
enttäuschten Mitglieder und Funktionäre zum »Ex-Communist-Forum" zusammen.
Schon im Juni 1959, knapp 2 Jahre nach der Wahl wurde
schließlich das KP-Regime durch eine mächtige Volksbewegung – die in vielem an
die Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 in der DDR erinnerte – gestürzt. Die
treibende politische Kraft waren die ehemaligen Kommunisten im „Ex-Communist-Forum",
das nicht nur bei den Neuwahlen im Februar 1960, sondern im gesamten
politischen Leben des Landes eine entscheidende Rolle spielte und spielen würde.
Wolfgang Leonhard (1921 - 2014) |
Im Herbst 1960 veranstaltete das Forum einen internationalen
Kongreß in Ernakulam im Bundesstaat Kerala, an dem Schriftsteller und
Gesinnungsgenossen aus aller Welt, darunter auch Wolfgang Leonhard und der englische
Dichter, Autor und Hochschullehrer Stephen Spender. In seiner Einführung zu dem Buch „Ein Gott, der keiner war. Arthur Koestler, Ignazio Silone, Andre Gide, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender, schildern ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr“ von André Gide (original 1950, neuaufgelegt 2005) berichtet Wolfgang Leonhard von diesem Treffen:
„Der Kongreß fand in einem riesigen, strohgedeckten Pfahlbau
ohne Wände statt – sie wurden unter den klimatischen Bedingungen in Kerala
nicht benötigt. 500 mit traditionellen weißen Umhängen bekleidete Keralesen
waren im Saal versammelt, die Reden und Diskussionen wurden durch Lautsprecher
in der Stadt übertragen. Stephen Spender und ich wurden mit stürmischem Beifall
begrüßt und erhielten Ehrenplätze in der ersten Reihe.
Die Malayalam sprechenden Inder diskutierten in der sengenden
Hitze über dieselben Probleme, die auch fast alle Ex-Kommunisten Europas
beschäftigten: die Degeneration des Sowjet-Kommunismus und die Verwandlung des
schöpferischen Marxismus in eine Sammlung toter Dogmen. Immer wieder wurde
Kritik geübt: am Führerkult und Autoritätsaberglauben, an der Unterordnung der
kommunistischen Partei unter die Sowjetführung, an der Niederschlagung der
ungarischen Revolution, der Begrenzung des künstlerischen Lebens, an den
unerträglichen Lobeshymnen auf die Sowjetunion. Kritisiert wurden – teilweise
mit ironischen Bemerkungen – die ständigen Schwankungen der Parteilinie, der
man immer wieder folgen mußte.
Die ehemalige britische Residenz in Ernakulam |
All diese Punkte waren Stephen Spender und mir wohl bekannt,
aber noch nie hatten wir erlebt, daß sie in so großem Rahmen erörtert wurden.
So wie wir an den Diskussionen in Südindien interessiert waren, so waren die
Kongreßteilnehmer an den Reformströmungen in anderen Ländern interessiert. Als
Stephen Spender und ich über die kritischen, sich gegen die offizielle
sowjetische Parteilinie stellenden Kommunisten in den Ländern West- und
Osteuropas berichteten, wurde dies von den Anwesenden mit großem Beifall
begrüßt.
Über den Kongreß berichteten die Zeitungen Keralas auf den
Titelseiten, inklusive Bildern von Stephen Spender und mir, weshalb wir auf
unseren Ausflügen überall erkannt wurden – so auch von einem katholischen
Priester, der uns höflich begrüßte und die unerwartete Frage an uns richtete:
„Wie geht es bei dem Kongreß der Ex-Kommunisten? Sind Sie mit dem Verlauf
zufrieden?" Nach einer Woche mußten wir Kerala verlassen, da wir noch
weitere Einladungen in Städten im Zentrum und Norden Indiens hatten, aber uns
beiden tat es leid, uns von Kerala zu verabschieden – dem wohl einzigen Land
der Welt, in dem Ex-Kommunisten nicht von Mißtrauen umgebene, isolierte
Einzelgänger waren, sondern Angehörige einer im ganzen Land geachteten
politischen Strömung.“
Das Thema des Kongresses lautete übrigens: „Die Rolle der
Ex-Kommunisten im politischen Leben einer demokratischen Gesellschaft" …
Zitate aus: Ein Gott, der keiner war. Arthur Koestler,
Ignazio Silone, Andre Gide, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender, schildern
ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr. Mit einer Einführung von Prof.
Wolfgang Leonhard und einem Vorwort von Richard Crossman, Erstauflage 1950)
Zürich 2005 (Europa Verlag AG)
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