In letzter Zeit mehren sich die Anzeichen dafür,
dass immer mehr Staatsführungen in den westlichen Demokratien sich zunehmend
selbst als Super Super Nanny sehen und auch dementsprechend von den Bürgerinnen
und Bürgern als Super Super Nanny wahrgenommen, verehrt und geliebt werden
wollen.
Für Horst Wolfgang Boger, Herausgeber des Sammelbandes „Der Staat als Super Super Nanny“ jedenfalls
steht fest: „Unser Staat sieht gut aus, unser Staat ist super-empathisch, unser
Staat ist super-sympathisch, unser Staat denkt niemals an sich selbst, unser
Staat weiß auf alles die richtige Antwort, unser Staat ist fast
göttinnengleich."
Ein besonders gutes Beispiel sind die
„Sündensteuern“, mit denen sich Sascha Tamm in dem erwähnten Buch beschäftigt.
Die Super Super Nanny weiß, was gut für Dich ist! |
Wir alle kennen die gutgemeinten Ratschläge: „Du
sollst nicht rauchen, du sollst dich nicht an Glücksspielen beteiligen, du
sollst dich nicht an alkoholischen Getränken berauschen. Sicher ließen sich
noch einige andere Sünden nennen, die von vielen Menschen als schädlich
angesehen werden.“
Während früher bestimmte Handlungen aus einer religiösen
Perspektive als Sünden bezeichnet wurden, sind es heute eher Wissenschaftler
und Politiker, die bestimmte Handlungen als gefährlich oder schädlich definieren.
Statt jedoch mit Teufel und Höllenfeuer zu drohen, erhebt der Staat –
zusätzlich zum Verbot bestimmter Handlungen oder Aktivitäten – sogenannte
Sündensteuern, um die potentiellen Sünder an bestimmten Handlungen zu hindern –
oder doch wenigstens ihre Häufigkeit zu verringern.
Die bekanntesten Beispiele für diese
Sündensteuern sind Tabaksteuer und die die Branntweinsteuer (einschließlich der
Alkopopsteuer):
„Unabhängig von der Bezeichnung sind überall auf
der Welt die Argumente, die von den Befürwortern derartiger Steuern verwendet
werden, sehr ähnlich. Sündensteuern werden auf den Kauf von bestimmten Waren
oder Dienstleistungen erhoben, deren Nutzung als nicht erwünscht gilt. Der
Staat will damit, so wird jedenfalls argumentiert, die Bürger vor den negativen
Folgen des Konsums schützen.“
Dabei muss unterschieden werden zwischen zwei
Typen von Sündensteuern. Im ersten Fall soll die Gesamtheit oder eine bestimmte
Gruppe von Menschen vor den Folgen des Handelns anderer geschützt werden, wie
das Beispiel der Mineralölsteuer zeigt: Hier ist „eine spezielle Handlung, also
das Autofahren, oder genauer gesagt der Verbrauch von Benzin und die damit
verbundene Umweltverschmutzung, nicht erwünscht und wird durch die Erhebung der
Steuern sanktioniert. In diesem Fall lassen sich externe Effekte benennen, wie
etwa die Umweltverschmutzung und die damit verbundene Schädigung anderer, die
zur Legitimation der Steuern herangezogen werden können.“
Rauchen ist eine Sünde ! |
Im zweiten Fall sollen die Menschen davon
abhalten werden, sich selbst zu schaden, also wenn z.B. „Raucher, Spieler,
Trinker oder – wie für die Zukunft nicht auszuschließen ist – die Anhänger
von fetten oder süßen Speisen vor sich selbst geschützt werden sollen.“
Hier handelt es sich um Sündensteuern im engeren
Sinne. „Sie werden unterstützt von einer breiten Propaganda gegen bestimmte Verhaltensweisen,
die sich auf wissenschaftliche Aussagen über die Schädlichkeit verschiedener
Verhaltensweisen beruft.“
Nun ist die Frage, ob ein Staat wirklich
berechtigt ist, Sündensteuern zu erheben. Sorgt er damit wirklich für das das
Wohl seiner Bürger? Darf der Staat ein Verhalten sanktionieren, das vor allem
dem Handelnden selbst schadet – oder von dem zumindest behauptet wird, dass es
ihm schade?
Es gehört selbstverständlich zu der Kernaufgabe
des Staates, Handlungen zu verhindern oder zu bestrafen, die andere schädigen.
Aus liberaler Perspektive jedoch, „die sich strikt an dem Vorrang des Schutzes
von Freiheit und Eigentum jedes einzelnen Menschen orientiert, sind
Sündensteuern nicht zu legitimieren. Sie widersprechen nicht nur dem Prinzip
einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, sondern haben zum Ziel, den
Menschen einen bestimmten Lebensstil aufzuzwingen oder doch wenigstens starke
Anreize für ein bestimmtes Verhalten zu setzen.“ Letztlich maßt sich der Staat
an, ein größeres Wissen als seine Bürger zu besitzen für die Suche nach Glück
oder für die besten Verwendungsmöglichkeiten ihres Eigentums.
Natürlich darf es private Initiativen geben, die
Aufklärungsarbeit über die Folgen des Rauchens leisten können. Natürlich wird
nicht behauptet, dass es vernünftig oder sinnvoll ist zu rauchen. Natürlich
darf eine öffentliche Debatte zum Rauchen oder zum Alkoholgenuss oder zum
Glücksspiel stattfinden – gerade weil sich Urteilsvermögen und Entscheidungsfähigkeit
sich vornehmlich in dieser Debatte entwickeln.
Doch all dies ist für die politische Diskussion irrelevant: „Das Recht, sich selbst zu
schädigen oder etwas zu tun, was alle anderen für voll kommen unsinnig und
falsch halten, gehört zum Kern des Liberalismus“
Die Durchsetzung bestimmter Werturteile mit
staatlicher Zwangsgewalt entwertet ja gerade individuelle Urteile und öffentliche
Debatten. „Gerade diejenigen, für die Werturteile und moralische Prinzipien
große Bedeutung haben und die selbst über starke Überzeugungen verfügen, müssen
deren staatliche Durchsetzung strikt ablehnen, weil sie durch sie entwertet
werden.“
Staatliches Handeln ist also nur dann legitimiert,
wenn durch eben dieses Handeln die Einen
daran gehindert werden, die Anderen
in ihren Freiheitsrechten einzuschränken oder ihnen auf andere Weise Schaden
zuzufügen. Dies wiederum soll in einer Weise geschehen, dass das staatliche Handeln wiederum die
Freiheitsrechte aller so wenig wie
möglich eingeschränkt. Das trifft auf Sündensteuern nicht zu:
„Hier wird in ganz individuelle Entscheidungen
eingegriffen, die andere nicht betreffen. Die negativen Folgen für eine
freiheitliche Ordnung sind groß. Indem der Staat versucht, das Handeln der Menschen
zu steuern, nimmt er ihnen etwas von ihrer Verantwortung. Er nimmt ihnen
Entscheidungen ab (oder beeinflusst sie doch in eine bestimmte Richtung). Damit
leistet er einer Tendenz Vorschub, die in modernen Wohlfahrtsstaaten
selbstzerstörerisch wirkt: Die Menschen vertrauen ihrem eigenen Urteilsvermögen,
ihren eigenen Entscheidungen immer weniger.“
Das Beispiel der Sündensteuern demonstriert auf
einfache Weise, wie staatliches Handeln von individuellen Entscheidungen
entwöhnt.
Ein weiteres Argument, das von den Verteidigern
der Sündensteuern immer wieder ins Feld gebracht wird, betrifft die externe
Effekte der sündigen Handlungen, die es zu kompensieren gilt: „So werden z.B.
im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Folgen des Rauchens oft auch die
Kostenbelastung für das Gesundheitssystem oder die volkswirtschaftliche
Belastung durch den Arbeitsausfall genannt.“
Zielwiderspruch: Je weniger Sünder, desto geringer die Staatseinnahmen. |
Diese Argumentation enthält gleichwohl einen unauflösbaren
Zielwiderspruch: „Einerseits soll ein bestimmtes Konsumverhalten sanktioniert
werden. Das Ziel besteht also darin, etwa den Tabakkonsum zu reduzieren. Dem
gegenüber steht das Interesse des Staates an der Maximierung der Einnahmen aus
den Sündensteuern. Die Sündensteuern leisten z.B. in Deutschland einen
relevanten Beitrag zur Finanzierung des Staatshaushaltes (…) Wenn also die
Bürger weniger „sündigen“, sinken die Staatseinnahmen.“
Wenn also das vorrangige Ziel der Sündensteuern
darin besteht, Kosten zu verringern, dann muss diese Argumentationsschiene auch
konsequent zu Ende geführt werden: Wenn wir also davon ausgehen, dass Raucher
über ihre Lebenszeit hinweg höhere Kosten im Gesundheitswesen verursachen, dann
stellen sich mindestens zwei Fragen:
„1. Entstehen vielleicht durch Raucher an
anderer Stelle geringere Kosten, so z.B. im Rentensystem? 2. Liegt das wesentliche
Problem nicht darin, dass unser staatliches Gesundheitssystem (vermeidbare)
Risiken nicht dem Einzelnen zuordnet, sondern allen Versicherten und außerdem
allen Steuerzahlern? Die Antwort auf beide Fragen lautet „Ja“. Dass z.B.
Raucher eine geringere durchschnittliche Lebenserwartung als Nichtraucher
haben, ist in der Wissenschaft allgemein anerkannt. Sie erhalten also, bei
ansonsten gleichen Parametern, geringere Auszahlungen aus der Rentenkasse als
Nichtraucher.“
Die Antwort auf die zweite Frage könnte darin
bestehen, dass sich in einem an individualisierten (privaten) Versicherungen
orientierten System ohne Zweifel Bewertungen für bestimmte systematische
Gesundheitsrisiken ergeben würden. Das gilt selbstverständlich nur bei den
Risiken, die allein vom Verhalten des Einzelnen abhängen, also nicht etwa bei
Erbkrankheiten.
Auf diese Weise gäbe es durchaus finanzielle
Anreize, die bestimmte Konsumgewohnheiten sanktionieren bzw. belohnen.
Solange Menschen „für die Risiken, die mit ihren
eigenen Handlungen verbunden sind, nicht oder jedenfalls nicht vollständig
aufkommen müssen, wenn also die Risiken nicht mit dem richtigen Preisschild
versehen sind, so werden viele Menschen übergroße Risiken auf sich nehmen, die
dann im aktuellen System von allen getragen werden müssen. Es geht wohlgemerkt
nur um die finanziellen Risiken – das erhöhte Krankheits- und Todesrisiko hat
ohnehin jeder selbst zu tragen.“
Entscheidend ist, dass sich hier der Staat nicht
einmischen darf: „Es ist durchaus legitim, dass Menschen den Genuss des Rauchens
höher einschätzen als ein paar zusätzliche Lebensjahre (…) Irgendetwas anderes vorauszusetzen
würde heißen, dass der einzelne Mensch in irgendeiner Weise Eigentum der
anderen Menschen oder des Staates ist.“
Zitate aus: Sascha Tamm: Sündensteuern, in: Horst Wolfgang Boger (Hg.): Der
Staat als Super Super Nanny, Berlin 2008 (liberal Verlag GmbH), S. 105ff.